Warum müssen Open Air-Tickets bloß so teuer sein?


Je größer das Stadion, desto höher die Preise. Logisch? Wohl eher nicht. Denn wenn 10.000 Hallenbesucher 50.— DM für ein Ticket berappen, sollten 50.000 Stadionbesucher für die gleiche Show doch eigentlich weniger zahlen. Oder doch nicht? ME/Sounds holte das große Messer und schnitt den Open-Air-Kuchen beherzt an.

ein harter Sommer steht musikvernarrten Sonnenanbetern bevor. Die großen Häuptlinge jenseits des großen und des kleinen Wassers haben wieder zum alljährlichen Sturm auf die großen Fußbalistadien der Teutonen geblasen, den Geldbeutel der Pilgerscharen fest im Visier.

So rechnet Peter Rieger, der Veranstalter der neun Genesis-Konzerte in Deutschland mit rund 900.000 Schaulustigen. Das muß er auch, denn wie Insider wissen wollen, gehört sein Vertrag mit der Collins-Band zu den ganz harten Deals der Saison.

Für knapp 1,5 Millionen Garantie je Konzert dürfte er die Band eingekauft haben und muß trotzdem bei ausverkauftem Stadion 90% des Gewinns an die Gruppe abgeben. Die restlichen 10% bleiben ihm dennoch nicht. Der „Örtliche“, wie der lokale, durchführende Veranstalter im Branchen-Slang heißt, hält auch nochmal die Hand auf: 4% gehen in der Regel auf sein Konto. Wenn nur 5.000 Leute keine Lust auf Genesis haben, fehlen 300.000 Mark in der Kalkulation. Das stört Collins & Co recht wenig. Von der Garantie bleiben ihnen nach Abzug der Kosten für die technische Produktion — also Licht und Tontechnik inklusive Personal — eine runde Million. Und die Sponsorenspende von 20 Millionen, die VW zur Verfügung stellt, vermeidet zumindest Engpässe beim Wechselgeld.

Clevere Veranstalter versuchen freilich, dieses Risiko auf die Örtlichen abzuwälzen. So holten die europäischen Großimpresarios Marcel Avram und Fritz Rau 1988 Michael-Jackson für eine Garantie von 900.000 Mark je Konzert nach Deutschland und gaben ihn für 1,3 Millionen an die Örtlichen weiter.

Dieses Jahr wird Herr Jackson wohl etwas preisgünstiger tänzeln — nicht nur weil Michaels Zugkraft seit ’88 etwas gelitten hat, sondern auch weil Marcel Avram diesmal ¿

gleich ein ganzes preisgünstiges Europa-Paket schnürte. Bevor man allerdings verklärt den Taschenrechner zückt, um den Stundenlohn von Michael Jackson auszurechnen und von der eigenen Karriere zu träumen, lohnt es sich, einen Blick auf die Etats einer solchen Veranstaltung zu werfen. Bevor der Jackson-Treck überhaupt einen Fuß beispielsweise ins Frankfurter Waldstadion gesetzt hat. ist der Örtliche Veranstalter, neben der Garantie von 1,3 Millionen, noch Verpflichtungen über 1.2 Millionen an örtlichen Kosten eingegangen: Die Bühne muß aufgestellt werden – 150.000 Mark. Der Rasen im Stadion darf nicht beschädigt werden – 80.000 Mark für die Auslegung mit Brettern, Zäunen und Planen. Die Stadt stellt das Stadion nicht umsonst zur Verfügung, sondern partizipiert mit 10% an den Einnahmen. Bei 60.000 Leuten und Eintrittspreisen von 55 Mark darf sich der Oberbürgermeister über Einnahmen von 330.000 Mark freuen. Dafür hat der Stadionwart aber noch keinen Schraubenzieher in die Hand genommen. Für die Stromanschlüsse etwa werden weitere 22.000 Mark in Rechnung gestellt.

In Frankfurt schlagen die vorgeschriebenen 400 Ordnungskräfte bei einem Stundenlohn von 20 Mark mit rund 80.000 Mark zu Buche. Für kaum weniger schwitzen die Aufbauhelfer. Bei einem großen Open-Air kommen bei drei Vorbereitungs- und einem Show-Tag 2800 Helferstunden zu 25 Mark leicht zusammen. Dieser Scheck lautet auf 70.000 Mark. Natürlich wollen die Jungs auch etwas zu essen haben. Bei Genesis etwa verspeisen allein die örtlichen Helfer zwischen 12.000 und 15.000 Mark am Tag.

Rund 100.000 Mark verschlingt die Werbung für eine Veranstaltung in dieser Größenordnung. Inseratskosten in der lokalen Presse fallen an. Außerdem müssen etwa 15.000 Plakate geklebt werden. Die Kosten hierfür reichen von 1,20 DM in der Provinz über 1,50 in Köln bis zu 3,50 in Frankfurt — pro Plakat.

Bei Michael Jackson in Frankfurt soll der Deal so aussehen, daß der Örtliche Veranstalter die Einnahmen bis zu 2,7 Millionen behalten darf. Dann hat er auf jeden Fall schon 200.000 Mark Gewinn gemacht, muß aber immerhin 50.000 Karten an den Mann bringen. Danach muß er mit Mama Concerts/Lippmann & Rau teilen. Üblich ist ein Verhältnis von 50:50 für die nächsten 5000 Zuschauer, 70:30 zugunsten von Mama für weitere 5000 usw. Dafür trägt der örtliche aber das gesamte Risiko. Kommen nur 40.000, legt er eine halbe Million aus der eigenen Tasche dazu. Bei der letzten Madonna-Tour gerieten einige Veranstalter durch große Erwartungen und kleinen Besuch heftig ins Schlingern.

Kein Wunder also, daß die Veranstalter, vor allem die örtlichen, nach Zusatzeinnahmen suchen, um das Risiko eines wirtschaftlichen Waterloos in Grenzen zu halten. Legale Möglichkeiten sind rar. Vor allem in kleineren Stadien kann der Veranstalter die Bewirtungsrechte für seine Veranstaltung

Örtliche dem Tourveranstalter sagen kann, es gäbe keine Bewirtungsrechte — und er hat sie doch. “ Aber das funktioniert höchstens noch in Provinzstadien. In Köln, Frankfurt oder München etwa haben die Bewirter das Recht von der Stadt gekauft. Ob Fußballspiel oder Konzert, sie sind immer dabei.

Eine andere — weniger legale — Spielart der monetären Risikobegrenzung bietet die „Überarbeitung“ der Belege über die örtlichen Kosten. Da die Verträge oft so abgefaßt sind, daß der Örtliche erst dann teilen muß, wenn die Einnahmen die kalkulierten Kosten übersteigen, ist er natürlich interessiert, daß dieser Punkt möglichst spät erreicht wird.

„Das Management bekommt eine Kalkulation für die örtlichen Kosten vorgelegt“, erläutert ein Örtlicher gegenüber ME/Sounds die Rettungsversuche einiger Kollegen. „Da kann ,Luft‘ eingebaut werden, damit die Prozente für die Band erst später anfallen. Nach der Show sitzen dann zwei Buchhalter von der Band da und studieren die Belege, denn die Kosten müsse/: ja nachgewiesen werden. Aber Papier ist geduldig.“

Der Hintergrund solcher „Korrekturen“ muß nicht immer die schiere Profitgier sein, sondern bedeutet für manchen Örtlichen oft die letzte Chance, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das hängt immer vom Vertrag ab, den er mit dem Tourveranstalter abschließt. Ist der Act eine sichere Bank, trägt der Tourveranstalter in der Regel das kaum vorhandene Risiko selbst. Für die Abwicklung erhält der Örtliche zwischen zwei und vier Prozent vom Umsatz. Hat die Konzertagentur eine Band aber zu teuer eingekauft, versucht sie, das Risiko an den lokalen Veranstalter weiterzugeben. Das heißt, er muß für die Garantiesumme und die örtlichen Kosten geradestehen. Dafür ist er am Erfolg, also wenn der Erlös die Kosten übersteigt, beteiligt. Hat die Agentur der Band aber schon 85% des Gewinns vertraglich zugesichert, gibt es außer dem hohen Risiko nicht mehr viel zu teilen.

Ablehnen kann der Örtliche einen riskanten Deal aber auch nicht ohne weiteres, denn Örtliche gibt es viele, Großveranstalter aber wenige. Da wird Wohlverhalten zur Existenzgrundlage.

Die Garantiesummen, die Michael Jackson und Kollegen als Minimum für ihre Shows erhalten, können sie allerdings auch nicht abzugsfrei einstreichen. In der Regel müssen sie alle nicht-örtlichen Kosten selbst tragen.

Eine Ausnahme unter den zugkräftigen Open-Air-Attraktionen bildet Herbert Grönemeyer. Mit 28 Mark bringt er seine Tickets zum Sozialtarif unters Volk, (siehe nebenstehende Kalkulation) Erheblich großzügiger kalkuliert da Westernhagen seine Tour. Über 700.000 Fans werden den Dünnen sehen, davon allein 400.000 auf den acht Open-Airs. Außer in Leipzig, wo sich Westernhagen mit 25 Mark großherzig zeigt, müssen 37 Mark an der Stadionkasse abgegeben werden. Netto-Einnahmen von rund 13 Millionen stehen 10 Millionen an Produktionskosten gegenüber. Die verbleibenden drei Millionen teilen sich Westernhagen und die Veranstalter im Verhältnis 50:50.

Reich werden in diesem Geschäft vor allem die großen Bands und die cleveren unter den Veranstaltern. Umsonst sind eigentlich nur die schicken Limousinen, die eine renommierte Stuttgarter Karossenschmiede den Gruppen gern kostenlos zur Verfügung Stellt.