Ziggy Marley – Reif von der Insel


Erfolgsdruck ist ihm ein Fremdwort, der große Name belastet ihn nicht. Seinen 20 Jahren zum Trotz hat der Sohn von Bob Marley eine menschliche Reife und Gelassenheit entwickelt, wie es vielleicht nur in dieser sonnigen Umgebung möglich ist ME/Sounds-Mitarbeiter Peter Jebsen besuchte Ziggy Marley dort, wo er seine Wurzeln hat.

Ich habe keine Lust, irgendeine Verantwortung für die Reggae-Musik zu übernehmen. Meine Verantwortung liegt nur darin, meine Musik zu machen, und das so gut wie möglich!“

David „Ziggy“ Marley erteilt eine klare Absage an diejenigen Fans seines Vaters, die nach Bob Marleys Tod Sohn Ziggy zu einer Art Ersatzheiligen ausriefen und heute von ihm Aufschlüsse über die Zukunft des Reggae erwarten. Dem 20jährigen Chef der Melody Makers ist es wichtig, nicht als Abklatsch des 1981 verstorbenen Reggae-Übervaters gesehen zu werden – andererseits bereiten ihm die ständigen Vergleiche auch keine allzu großen Probleme.

„Es ist nur logisch, daß wir miteinander verglichen werden. Das wird sich nie ändern. Aber die Leute sollten endlich begreifen, daß die musikalischen Wurzeln von mir und den Melody Makers viel tiefer liegen: Schon meine Großeltern haben Musik gemacht, die Musik hat unserer Familie also schon vor meinem Vater im Blut gelegen. Wir waren davon umgeben, wie soll man davon nicht beeinflußt werden?“, sagt Marley in seinem breiten jamaikanischen Patois-Dialekt.

Wir unterhalten uns im ehemaligen Wohnhaus von Bob Marley an der Kingstoner Old Hope Road, das heute als Museum dient. Ziggy Marley hat es jedoch nur deshalb als Treffpunkt ausgewählt, weil es zentraler liegt als das heutige Familiendomizil am Fuß der Blue Mountains. Auch sonst ist es nicht unbedingt ein Pilgerort für ihn, an dem er aus dem Gebiet des Vaters spirituelle Energie schöpft: „Normalerweise komme ich nur hierher, um Fußball zu spielen, mit den Ladies im Büro zu sprechen oder um im Garten etwas zu trinken und gelegentlich Fußball zu spielen. Wir haben hier schließlich einmal gelebt, es ist also für uns kein Ort zum Beten.“

Eher zum Nachdenken über „Babylon‘ – wie die westliche Überflußgesellschaft von gläubigen Rastas genannt wird. Denn Ziggy Marley glaubt, daß die weltweit kursierenden Verschwörungstheorien über die Ermordung seines Vaters (offizielle Todesursache: Gehirntumor und Lungenkrebs) tatsächlich mehr sind als nur Gerüchte: „Natürlich! Mein Vater und viele Männer vor ihm sind von den Kräften, die solche Leute nicht nach oben lassen wollen, körperlich kaputtgemacht worden. Die Prinzipien meines Vaters paßten nicht zum kapitalistischen System – sie richteten sich ausschließlich an den Menschen aus, es ging um Freiheit und um den Kampf darum. Wer sich dafür einsetzt, um den kümmern sich nun einmal Organisationen wie CIA, KGB, FBI und Mafia.“

Die Museums-Oase, von der Umwelt durch eine hohe Mauer und ein dickes Gittertor abgeschottet, liegt in einer der besseren Gegend der jamaikanischen Hauptstadt Kingston, die ansonsten mit dem relaxten Karibik-Image der Zwei-Millionen-Insel nur wenig gemeinsam hat. Eine laute, hektische Innenstadt, ausgedehnte Slum-Gegenden mit Wellblechhütten, verbunden durch schlaglochübersäte Straßen, die sich Ziegen, fliegende Händler, Kamikaze-Raser und im Sardinendosen-Stil vollgepackte Mini-Busse teilen – so sieht das Jamaika aus, das die rührige Touristenwerbung des Dritte-Welt-Staates seltener zeigt.

Und überall ist Musik. Sie dröhnt einem aus den durch die Gegend bretternden Bussen entgegen – die meist als fahrende Sound-Systems ausgerüstet sind; aus Geschäften schallt sie, um Kunden anzulocken – und wenn es irgendwo einmal ruhig sein sollte, springen sofort Ghetto-Blaster in die Bresche. Dabei ist es bei weitem nicht nur der pumpende Reggae-Rhythmus, der für die jamaikanische Open-Air-Version von Berieselungsmusik sorgt. Mindestens genauso populär auf der Insel ist angloamerikanische Popmusik – Groove stimmt.

Kein Wunder, daß sich darauf auch die Reggae-Musiker eingestellt haben. Mehr Melodik, mehr Synthesizer, weniger Dub-Effekte sind in der Pop-Abteilung der lokalen Musikszene angesagt. Als „major recording artists“ gehören auch Ziggy Marley und die Melody Makers dazu, nachdem schon Vater Bob die Schlagkraft eingängiger, poppiger Klänge erkannt hatte.

Seine Sprößlinge haben dies auf die späten 80er Jahre übertragen: Das neue Werk von Ziggy & Co., ONE BRIGHT DAY, enthält lockeren Sunshine-Reggae mit den gewohnten textlichen Botschaften, die zum Teil auf den ersten Blick nicht wesentlich tiefschürfender sind als Schlagertexte der Marke „Laß die Sonne in dein Herz“. Doch Haupt-Songwriter Ziggy Marley hat auch eine Message, wobei die Titel fast schon alles sagen, was zu sagen ist („Black My Story – Not His-tory“, „Love Is The Only Law“, „Justice“). Als gläubiger Rastafari erweist er Jah/Gott seine Referenz und zelebriert auf textlich subtile Weise auch jenes Kraut, das man auf Jamaika seit Menschengedenken so gern raucht (“ Urban Music“ = Herb and music).

So spirituell-harmonisch wie seine Texte gibt sich Ziggy Marley auch im Gespräch. Handfestes zur neuen LP ist von ihm nur wenig zu erfahren. Die Alben der Melody Makers würden sich vor allem durch die zeitlichen Abstände zwischen den Produktionen unterscheiden: „Alles ändert sich zwangsläufig mit der Zeit, niemand bleibt an einem Punkt stehen.“

Zu der Vermutung, seine Co-Produzenten Tina Weymouth und Chris Franz (Talking Heads/Tom Tom Club) seien von seiner Plattenfirma aus rein kommerziellen Gründen im Spiel gebracht worden, nimmt Ziggy allerdings offen Stellung. „Einen Namen zu haben, ist wichtig – Tina und Chris werden von bestimmten Radioleuten erkannt. Sie waren einfach zur rechten Zeit am rechten Ort!“

Ursprünglich sollte CONSCIOUS PARTY, die erste Zusammenarbeit von Weymouth, Frantz und den Melody Makers, von Alex Sadkin produziert werden. Der britische Producer, der schon mit Bob Marley gearbeit hatte, war jedoch vorher bei einem Autounfall in der Nähe von Kingston ums Leben gekommen. Daraufhin schlugen Virgin das amerikanische Paar vor. „Zugegeben: Ihre Musik hatten wir vorher noch nicht gehört. Aber das macht nichts – im Studio ist es am wichtigsten, daß wir das spielen, wobei wir uns gut fiihlen. Dabei spielt es keine Rolle, wer uns produziert. Die Produzenten müssen am Ende nur dafür sorgen, daß es gut klingt!“

Hauptsache, der Den Grundstein dafür legten Tina Weymouth und Chris Franz zu Beginn der Cooperation erst einmal dadurch, daß sie Ziggy und die Melody Makers für die Aufnahmen von Jamaika und dem dort zu erwartenden Einfluß von Fans, Neidern und Ja-Sagern weglotsten. Während CONSCIOUS PARTY in New York City eingespielt wurde, fand die Produktion der aktuellen LP in den Compass Point Studios auf den Bahamas statt.

„In New York ist mir zu viel Beton, dort bleibe ich nie eine Minute länger als nötig. Aber ich kann mich ohnehin nicht allzu lang außerhalb von Jamaika aufhalten. Im Ausland fehlt mir die Inspiration, nur mein Heimatland kann mich wirklich aufrichten!“

Laut Marley sei man nur deshalb „ausgewandert“, weil sich Jamaika noch nicht auf dem letzten Stand der Studiotechnik befinde.

An einem (selbstverständlich sonnigheißen) Sonntag kehren Ziggy und die Melody Makers von dort endlich wieder in ihr geliebtes Jamaika zurück, wo sie von den üblichen Kriminal-Schlagzeilen der lokalen Presse begrüßt werden. Da hat ein Polizist einem privaten Widersacher das Gesicht mit Säure verätzt, mehrere Familien beklagen Todesfälle wegen Bleivergiftungen durch Pfuschereien von Do-it-yourself-Batterieproduzenten, Monate nach dem katastrophalen Hurrikan Gilbert verrotten immer noch einige der aus dem Ausland gespendeten Hilfsgüter in Lagerhallen vor sich hin, und auf dem Kingstoner Flughafen streiten sich Polizei und Armee handgreiflich um die Kompetenzen bei der leidigen Drogenkontrolle unter den Fluggästen.

Das Grundproblem der ehemaligen britischen Kolonie ist für Ziggy Marley die bittere Armut. „Darin sehe ich die Ursache für viele Übel auf Jamaika. Die Armut macht die Leute gewalttätig und verzweifelt – wer zum Beispiel keine Arbeit hat und seine Familie nicht anders unterstützen kann, muß sich seine notwendigen Lebensmittel eben mit Gewalt holen!“

Jamaika zu verlassen, ist für Ziggy Marley undenkbar – schon gar nicht aus Gründen der Karriere. “ Wir haben hier angefangen, und deshalb wollen wir unsere Karriere hier fortsetzen! Der einzige Ort, an dem ich mir gern ein Haus kaufen würde, ist Afrika. Aber ganz dorthin umzuziehen, ist derzeit nicht möglich. Wenn wir das täten, würde man uns vorwerfen, vor den Problemen davonzulaufen. Weggehen könnten wir erst, wenn sich die Lage in Jamaika verbessert hat.“

Noch vor Jamaika stellt Ziggy – wie sollte es anders ein – seine Familie, die in der Mountain-Villa zusammenlebt. „Ob ich ohne meine Familie leben könnte? Diese Frage stellt sich für mich nicht. Die Familie ist eine Einheit – wenn du mich fragst, was ich über die Familie denke, dann fragst du mich über mich selbst aus. Ich kann mir nicht vorstellen, daß mich die Familie jemals neni. Das würde doch praktisch bedeuten, daß ich mich selbst nerve! Jedes andere Familienmitglied wird dir das Gleiche sagen.“

Sie leben zusammen – und sie machen zusammen Musik. Nachdem ihr Vater schon häufiger mit ihnen gejamt hatte, standen der damals zehnjährige Ziggy und der Rest der Melody Makers (Bruder Stephen und die Schwestern Cedella und Sharon) schließlich 1979 zum ersten Mal im Studio, um den Bob-Marley-Song „Children Playing In The Street“ aufzunehmen. Teile der frühen Sessions landeten auf dem Debüt-Album. „Das war für uns eine ganz natürliche Entwicklung, niemand hat irgendeinen Druck auf uns ausgeübt.“

Eine Mitarbeiterin von Ziggy Marleys Plattenfirma gibt das Signal, daß der Herr Künstler genug geredet hat – doch der will zum Schluß noch erklären, wie sich die Lage seiner „großen Familie“ Jamaika zum Besseren wenden ließe: „Wenn wir eine Lösung für irgendeins der Dritte-Welt-Länder finden könnten, dann würde es gleich allen anderen armen Ländern besser gehen. Die Befreiung von Südafrika zum Beispiel brächte auch für Jamaika Veränderungen mit sich. Wenn uns die Auslands-Schulden erlassen würden und die Öffentlichkeit die Finanzen wieder selbst in die Hand nehmen könnte, anstatt die paar Einnahmen direkt an die Gläubiger weiterzuleiten, könnten mit einem Schlag viele Problemegelöst werden. Davor stehen jedoch die ausländischen Investoren, die selbst in unserer verzweifelten Situation noch an uns Geld verdienen wollen …“