Udo Lindenberg – Alles klar auf der Andrea Doria


Darauf hatte einen nichts vorbereitet: nicht seine Jazzrock-Vergangenheit als Schlagzeuger bei Passport und Emergency; nicht „Daumen im Wind“, sein erster, mit dem Wörtchen „tapsig“ noch relativ freundlich umschriebener Gehversuch als Sänger deutschsprachiger Rockmusik. 1972 war das – doch schon im Jahr darauf vergessen. Denn es trug sich etwas zu, was rückblickend als Urknall für den Pop zwischen Flensburg und Garmisch gewertet werden darf: „Alles klar auf der Andrea Doria“, lautete das Motto, unter dem „uns Udo“ vom „Onkel Pö“, einer Hamburger Szenekneipe aus, zum Höhenflug durch die bundesdeutschen Charts ansetzte. Mit seiner von Alkohol und Kippen gezeichneten, sympathischen Unstimme intonierte er poetische, (damals noch) gänzlich unpeinliche Trash-Tiraden wie „Du heißt jetzt Jeremias“, „Boogie-Woogie Mädchen“ oder „Dr. Chicago“. Endlich durften sich Heranwachsende hierzulande im eigenen Idiom heimisch und ernst genommen fühlen. Denn da war einer, der sang über ihre Gefühle („Die größte Liebe“), über ihre Träume („Er wollte nach London“) und darüber, wie man richtig einen drauf macht. Was sich anhörte wie Klo-Graffiti oder auf einen Bierdeckel gekritzelte Spelunken-Lyrik, erwies sich bei näherem Hinhören als exakt gezeichnete Stimmungsbilder, die das Panikorchester in extra rumpeligen Stones-Riff-Rock und balladeskes Herzflimmern übersetzte. Keine Frage: Udo Lindenberg war im Frühling seiner Karriere ein wagemutiger Pionier mit dem richtigen Instinkt, der Kollegen wie Westernhagen, Grönemeyer, Kunze und ganzen Heerscharen von anderen den Weg ebnete. Er war aber auch Briefkastenonkel für jene unter uns, die in Zeiten pickel-induzierter Wirrungen und post-pubertärer Adoleszenz einen „leader of the pack“ brauchten. Das Problem: Wir wurden älter, Udo Lindenberg nicht. Der driftete bald nach „Ball Pompös“ ab ins Berufsjugendlichen-Exil, ließ seine Konzerte von Star-Regisseur Peter Zadek inszenieren, schenkte DDR-Staatschef Erich Honecker eine Lederjacke, verging sich an alten deutschen Schlagern und reimte ansonsten gern „Sakko“ auf „Monaco“. So erhielt eine Zeile aus „Andrea Doria“ irgendwann eine völlig neue Bedeutung; „Und der Nervenarzt weiß auch nicht mehr, wie’s weitergeht.“