Zu House bei den Martins


Seltsame Vögel, diese Housemartins. Kein Klatsch, keine Skandale, keine Mädchengeschichten: Die denken nicht im Traum daran, sich wie Popstars zu benehmen. Grund genug, sich die Jungs mal aus der Nähe anzusehen — nicht etwa in „Swinging London“, sondern in ihrer selbstgewählten Heimatstadt Hüll, an der englischen Ostküste.

Hüll liegt knapp 400 Bahnkilometer nördlich von London, auf halbem Wege nach Schottland und gleich an der Nordsee. Im offiziellen Sprachgebraucht heißt die extra-triste 270O00-Einwohner-Stadt „Kingston Upton Hüll“, im Volksmund „The Fish City“.

Trotzdem freut man sich, nach gut drei Stunden British Railway endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Der Intercity-Großraumwagen war schon reichlich bockig (es wird dringend geraten, die Deckel der Kaffeepötte nur wahrend des Aufenthalts in Bahnhöfen zu öffnen), aber beim Triebwagen Doncaster — Hüll handelte es sich offenbar um eine Leihgabe vom Münchner Oktoberfest: Jungs, wenn ihr aufs Klo geht. SETZfEUCH HIN!

Hulls Innenstadt gibt sich auch ohne Nebel grau in grau, da wirkt die Newland Avenue mit ihren Geschäften und Pubs schon ein bißchen bunter. Die Segelohren da vorn am Briefkasten, das ist doch — hallo Hugh! Der frühere Drummer der Housemarüns legt den Kopf schief, zieht die Schultern ein wenig hoch und grinst verschmitzt-verlegen. Hugh hat sich Ende letzten Jahres aus dem aktiven Musikerleben zurückgezogen, um erst mal in Ruhe zu studieren. Jetzt will er gerade auf einen Sprung bei seinen alten Kumpels vorbei.

Die Housemartins („Mehlschwalben“) nisten im „House Of Strangeness“, Newland Avenue 173. ein früherer Laden mit weiß ausgemalten Schaufenstern und Labour-Wahlplakaten an den Scheiben. Das Erdgeschoß sieht aus wie kurz nach einem Bomben-Einschlag, dafür beginnt im ersten Stock langsam aber sicher Big Business Einzug zu halten. Die Housemartins sind keine belächelte Provinzband mehr, sondern Hitlieferanten, und da klingeln die Telefone im Zwei-Minuten-Takt.

Früher hat die Band alles selbst gemanagt: Auftritte organisiert, Fanpost erledigt, Termine koordiniert, sogar die Buchhaltung (Gitarrist Stan Cullimore. 26. ist Mathe-Freak).“.Das würden wir heute gar nicht mehr schaffen“, schüttelt der Chef-Denker. Texter und Sänger Paul ,P.d: Heaton (25) den Kopf“Darum haben wir ein paar Leute eingestellt, damit sie eine Entschuldigung zum Nichtstun haben“, ergänzt Stan und grinst zum eifrig Tabellen kritzelnden Kassenwart. „Trotzdem machen wir möglichst viel selber — die Leute bei den Plattenfirmen sind ja eh nur damit beschäftigt, Drogen zu nehmen, groß essen zu gehen und sich vollaufen zu lassen. „

Man muß sich die Bande vorstellen wie Donald Ducks Neffen Tick. Trick und Track, bloß mit Labour-Programm statt Pfadfinder-Handbuch. Die Housemartins sind zwar zu viert, aber ihre Drummer, der alte wie der neue (Dave Hemingway, 26), reden nicht viel und fallen auch sonst nicht groß auf. Paul. Stan und Bassist Norman Cook (23) sind dagegen ausnehmend gesprächig, bringen allerdings kaum einen Satz zu Ende, sondern lassen ihn einfach vom nächsten fortsetzen.

Dabei sind die vier beileibe nicht aus einem Holze geschnitzt; ganz im Gegenteil, die Rollenverteilung ist geradezu klassisch. Dave —“.der geheimnisvolle Stille“. Paul — „der sensible, engagierte Grübler“, Stan — „der revolverschnauzige Clown“ und Norman — von allem ein bißchen. Dieser ausgewogenen Mischung verdanken sie ihre Popularität, zumindest in England. Vier Irgendwers, die es geschafft haben, die etwas zu sagen haben und trotzdem Spaß machen, die jeder mögen muß, weil sie wie jeder sind.

Was sollen die Fans von heute als Eltern von morgen ihren Kindern erzählen, wenn die ihre alten Housemartins-Platten im Keller gefunden haben? Paul: „Das war eine Band, die sich nie ans Business verkauft hat.“ Norman: „Eine ulkige Band.“ Paul: „Eine kompromißlose Band.“ Stan: „Sie waren ganz okay, bis sie vor der Steuer fliehen mußten und versuchten, Birmingham zu kauen…“

Spaß beiseite — ihr eindeutiges Engagement hat den Housemartins natürlich nicht nur Fans gebracht. Daß sie sich obendrein sehr genau überlegen, welche Medien-Spielchen sie mitspielen und welche nicht, mochten besonders Boulevard-Blätter vom Kaliber der englischen „Sun“ nicht schlucken und ohrfeigten sie, wo es nur ging: „Die Housemartins tun nur so, das sind in Wirklichkeit Reiche-Leute-Kinder; sie haben ihren knuddeligen Schlagzeuger rausgeekelt, usw. usw.“

„Natürlich hatten wir rechtlich gegen solche Sachen angehen können, die entsprechenden Prozesse hätten auch wir mit Sicherheit gewonnen, aber was hätte uns das gebracht?“ zuckt Paul die Achseln. „Wer weiß, was die als nächstes geschrieben hätten. Wir sind ja schon froh, daß sie unsere Eltern wieder in Ruhe lassen. Erst neulich waren sie wochenlang hinter einer früheren Freundin her, fragten sie ständig, wie ich denn so gewesen sei, warum wir wieder auseinander seien und so. Dabei waren wir damals höchstens eine Woche zusammen: mit 14!!“

Norman will davon gar nichts mehr wissen („Wenn die dich einmal auf dem Kieker haben, können sie dich zum totalen Arschloch machen“), und Stan erinnert sich nur kopfschüttelnd an seine erste Begegnung mit Journalisten, die dafür bezahlt wurden, seine Mülltonne nach sensationellem Abfall zu durchsuchen.

Daß sie auf der Straße und in Kneipen jeder Zweite erkennt, stört die vier weniger: nur wenn allgemeines Getuschel einsetzt oder anbiedernde Discjockeys sofort die letzte Housemartins-Single auf den Teller werfen müssen, nervt die Popularität. Paul Heaton kann das am wenigsten leiden, dem ist schon die Tatsache nicht geheuer, daß er plötzlich „oben“ ist, wo er sich doch nach wie vor als ewiger Verlierer fühlt.

Paul ist auch der einzige, bei dem sich selbst seine Band-Kollegen vorsehen, daß ihnen nicht aus Versehen der falsche Spruch zur falschen Zeit rausrutscht. Er nimmt seine Sache ernst (der Mann sammelt Streik-Anstecknadeln britischer Gewerkschaften) und nach wie vor ist sein Text der erste Baustein zu jedem neuen Song. „Die Texte schreibe ich meist zu einer vagen Melodie oder einem Rhxthmus, die endgültige Melodie machen wir zusammen, und Stau sucht die Harmonie-Akkorde dazu. „

So einfach ist das. „Wie ein Puzzle-Spiel“, meint Stan. „Du hast alle verschiedenen Teile — das Blau des Himmels, das Braun der Erde, die lachenden Gesichter in der Menge — jetzt mußt du das bloß noch zusammensetzen. “ Und meist fehlt am Ende ein Teil. Paul: „Dann bauen wir ein Mundharmonika-Solo ein. „

Apropos „einbauen“. Könnten sich die Housemartins vorstellen, bloß spaßeshalber mal für eine Woche mitzuspielen, im Pop-Circus? Abgefahrene Klamotten tragen, Macho-Sprüche klopfen, so richtig die Star-Sau rauslassen?

„Au ja“, nickt Stan. „Wir könnten aufSigue Sigue Sputnik machen und tote Katzen auf dem Kopf tragen. Oder Frauenkleider mit Riesen-Busen. Aber selbst wenn wir das nach einer Woche wieder seinlassen würden, glaube ich nicht, daß die Leute den Witz kapieren würden …“ ….. wir haben so was auch schon bei Konzerten gemacht“, übernimmt Paul, „so richtige Rock-Klischee-Sprüche: ,Areyou ready to rock ’n roll!?‘ oder so was. Das Publikum hat gar nicht gemerkt, daß das nur ein Scherz, war.“ Norman: „Wie in Dänemark, nee Schweden, wo du sie gefragt hast .Habt ihr einen König?‘ — Miau!‘ — , Warum habt ihr ihn noch nicht aufgehängt?‘ — totale Stille. Damit konnten die gar nichts anfangen.“

Grundsätzlich sind sich die Housemartins über folgendes einig: weg mit dem Königshaus, weg mit Thatcher, Labour auf die Regierungsbank, Stärkung der Gewerkschaften und den endgültigen Arschtritt für Gewalt. Polizeistaat und Rassenhaß. Paul bestimmt die Marschroute, die anderen kümmern sich mal mehr, mal weniger um Band-ideologische Fragen. „Es wäre auch gar nicht gut, wenn wir das alle gleich ernst nehmen würden“, findet Stan. „Bands, die aus lauter besorgten Grüblern bestehen, sind entsetzlich langweilig. „

Und die Housemartins selber? Wird das nicht auch irgendwann entsetzlich langweilig, wenn man nur ein paar Häuser auseinander wohnt und fast alles gemeinsam tut: Fußballspielen, Platten aufnehmen, Interviews geben …? „Bis jetzt geht’s prima“, grinst Paul. „Wir streiten uns nicht mal, höchstens wenn wir überarbeitet und gereizt sind. Aber über das, was wir machen und vorhaben, gibt es nie Auseinandersetzungen. „

Auch der Ausstieg von Hugh ging längst nicht so spektakulär über die Bühne, wie die Presse sich das gewünscht hätte. „Nach .Caravan Of Love‘ hatten wir zum erstenmal wieder Zeit, ein bißchen zur Ruhe zu kommen und über alles nachzudenken“, erinnert sich Stan. „Da kam dann eines Tages Hugh zu Paul, sagte ,Laß uns mal ’n Drink nehmen‘ und reichte quasi seine Kündigung ein. „

Doch der Nachfolger stand längst auf der Matte, und ein erprobter obendrein. Dave hat schon mit Hugh die Schulbank gedrückt und ist bisher jedesmal für ihn nachgerückt, wenn Hugh irgendeine Band verlassen hat. Mit dem „Five Get Over Excited“-Video, in dem Dave Hugh einfängt, in einen Sack steckt und so seinen Job ergattert, wollten die Housemartins nur ihren speziellen Freunden von der britischeh Tagespresse eine lange Nase machen.

„Wir haben uns natürlich auch erst gefragt, ob das wohl gutgeht“, gibt Paul zu. „Ich meine, ob wir auch persönlich miteinander klarkommen, ob wir genausogut zusammenpassen …“ ….. und ob er als Musiker und Sänger gut genug ist. Aber das war überhaupt kein Problem, Dave paßte sofort 100%ig in die Band. „Stan klopft ihm auf die Schulter. Dave grinst.

„Die meisten Leute denken eh, daß wir uns alle schon ewig kennen und nicht erst seit knapp drei Jahren“, schließt Paul das Thema ab.

Nein, doch nicht. Stan: ….. oder sie halten uns gleich für Brüder. „

Brüder im Geiste sind sie auf jeden Fall, auch beim Thema „Germany“. Alle vier Housemartins empfinden Deutschland insgesamt als „liberaler“, „ein bißchen linkser“, „progressiver“ und „weniger extrem“ als ihre britische Heimat. Andererseits sind wir für sie sehr, meistens „zu gut organisiert“. Und: „Die Deutschen haben Schwierigkeiten, albern zu sein. „

„In Dschörmeni ju häf tu drrrink Bier“, äfft Stan die Annäherungsversuche germanischer Eingeborener nach und fügt stirnrunzelnd hinzu:

„Außerdem essen die Deutschen unglaublich viel Fleisch. In Deutschland essen sogar die Vegetarier Fleisch!“