Tindersticks


In der Hektik des britischen Musiktreibens sind die Tindersticks ein Ruhepol. Die Band mag es sanft, kunstvoll und gepflegt. Tindersticks-Balladen sind der zuverlässige Begleiter durch triste Abende, an denen man mit Trauerflor am Ärmel durch den Tränenpalast herbstlichen Weltschmerzes wandelt. Doch die Londoner können auch anders. Der Song „The Fast One“ vom jüngsten Album „Curtains ist ungewohnt ruppig. Für Sänger Stuart Staples ist es eine Folge von Veränderungen hinter den Kulissen: „Früher herrschte gespenstische Stille im Studio. Wir redeten nicht miteinander,spielten unsere Noten nach dem Zufallsprinzip und redeten uns ein, daß es schon irgendwie richtig ist. Dieses Stillschweigen brachte uns an den Rand der Auflösung. Bis jemand im Studio einen spontanen Gitarrenpart bejubelte und meinte, daß wir so etwas ruhig zulassen können, wenn es kommt. Da war der Bann gebrochen.“ Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Weil sich die notorischen Elegiker nicht mehr ausschließlich an dieses abgegriffene Sprichwort halten, werden Elan und neue Reize frei. Das war bitter nötig. Gerade live ließen sich die Tindersticks zu orchestraler Opulenz hinreißen, welche die Lethargie noch förderte. Das Spiel der eigentlichen Bandmitglieder war an den Rand gedrängt. „Wir ertränkten Schwächen und Unsicherheiten in epischer Großmut. Inzwischen haben wir dazugelernt, können besser spielen und fühlen uns im Rampenlicht wohler. Dieses Gefühl soll der Zuhörer spüren“, meint Staples. Gesagt, getan. Bei Aufwärmkonzerten in Bristol und London pflegen die Tindersticks ihre neue Lust am Wandel. Sie stehen als Sextett auf der Bühne und betören das Publikum so lange mit melancholischen Slow-Songs, bis ein Zustand vollkommener Entspannung erreicht ist. Dann plötzlich das Kontrastprogramm: Staples und seine Mannen werden zu völlig anderen Menschen. Geiger Dickon steigerte sich in einen Zustand manischer Ekstase, die Gitarre erzeugt ein kreischendes Feedback, und aus den Drums pocht ein schwerer Beat. Die Tindersticks zeigen sich von einer ungewohnten Seite, lassen für ein paar Momente das Rock’n’Roll-Biest aus dem Käfig und führen es mutig vor. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Natürlich hat diese Band weiterhin das Erbe von Scott Walker oder Tim Buckley im Visier. Nur mischen sich nun mehr Schattierungen ins Klangbild. Auf „Curtains“ gibt der kubanische Trompeter Jesus Alemany ein Gastspiel und bringt Salsa-Feeling ein. Auch die verrauchten Chansons von Charles Aznavour haben Spuren hinterlassen. „Wir legen keinen gesteigerten Wert auf unsere britische Herkunft. Wenn ich Britpop-Bands mit dem Union Jack wedeln sehe, wird mir schlecht. Unser Metier ist Musik, und die ist international“, betont Staples. Und der frisch erwachte Experimentiergeist seiner Band ist noch längst nicht ausgelebt. Zuletzt haben die Tindersticks einen Song mit der Schauspielerin Isabella Rossellini aufgenommen. Werden sie jetzt womöglich auch noch sexy?