Titus Andronicus


Punk? Indierock? Eine Band aus einier Kleinstadt in New Jersey wählt den Mittelweg und gewinnt.

Sänger Patrick Stickles muss brennen wie Conor Oberst, als der 2002 in einem zehnminütigen Vulkanausbruch „Let’s Not Shit Ourselves (To Love And To Be Loved)“ gebar. Titus Andronicus‘ THE AIRING OF GRIEVANCES erinnert immer wieder an Bright Eyes, als die noch ungeschliffener und wütender klangen: Das Debüt der Band aus New Jersey ist ein einziges Stürmen und Drängen, es rumpelt vom ersten bis zum letzten Ton mit fast atemberaubender Leidenschaft dahin. Indierock mit Punk-Elementen, sagt der 23-jährige Stickles, der die Band in der 12000-Einwohner-Stadt Glen Rock gegründet hat, kann durchaus auch für den intellektuellen Musikfan befreiend sein: „Die Leute glauben, dass man als vernunftbegabtes Wesen seinen animalischeren Impulsen nicht folgen darf. Kluge Menschen bilden sehen ein Rudel, springen rum und schreien sich gegenseitig an, während Rock’n’Roll-Musik tobt. Ich kann das aber nur empfehlen. Es ist durchaus menschlich. Punk kann den gleichen emotionalen Eindruck hinterlassen wie großartige Literatur.“

Literatur und das Animalische in intellektuellem Kontext – eine perfekte Beschreibung von „Titus Andronicus“, einem ungewöhnlich brutalen und bis heute umstrittenen Stück von William Shakespeare: In edlen Reimen schildert der Dramatiker allerlei Ungeheuerlichkeiten, von Vergewaltigung über Verstümmelungen bis hin zu Kannibalismus. „Er ist ein Genie, aber das Stück ist nicht eben die feine englische Art“, sagt Stickles, der am College in New Jersey Literaturwissenschaften studiert. „Auch wenn es nicht unbedingt zu seinen besseren Arbeiten gehört, ist ,Titus Andronicus‘ doch in seiner Zwiespältigkeit ein ziemlich interessantes Werk. „Düstere Themen sind auch die Spezialität der gleichnamigen Band: Auch wenn die Musik alles andere als depressiv wirkt, singt Patrick Stickles am liebsten über Tod und Verderben. „Herman Melville hat mal gesagt, dass er sich beim Schreiben von ,Moby Dick‘ von all dem Bösen gereinigt hat, das in ihm war – das kann ich gut nachvollziehen“, sagt Stickles und setzt mit nicht ganz ernst gemeintem Pa-2005 thos hinzu: „Ist es nicht wesentlich besser, unsere dunklen Seiten durch Kunst und Gesang auszudrücken, anstatt 2008 zum Beispiel eine Kirche anzuzünden? Schreien und Kla-2M gen kann durchaus aufbauend sein, und sehr reinigend. Ob man es glaubt oder nicht: Seit ich jede Nacht auf der Bühne über solche Themen singe, gelingt es mir tatsächlich, viel positiver durch mein Leben zu gehen. Ich habe – und das war wirklich nicht immer so – nicht mehr das Gefühl, zu explodieren. Feine Sache, dieser Rock’n’Roll, oder?“ Was sollte dem noch hinzuzufügen sein?