Wolfgang Niedecken


Daß es gleich eine publizistische Links-Rechts-Kombination wurde, war zwar nicht geplant, wirkt nun aber doch wie eine konzertierte Promotion- Kampagne: Zeitgleich mit der neuen LP von BAP erscheint auch "Auskunft", Niedeckens autobiographische "Memoiren". Daß man die bereits im zarten Alter von 39 Jahren verfaßt, ist schon ein wenig ungewöhnlich - und zugleich Stoff für ein Interview, das Tom R. Schulz für ME/Sounds führte.

ME/SOUNDS: In diesem Herbst gibt es nicht nur eine neue BAP-Platte, sondern auch ein Buch von dir mit dem Titel „Auskunft“. Warum das Buch?

NIEDECKEN: Das ging eigentlich von hinten durch die Brust ins Knie. Eines Tages stand Helge Maichow von Kiepenheuer & Witsch bei uns im Büro und fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Erst wollte ich nicht, weil mir dazu die Zeit fehlt. Dann kam der Vorschlag, es einfach mal mit einem längeren Gespräch zu versuchen. Man kennt ja so Bücher „Gespräche mit…“. Ich habe so ein Buch, „Gespräche mit Antoni Tapies“, eins meiner Lieblingsbücher. Diesen Ansatz konnte ich mir vorstellen.

Dann sind wir, so um den Jahreswechsel ’89/ ’90, zu dritt in einen verlassenen Ort nach Holland gefahren, Matthias Immel, Helge Maichow und ich. Drei Tage haben wir uns im Hotel in den Frühstücksraum gesetzt und erzählt, was das Zeug hielt. Davon wurde ein Protokoll angefertigt, von dem ich eigentlich dachte, das wäre – mit den entsprechenden Fotos – schon das Buch.

Aber dann hieß es: Das liest doch keiner, 260 Seiten Interview! Also haben wir einen großen Teil in Prosa umgeändert, so daß das, was ich erzählt habe, nun in der Ich-Form erscheint. Dieses Umschreiben hat Patrick van Odijk besorgt, der mit BAP vorher überhaupt nichts zu tun hatte. Das brachte eine gewisse Unvoreingenommenheit, eine Objektivität, die ich bei dem Buch für wichtig hielt. Er hat auch versucht, sich irgendwie in mein Sprachgefühl reinzutasten.

ME/SOUNDS: Ist es für eine Autobiographie nicht vielleicht noch ein bißchen früh?

NIEDECKEN: Das ist keine Autobiographie! Es ist blöd, aber es gibt in der deutschen Sprache irgendwie nicht das richtige Wort für das, was wir da gemacht haben. Ich hatte nie vor, eine Autobiographie zu schreiben. Ich bin 39 Jahre alt, und ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, daß ich jetzt der Nachwelt meine ersten 40 Jahre reindrücken müßte. Ich würde eine Autobiographie erst dann schreiben, wenn ich das Gefühl hätte, daß ich fertig bin mit dem, was ich vor hatte. Da bin ich weit von entfernt.

ME/SOUNDS: Ist das nicht ein bißchen kokett, jetzt zu sagen, ich bin da reingeschlittert, man hat mich dazu überredet, und eigentlich wollte ich das gar nicht? Denn nun ist das Buch doch da, kostet 29 Mark 80 und dein Name steht oben drauf. Das heißt doch: Du stehst dafür ein.

NIEDECKEN: Ja, das kann ich auch. Da steht ja auch drin, wer an dem Buch mitgearbeitet hat; mir ist vollkommen klar, wie das Ding entstanden ist, und das kann auch jeder wissen.

ME/SOUNDS: Gemessen an der Ausführlichkeit, mit der du die ersten 40 Jahre deines Lebens schilderst, ist der Titel „Auskunft“ aber relativ neutral.

NIEDECKEN: Ich kann dir sagen, wo der Begriff „Auskunft“ bei uns herkommt: Wenn wir auf Tour sind, und in der Halle sitzt ein Journalist und wartet auf ein Interview, dann sagen die anderen zu mir nicht mehr: Du, da sitzt ein Journalist, der wartet auf ein Interview, sondern dann heißt es nur: Da, Auskunft! Insofern ist der Titel noch ein Überbleibsel der alten Form, wo tatsächlich über 260 Seiten Auskunft gegeben wurde.

Das war ja für mich auch der Haupteinwand gegen dieses Umschreiben in Prosa, der genau mit dieser Koketterie zusammenhängt. Denn jetzt kann jeder sagen: Hör mal, wer wollte denn überhaupt von dir Auskunft? Wie kommst du eigentlich auf die Idee, ungefragt diesen ganzen Kram zu erzählen?

Also, da ist schon ein Widerspruch drin, und den erkenne ich voll. Ich hab’s zwischendurch auch ein paar Mal verflucht, daß ich mich drauf eingelassen habe. Vor allem, als dann dieser Vorabdruck im „Express“ dazukam.

ME/SOUNDS. In der Kölner Lokalzeitung?

NIEDECKEN: Ja, und zwar so, wie das in einer Boulevard-Zeitung gemacht wird: Alles, was an Privatem in dem Buch steht und das ich nur drin gelassen habe, weil ich nicht kneifen wollte, haben die 1:1 übernommen, alles andere wurde ungeheuer verkürzt. Der „Express“ hat das Ding sogar umbenannt: Da hieß es dann auf einmal „Meine ersten 40 Jahre“ und nicht mehr „Auskunft“.

ME/SOUNDS: Wie haben denn die Betroffenen auf diesen Vorabdruck reagiert?

NIEDECKEN: Die fanden das natürlich überhaupt nicht toll. Alle, sei es die Band, seien es Freunde oder die Familie, alle haben gesagt: Ist das das Buch? Das ist doch nicht wahr?

ME/SOUNDS: Die Geschichte deiner nun gescheiterten Ehe mit Carmen nimmt in deinem Buch einen breiten Raum ein. Hast du ihr das Manuskript deines Buchs zu lesen gegeben, bevor es erschien?

NIEDECKEN: Nein, und ich frage mich immer noch, ob das richtig war oder falsch. Wenn ich es ihr gegeben hätte, wäre wahrscheinlich ein Buch draus geworden, wo überhaupt nichts mehr aus meinem Privatleben drinstünde. Und der nächste Schritt wäre dann gewesen, daß ich eigentlich jeden, der im Buch vorkommt, hätte fragen müssen: Ist das für dich okay, kannst du damit leben?

ME/SOUNDS: Auf eurer neuen Platte ist ein Stück, „Domohls“, in dem du dich an deine Internatszeit in einem katholischen Konvikt in Rheinbach erinnerst. Auch im Buch spielt diese Zeil eine wichtige Rolle. Würdest du sagen, daß diese Internatszeit eine traumalische Erfahrung war?

NIEDECKEN: In der ersten Zeit, ja. Die war richtig traumatisch, und deswegen kommt es auch immer wieder hoch. Sämtliche Eltern behaupten, die Kinder sollen es mal besser haben, ich bin da als Vater meiner Kinder keine Ausnahme. Es gibt aber auch einfach Sachen, die möchte ich Kindern gerne ersparen. Und dazu gehören solche traumatischen Erfahrungen wie meine Anfangszeit im Internat. Zuhause lebte ich in so einem „Ponderosa-Clan“, ich hatte tausend Anlaufpunkte, wenn ich ein Problemchen hatte. Das habe ich zwar so gut wie nie ausgenutzt, aber ich wußte, es ist da, wenn ich will. Und im Internat war nix mehr; das war mir von einem Tag auf den anderen entzogen. Da kam ich rein in eine Männergesellschaft, und so kleine Männer können auch ganz schön hart sein. Und dann gab es diesen speziell sadistischen Peter, wo ich überhaupt nicht mehr wußte, wohin. Wenn ich mir das heute vorstelle, macht mich das immer noch aggressiv.

ME/SOUNDS: Du schreibst viel über Konflikte mit deinem Vater. War das der eigentliche Knackpunkt zwischen euch, auf einer tieferen Ebene, daß er dich gegen deinen Willen ins Internat geschickt hat?

NIEDECKEN: Nee, das habe ich dem nie krumm genommen. Wenn die mich besucht haben, war das immer wunderschön. Da war dann auch das alte Gefühl wieder da, das ich zuhause immer hatte. Nee, dieser ganze Clinch mit meinem Vater, das war einfach das Typische, daß man in der Pubertät einfach jemanden braucht, an dem man sich reiben kann. Und mein Vater war da das ideale Opfer. Der Mann lief mir einfach ständig ins Messer. Was meinst du, wie mir das nachher leid getan hat, als ich gemerkt habe, was ich mit dem angestellt habe. Er war einfach völlig hilflos; er wollte nur „das beste“ für mich, aber er konnte mir überhaupt nicht mehr imponieren. Das war noch nicht einmal eine Haßliebe. Ich war ein absolutes Papakind, bis zur Pubertät. Und auf einmal merkte ich: Der Mann hat ja überhaupt nie mal irgendwo Zivilcourage gezeigt. Der hat immer nur mitgemacht. Ging den Weg des geringsten Widerstands.

Diese Erfahrung, daß dieser so geliebte Mensch überhaupt nichts hatte, das mir hätte imponieren können, außer seiner Herzlichkeit, das war schon schlimm.

ME/SOUNDS. In deinem Buch erfährt man so viel über dich und deine Lebensgeschichte, daß man jetzt viele deiner Songtexte, quasi mit dem Buch als Leitfaden, auf ihren biographischen Bezug überprüfen kann. Auch auf der neuen Platte gibt es ein paar Songs, die sich, hat man dein Buch gelesen, nun leicht entschlüsseln lassen. Ich das nichteine Verarmung?

NIEDECKEN: Es gibt Texte von berühmten Kollegen, von denen ich weiß, wo sie herkommen, und die mir dann was anderes bedeuten als Texte, bei denen ich immer wieder überlegen muß: Was ist das, was mich da am Denken hält? Kann sein, daß man. wenn man weiß, wo die Texte herkommen, abwinkt und sagt: Okay, jetzt wissen wir’s ja, Ende. Kann aber auch sein, daß es dann für die Leute die Möglichkeit gibt. Indizien zu finden, um sich mal an einen anderen Text zu wagen, um da was zu kapieren.

Aber es stimmt schon: Ich habe gemerkt, daß sich dadurch was geändert hat. Wenn ich jetzt „Nie met Aljebra“ singe, das früher als sehr verschlüsselt galt, dann weiß ich: Das liegt jetzt völlig offen, da ist nichts mehr verschlüsselt. Von Verarmung würde ich da aber nicht sprechen.

ME/SOUNDS: Der Opener eurer neuen Platte, „Mir sinn widder wer“, ist alles andere als verschlüsselt. Es ist vielmehr eines der wenigen Stücke mit explizit politischem Inhalt. In dem Text ereiferst du dich darüber, daß die Deutschen jetzt mit ihrer Wiedervereinigung so selbstbezogen sind, daß sie alle anderen, eigentlich viel wichtigeren Nachrichten total ignorieren. Du selbst singst aber über noch privatere Dinge. Ein gutes Vorbild bist du dir nicht gerade.

NIEDECKEN: Ja.

ME/SOUNDS: Nimmst du diesen Widerspruch wirklich wahr, oder sind das für dich zwei Paar Schuhe?

NIEDECKEN: Das sind schon zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich laß es einfach erstmal nur fließen. Ich denke, daß das für mich die beste Methode ist, es erstmal nur rausfließen zu lassen und dann zu gucken, was davon verwendbar ist. Und dann erst zu gucken, in welchem Kontext wir uns denn eigentlich in einem etwas globaleren Sinne bewegen. In der Zeit, als ich die Texte für die neue Platte geschrieben habe, gingen mir einfach unheimlich viele persönliche Sachen durch den

Kopf. Wenn ich ehrlich bin, wäre es einfach aufgesetzt gewesen, wenn ich da über übergeordnete Dinge geschrieben hätte. Denn so viele Gedanken habe ich mir zu der Zeil, als es mir ans Eingemachte im privaten Bereich ging, gar nicht gemacht. Ich habe zwar alles mitgekriegt und auch verfolgt; aber immer, wenn ich versucht habe, das zu formulieren, ging das nicht.

In der Band haben sie schon gesagt: „Wolfgang, wir haben doch schon so viele Stücke zu dem Thema, wir haben eigentlich gar keine Lust dazu.“ In der ersten Version endete „Mir sinn widder wer“ tatsächlich im Sudan, aber als ich den Text dann vorgespielt habe, saßen alle da und sagten: „Du hast recht, du hast wirklich recht, aber kannst du nicht mal woanders ankommen?“ Da habe ich’s nochmal mitgenommen.

ME/SOUNDS: Bei dieser Nummer hat man jedenfalls das Gefühl, daß sich die Musik über die Wiedervereinigung weit mehr freut als der Text. Steht nicht zu befürchten, daß dieses Lied ab Hymne mißverstanden wird?

NIEDECKEN: Also, das reizt mich eigentlich an dem Stück, daß es mißverstanden werden kann. Es ist wirklich eine Gratwanderung, das habe ich bei meinen Kindern mitgekriegt: Die hören das Lied auf der Cassette, kapieren die Strophen nicht, hören den Refrain und – sind wieder bei der Fußballweltmeisterschaft und haben Spaß. Da kommt soundso oft Deutschland vor und Hurra; für die ist das ganz naiv: Jetzt haben wir wieder ein Fußballspiel gewonnen.

Aber ich denke, wenn sich jemand eine BAP-Platte anhört oder dieses Lied … man kann den Leuten doch nicht das Denken abnehmen. Die müssen schon selber merken, daß da ein Stolperstein ist, und ich bin gespannt darauf, was mit dem Ding passiert.

ME/SOUNDS: Im Buch schilderst du, wie es während der Produktion von AHL MÄNNER, eurer vorletzten LP, fast zur Liquidierung der Band gekommen wäre. Wie habt ihr euch im Studio bei den Aufnahmen zur neuen Platte verstanden?

NIEDECKEN: Wir haben noch nie so entspannt an einer BAP-Platte gearbeitet wie diesmal. Die vorige stand noch unter dem Eindruck der China-Tour. Da hatten wir uns gerade wieder gut zusammengefunden, aber da war das Eis noch ziemlich dünn. Jetzt ist das Vertrauen zueinander um ein vielfaches größer geworden, und damit auch die Bereitschaft, mal was zu wagen, was BAP eigentlich nicht machen kann. Bei der DA CAPO-LP sind wir zum Beispiel mit dem Vorsatz ins Studio gegangen, daß nur die Leute bei den Aufnahmen mitwirken sollten, die dann auf der anschließenden Tour auf der Bühne stehen würden.

Bei X FÜR E U war es unausgesprochen ähnlich geplant. Nur Julian Dawson, der Mundharmonika spielt und backing vocals singt, sollte dabei sein. Und dann merkten wir im Studio: Hoppla, wir sind ja flexibler, als wir geglaubt hatten. Ich kam auf die Idee, daß „Vis a vis“ zum Beispiel gut einen Damen-Backing-Chor brauchen könnte. Kurzes Überlegen. Ja, ist okay. Das war ein unheimlich schöner Moment, der Moment im Studio, wo es „klick“ machte. Die Mädels sangen den Refrain, improvisierten noch ein bißchen über den Schluß, und alle hingen im Aufnahmeraum – und du merktest richtig, wie die Mundwinkel hochgingen.

Der Major war nur ab und zu mal reingekommen, und ich dachte: Oh, wie wird der das jetzt finden? Er räusperte sich dann mal so, hm, hm, und dann sagte er zu den Mädels: Habt ihr noch ein bißchen Zeit? Und auf einmal waren die Mädels noch auf fünf weiteren Nummern. Von da ab war manches möglich.

Es geht also wieder bei BAR auch im Studio. Ich hatte schon vorher gemerkt, daß bei BAP wieder einige Sachen gingen, die vor der Complizen-Zeit nicht möglich gewesen wären. Diese Platte ist jedenfalls ein weiterer Baustein zu meiner Beruhigung; ich weiß, wenn wir jetzt mal was komplett Ausgefallenes probieren wollen, wird das auch probiert. Und nicht mehr von vornherein abgeblockt.

ME/SOUNDS: Du schreibst die Texte, der Major ist für die Musik zuständig. Sind die übrigen BAP-Mitglieder überhaupt mit von der Partie, wenn’s ans Teilen der Tantiemen geht?

NIEDECKEN: Inzwischen bemühen wir uns. das zu bezahlen, was die Einzelnen tatsächlich geleistet haben. In der Vergangenheit war es so, daß unter einem Song „Heuser/Niedecken“ stand; der MusikanteiJ wurde dann durch die Musiker geteilt, den Textanteil behielt ich. Mittlerweile kann sich jeder, der an einem Song mitgearbeitet hat, auch drunter schreiben lassen. Dieser Punkt hatte in der Vergangenheit tatsächlich zu Ärger geführt. Denn jeder in der Band, egal ob er nebenbei noch einen anderen Job machte und nichts konkret zu BAP beitrug, bekam den gleichen Teil. Das war insofern nicht gerecht, als gerade der Major einen weit größeren Anteil an BAP hat als jemand, der nur zur Tour auftaucht – und anschließend wieder weg ist. So was muß ja böses Blut geben. Trotzdem: Der Hauptgrund, warum es damals in der Gruppe kriselte, war das nicht.

ME/SOUNDS: Ist das Stück „Land in Sicht“ eine Chiffre für die desolate Lage, in der sich BAP nach der AHL MANNER-Session befand?

NIEDECKEN: Ich habe erst sehr spät bemerkt, daß man das Stück auch darauf anwenden kann. Eigentlich ist es eine Beziehungsgeschichte, eine Geschichte über Carmen und mich. Aber man kann es genauso gut auf BAP damals anwenden. Als mir diese Parallele aufgefallen ist, habe ich eine kleine Gänsehaut gekriegt.

ME/SOUNDS: Welche Rolle spielt Phil, euer Co-Produzent? Ist er in der Gewichtung einem BAP-Mitglied vergleichbar?

NIEDECKEN: Ja. der ist für die Band als Integrationsfigur sehr wichtig. Das Vertrauen, das bei DA CAPÖ jeder zu Phil entwickelt hat. hat sich gehalten, deswegen sind wir ja auch wieder zu ihm nach Brüssel ins Studio gegangen – ganz abgesehen von dem Komfort, den wir da hatten. Jeder von uns vertraut dem Phil hundertprozentig. Das ist oft schwierig in einer Band, denn die Gefahr besteht ja immer, daß sich der Produzent zu einer Clique innerhalb der Band hinziehen läßt, und daß die anderen sagen: O je, jetzt ist der auch einer von denen.

ME/SOUNDS: So, wie du es mit Mack, dem Produzenten der AHL MÄNNER-LP, erlebt hast?

NIEDECKEN: Ja. mit dem Mack habe ich es eher so gespürt. Der Mack kommt in meinem Buch etwas schlechter weg, als er es verdient hat. Ich wäre damals an den Mack rangekommen, wenn ich es versucht hätte. Aber ich habe es nicht mehr versucht. Da war mir im Vorfeld dieser ganzen Geschichte der Mut dermaßen genommen, daß ich gar nicht mehr angesetzt habe. Ich bin mir sicher, daß es nach nur einem klärenden Gespräch anders gelaufen wäre. Aber ich war schon in der Resignationsphase.

Und als sie dann den Jan Dix nicht mehr als Trommler haben wollten und Curt Cress die Schlagzeugparts spielte, hat mir das den letzten Hoffnungsschimmer genommen. Da war dann Ende. Da bin ich dann nur noch hin und hab mir sagen lassen: Da singst du schief, sing die Zeile nochmal. Ich habe meine Stimme als ein Instrument benutzen lassen. Aber da liegen Lichtjahre zwischen dieser Produktion und der neuen Platte. Als der Mack dann am Schluß zu mir sagte: „Aus dir wird auch nochmal einer…“, ich glaube, der hat das sogar nett gemeint. Ich hatte auch wieder mörderisch einen im Tee, und habe mir gesagt: Geh jetzt, sag jetzt ear nichts.

ME/SOUNDS: Werdet ihr mit der neuen Platte auf Tour gehen?

NIEDECKEN: Natürlich. Zuerst im Januar/Februar ’91, da machen wir eine Club-Tour, im Mai/ Juni dann die großen Hallen und Festivals. Wir wollen noch mal so klein spielen wie möglich, in Clubs mit einem Fassungsvermögen so um die 1000 Leute. In Hamburg spielen wir in der Markthalle, in Bochum in der Zeche, in Frankfurt in der Batschkapp, in Köln im E-Werk, in München in der Theaterfabrik – so in der Art. Wir haben die ganze Tournee nach dem Bock-Prinzip zusammengestellt. Wir wollen einfach da, wo wir spielen, auch Lust haben, auf die Bühne zu gehen. Die Club-Tour war ein großer Wunsch von uns, ganz abgesehen davon, daß das natürlich auch eine dolle Promotion-Nummer ist.

ME/SOUNDS: Die Gästeliste wird ellenlang sein, und das Publikum wird sich ärgern, denn nur ein Bruchteil eurer Fans wird bei einem Club-Konzert pro Stadt dabei sein können.

NIEDECKEN: Die, die aufmerksam sind, werden es mitkriegen. Wir versuchen, das in den jeweiligen Großräumen auch anzukündigen. Das steht dann in der Zeitung mit einer Telefonnummer, wo man anrufen und sich Karten reservieren lassen kann. Und wenn die Karten weg sind, sind sie weg. Also die, die jetzt schon die Ohren aufgestellt haben, die werden das auch ganz bestimmt mitkriegen. Es ist also eine Belohnung für die Aufmerksamen.

ME/SOUNDS: Das ist ein eigenartiges Prinzip…

NIEDECKEN: Zugegeben. Aber wir haben das nicht zu unterschätzende Privileg, daß wir an dieser Club-Tour nichts verdienen müssen. Darum werden wir auch darauf achten, daß nicht mehr Karten verkauft werden, als Leute reinpassen. Wir verdienen nachher genug an der großen Tour. Wir haben auf die Club-Tournee derart große Lust, daß wir das Ding sogar unter falschem Namen machen würden, so wie Dylans „Rolling Thunder Revue“.

Aber das wäre dann für die Leute noch ärgerlicher. Dann wird es vielleicht nur viertel voll, weil keiner weiß, daß wir das sind. Und die. die gekommen sind, haben dann unheimlich Schwein gehabt – und die. die nicht da waren, die reißen sich die Haare aus und denken: Scheiße, wir hätten BAP im Club sehen können. Die Nummer wäre dann doch sehr kokett. Und die großen Hallen machen uns ja nun auch ganz schön Spaß …

ME/SOUNDS: Dein Alkoholkonsum spielt in deinem Buch auch eine Rolle. Seit drei Jahren, schreibst du, bist du trocken. Ist das immer noch so?

NIEDECKEN: Ja, ich bin eine alte Suchtel. Du siehst es schon an meinem Kaffeekonsum. Wenn ich mit einem Ding anfange, wird’s schnell grenzenlos.

ME/SOUNDS: In Abwandlung des offiziellen Titels heißt eure vorletzte Tour in deinem Buch „Zwischen Salzgebäck und Bordeaux“. Die Sauf-Gefährdung scheint auf Tournee am größten zu sein. Angst vor dem Rückfall?

NIEDECKEN: Im Moment nicht. Ich habe mich, auch durch das Buch und die neue Platte, gedanklich dermaßen intensiv mit dem ganzen Kram auseinandergesetzt, ich habe ausgemistet mit meinen Problemchen, auch mit meinem Heiligenschein – einige Sachen werden mir nicht wieder passieren.

Im Rahmen dieser ganzen Trennung zwischen Carmen und mir sind Sachen aufs Tapet gekommen, die man am besten als Katharsis bezeichnen kann. Solche Sachen sind auch zwischen meiner Freundin Tina und mir abgelaufen: die weiß inzwischen genau, was mit mir los ist, wo sie mich auffangen muß. Und sie wird auf der Tour auch sehr oft dabeisein.

Für mich war es auch kein Zustand, allein auf Tour zu gehen. Die Gratwanderung: Gehe ich jetzt noch in die Hotelbar und mache einen drauf, oder bin ich vernünftig und gehe ins Bett? – die schaffe ich mittlerweile. Ich habe es auch schon auf der vorigen Tour geschafft. Aber ich kann mir was Schöneres vorstellen, als mich jeden Abend mit meinem Trotz ins Bett zu legen. Ich bin nicht so romantisch drauf, daß ich den Blues dann ständig genieße. Da habe ich es lieber, wenn es mir besser geht.