Ton, Steine, Scherben – Keine Macht Für Niemand


4.

„Ton Steine Scherben waren die beste Alternative zu einem schlechten Tag, sie spendeten Kraft und Identität“, hat Blixa Bargeld einmal geschrieben. Es gibt eine dünne Linie in der Geschichte der charismatischen deutschen Sänger, und sie reicht von Rio Reiser zu Blixa Bargeld, dem mephistophelischen Mimen der Postpunk-Generation. Reiser hat auf Stücken wie „Menschenjäger“ seiner Stimme diesen ganz speziellen Ekel verpasst, den der Blut und Galle speiende Bargeld später über sein komplettes CEeuvre verstreute. Und aus dem Ekel speist sich die Lust am Aufbruch. Wir schreiben das Jahr 1972: Krautrocker und Elektrobastler experimentierten mit Soundschleifen und Synthesizern. Die Songs von Ton Steine Scherben sind im Jargon der Protestjugendlichen verfasst. Reiser und die Jungs seiner Band (u.a. Bassist Kai Sichtermann, der letztes Jahr die Band-Geschichte in Buchform veröffentlichte) holen das Personal ihrer Beiträge von der Straße. Sie rotzen Gefühle, singen von Sehnsucht und dem Paradies. Das hatte vorher noch niemand so selbstverständlich auf Deutsch gemacht. Das Album heute: „Keine Macht für niemand“ ist der deutsche Proto-Punk-Song, die Parole war einer Anarcho-Kiffer-Zeitung entnommen. „Wir müssen hier raus“ und „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ sind wunderbare Siegerlieder, die restlichen Songs pendeln zwischen links geerdetem Rhythm ’n‘ Blues und leicht schmuddeligen Rock-Hymnen. Bis heute werden die Scherben auf das Image „Politrockband“ reduziert, ihre Songs geisterten als Soundtrack fast jeder Hausbesetzung durch die Zeitläufe, aber das war nur die eine Wahrheit. Die andere lag irgendwo tief in den Texten. „Wer wird die neue Welt bauen, wenn nicht du und ich?“ sang Reiser in „Schritt für Schritt ins Paradies“. Auf diesem Album ist alles für ein paar Minuten versammelt, und ist der letzte Song vorbei, muss man die Platte sofort wieder umdrehen und noch einmal abspielen. Das hat was mit Entzug zu tun. Die Musik geht körperlich nahe. Das ist auch nach fast 30 Jahren noch so.