Von der Kultband zur Teen- Attraktion: Soul Asylum


OMAHA. Der Urschrei kommt aus 8000 Kehlen. Er gilt vor allem einem blondgelocktem David Pirner, der nachmittags noch, mit der Rotweinflasche in der Hand, halbbetrunken und depressiv in der Garderobe herumtorkelte und den Tour-Blues sang.

Der nachmittägliche Durchhänger aber ist mittlerweile längst vergessen. Die Band ist heiß und startet durch. Der Song heißt „Somebody To Shove“ und zieht die zwölf- bis 18jährigen wie ein Magnet an das Gitter vor der Bühnenbarriere. Die Securities haben alle Hände voll zu tun und zerren atemlose Kids aus der Menge, auf deren Woge Hunderte in Richtung Bühne surfen.

Zehn Jahre hat es gedauert, bis diese Minneapolis-Band aus dem Schlagschatten von Hüsker Du und den Replacements trat und über die Teenager-kompatiblen MTV-Bildschirme flimmern durfte, bis Mädchenschwarm David Pirner unversehens ins Rampenlicht schlitterte und seine von Verlorenund Verlassenheit erzählenden Songs Gehör fanden. Spätpubertäre Hymnen sind nun mal das Salz des Rock’n Roll, und Soul Asylum streuen reichlich davon in die offenen Wunden der weißen Middleclass-Kids aus Omaha/Nebraska, denen außer ein paar sporadischen Überschwemmungen herzlich wenig an emotionalen Höhepunkten geboten wird.

Pirner und Soul Asylum geben alles — und reichlich Zugaben: „99%“, ebenfalls vom letzten Album „Grave Dancers Union“, das Monate nach Veröffentlichung Auferstehung in den Charts feiert, prädestiniert die Vierer-Bande auf dem schmalen Grat zwischen Vorstadt-Punk und Hitparaden-Rock zu den Stadion-Heroen der Mitt-Neunziger. Gitarnst Daniel Murphy reißt brüllende Riffs aus seiner Strat, Karl Mueller donnert mit seinem Baß durch die düstere Melancholie von „Homesick“, Pirner tobt an den Amps, läßt die Gitarre in nicht endenwollenden Rückkopplungen kreisen und kreischen — schiere Energie kommt über die Rampe und treibt die Stagediver zu atemberaubenden Sprüngen.

Soul Asylum sind seit zehn Jahren praktisch nonstop in den USA unterwegs, spielen 1993 nicht weniger als 230 Konzerte — aber die Kids feiern Pirner, als sei er plötzlich von einem anderen Stern auf die Erde gefallen.

„Runaway Train“, die postpubertäre Hymne des Jahres, ist bekanntlich auch hierzulande kaum zu bremsen auf dem Weg an die Chartsspitze. Live hingegen dokumentiert das hysterische Kreischen und Klatschen noch deutlicher die wundersame Wandlung des „Seelenasyls“: Einst Underdog der amerikanischen Musikszene, sind sie praktisch über Nacht zur angebeteten Teenager-Attraktion mutiert. Die „Platin-Punks“, wie der „Rolling Stone“ sie nannte, schlagen zwischen Kommerzialität und street credibility eine Brücke, wie sie nur wenigen gelingt.