Willie Nelson – München, Colosseum


WAS HABEN DIE BLOSS AUS DEM COLOSSEUM GEMACHT? Die Halle ist an diesem Abend mit hölzernen Bierbänkenzur „Little Ole Opry“ umfunktioniert. Ein Hauch von Nashville und Oktoberfest weht durch den Münchner Osten. Vom Publikum ganz zu schweigen. Mit Dauerwellen und Schnauzbärten bewegt frau/mann sich in krokodilledernen Cowboystiefeln voller Überzeugung weit jenseits der Coolness-Grenze. Gut, daß wenigstens direkt vor der Bühne ein Typ im NOFX-T-Shirt steht. Dieser eine Halbcoole und die anderen paar tausend Uncoolen sind hier, um Willie Nelson, den Country-König der Coolness, zu sehen und zu hören. Wobei einem das Hören erst einmal vergehen kann. Zu behaupten, daß Willie Nelsons Band noch mit – na gut – gewissen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen hat, daß die Musiker sich halt noch ein bißchen „eingrooven“ müssen, wäre – bei allem Respekt vor der 65jährigen Country-Ikone – eine glatte Untertreibung. Willies „little sister Bobby“ dilettiert auf dem Flügel herum, sein langjähriger Schlagzeuger Paul English ist zunächst vollkommen plan- und taktlos bei der Sache. Und überhaupt scheint jeder da oben auf der Bühne zu spielen, was ihm gerade einfällt. Willie Nelson ist da keine Ausnahme. Er entlockt „Trigger“, seiner alten, abgeschrammten Akustikgitarre, ein paar schräge Töne, gerade so, als ob er beweisen wolle, daß er der Neil Young der Country Music ist. Wo doch jeder weiß, daß nur Neil Young selber der Neil Young der Country Music ist. Nach kaum einer Stunde sind die anfänglichen Abstimmungsprobleme auch schon behoben und die Musiker legen einen relativ soliden Set hin. Willie erweckt mit seiner nasalen Stimme ein Songbook zum Leben, das zu größten Teilen vor mehr als 25 Jahren zu Papier gebracht wurde. Ob er Eigenkompositionen („Night Life“, „I Never Cared For You“) interpretiert, die alle längst selber zu Klassikern geworden sind, oder aber auch Fremdkompositionen wie Townes Van Zandts „Pancho & Lefty“oder Kris Kristoffersons „Me & Bobby McGhee“- die Songs in diesen unnanchahmlichen Arrangements, in ihrer Mischung aus Country, Blues, Western-Swing und bedächtigem Rock’n’Roll wirken zeitlos und warm. Genauso wie Willie. Willie, der Mensch, der nach dem immer wieder aufbrandenden Beifall ungläubig ins Publikum blickt, und verwundert zu fragen scheint, „gilt dieser Applaus denn etwa mir?“Seinen Getreuen im Publikum winkt der „Country-Outlaw“ zu in einer Mischung aus Souveränität und Sanftmut, so wie es ein altersweiser Staatsmann wohl tun würde. Trotzdem, zweieinhalb Stunden Willie Nelson auf der Bühne, zweieinhalb Stunden lang Geschichten über verletzte Gefühle, verlorene Liebe, unendliche Einsamkeit – das kann leicht zu einem sirupsüßen Nachgeschmack führen und schlimmstenfalls zu einer Überdosis Nelson. Trotzdem, manche können einfach nie genug bekommen. Die ganz Hungrigen lauern Willie nach dem Konzert am Bandbus auf und lassen sich von ihm was erzählen über sein Handikap beim Golfen und über sein neues Album das – ganz Outlaw-mäßig – nur übers Internet zu bekommen ist.