Weniger wäre mehr: Jule Neigel will’s mit aller Gewalt wissen


MÜNCHEN. Die rund tausend Besucher in der überfüllten Theaterfabrik haben gerade den hausbackenen Mainstream-Rock des Vorprogramms Andy Baum & The Trix freundlich, aber eher passiv über sich ergehen lassen, da weht ihnen von der überdimensionierten Bühne ein anderer Wind entgegen: Gleich mit den ersten Takten des Openers „Nur nach vom“ entfesselt die Jule Neigel Band eine geradezu gnadenlose Animationsmaschinerie.

Deren Motor ist die Dame Neigei höchstpersönlich: topfit und vor Energie schier berstend, stürmt sie während der 100 Minuten des regulären Sets (plus drei ausgiebiger Zugaben) nahezu pausenlos an der Rampe hin und her und exekutiert dabei jedes Ritual, das das amerikanische Showbusiness in den letzten Jahrzehnten der westlichen Weh geschenkt hat. Jule Neigel, das ist nicht zu übersehen, ist wild entschlossen, jeden Konzertbesucher für sein Eintrittsgeld mit hundertprozentigem Einsatz zu belohnen. An sich ein löbliches Unterfangen, das aber zwiespältige Folgen zeitigt: Denn je mehr und je unermüdlicher Jule Hände schüttelt, die Fans mit rollenden Augen beflirtet, aerobic-gestützte Tanzakrobatik demonstriert oder das Publikum zu den obligatorischen Gesangsübungen animiert, desto mehr gerät ihre

Musik in den Hintergrund. Die maschinenhaft präzisen Grooves der versierten Band um Zampano und Gitarrist Andreas Schmid-Martelle dienen bald nur noch als Vehikel für Jules Anmache.

Wie sehr durch dieses Verfahren jegliche Emotion eleminiert wird, zeigt sich vor allem in den Balladen. Wenn Jule etwa zu sparsamer Begleitung „Weil ich dich liebe“ intoniert und gleichzeitig am Bunnenrana aie nocngereicnten Wunderkerzen einsammeil, dann gerät ihr Gesang zur puren Stimmband-Akrobatik: perfekt, aber entseelt.

Die Zuschauer allerdings folgen ihr bereitwillig, quittieren jede Pose, jeden Augenaufschlag, jedes noch so platte Sprüchlein („Und jetzt kommt etwas, das trifft jeden einmal — der Liebeskummer!“) mit Sprechchören.

Als die schwarzgestiefelte Jule die zweite Zugabe („Schatten an der Wand“) zum mehr als zehnminütigen Bad in der Menge nebst Ringelpietz mit Anfassen nutzt, beherrscht sie ihr Publikum wie eine Domina den Freier. Daß derweil Schmid-Martelle und sein Saxophonist sich oben auf der Bühne gefällige Blues-Licks zuspielen, registrieren nur noch die wenigsten.