Zukunftsmusik


Telefone und Radios sind die bevorzugten Live-Instrumente der englischen Ambient-Pioniere. Bei ihren Konzerten tauchen die Beiden erst gar nicht auf.

New York im Jahr 1994. Im „The Kitchen“, einer Art elektronischer Cafe im Herzen Manhattans, hat sich eine kleine Zahl ekklektischer Zuschauer versammelt, um ein Konzert der englischen Ambient-Vorreiter Future Sound of London mitzuerleben. Was weiter nicht besonders aufregend wäre, würden Gary Cobain und Brian Dougans, FSOL’s Köpfe, nicht in ihrem Londoner Studio sitzen und ihr Konzert live via Telefon über den Atlantik funken. Und nicht nur die Ambient-Klänge der beiden Engländer fliegen in die Lautsprecheranlage des „Kitchen“, sondern auch elektronische Bilder erreichen die Monitore der „Küche“ – magisch und erschreckend zugleich, Computerbilder von einsamen Pixel-Landschaften, Cyberspace-Wesen, Megabyte-Tausendfüßlern. „Es war ein sehr einsames Erlebnis“, erinnert sich der kahlgeschorene Gary Cobain an das erste elektronische Konzert dieser Art. Denn der historische Auftritt war eine Einbahnstraße, Cobain und Dougans konnten die Reaktionen ihres 3000 Meilen entfernten Publikums nicht mal erahnen. Darin sollten FSOL jedoch schon Erfahrung haben. Ihr neuestes Werk ‚ISDN‘ enthält die Resultate einer Serie von Konzerten, eingespielt live im heimischen Studio, überspielt über Telefonleitung (daher der Titel ‚ISDN‘) direkt ins BBC-Radioprogramm und an einen Sender in Amsterdam. Ein weltweites Publikum lauschte bei Kakao und Chips. Orson Welles läßt grüßen.

Future Sound of London leisteten Pionierarbeit im Bereich „Ambient“. Ihre letzte LP, die kompromißlose ‚Lifeforms‘, brachte Gary Cobain und Brian Dougans überraschenderweise in die Top 10 der britischen LP-Charts. Zwei Songs stellten vor ein paar Jahren die britische Dance-Szene auf den Kopf: ‚Papua New Guinea‘ und ‚Stakker Humanoid‘. Die beiden Singles zeigten, daß Geräusche und abstrakte Tongemälde den Tanzböden ein Quentchen mehr an Atmosphäre abringen konnten, als pure Beats und euphorisch drüber hinweg geheulte Slogan-Refrains. Aus den Tantiemen richteten sich Cobain und Dougans in einem unscheinbaren Hinterhof im Londoner Stadtteil Dollis Hill ihr eigenes Studio ein. Hier im „Earthbeaf-Studio tackert, wabbert, blökt und blinkt rundherum die neueste Technologie. Hier entsteht die FSOL-Musik am laufenden Meter, hier fertigen FSOL die kuriosen Anthropo-Techno-Bildwelten an, mit denen sie ihre Musik begleiten. Gary Cobain ist kein Mann falscher Bescheidenheit. „Wir sind die einzige Hoffnung, die der Musik noch bleibt“, sagt er und läßt nicht das geringste Lächeln der Ironie über sein Gesicht schimmern. „Jene ersten beiden Singles schlugen deswegen so ein, weil wir uns krank dabei machten, Neues zu finden. Man muß sich dafür umbringen im Studio, sonst kommt nichts. Die Leute halten in einer Zeit der Verunsicherung lieber an altbekannter Musik fest. Ich verstehe das, aber nur konsequente Experimentierarbeit kann uns neue Wege aufzeigen. Uns ist es gelungen, die Leute dafür zu begeistern.“ Bei ‚ISDN‘ heißt dies eine Rückkehr zu einer griffigeren Rhythmik, die die experimentellen Soundcollagen aus Jazz, Elektronik und Alltagssounds einfaßt. „Wir gaben Dancemusik auf, weil die Rhythmen zum Korsett wurden. In der Ambient-Szene gibt es inzwischen eine ganz neue Art von stilistischer Zwangsjacke, in die sich faule Musiker gerne einwickeln. Wir jedoch sind weiter gezogen. Musik ist nur noch ein kleiner Teil unserer Arbeit. Alles kommt zusammen: Musik, Surround-Sound, Silicon Graphics, CD, Computer-Game, TV-Serien, ein 3D ‚Future Sound‘ Film. Das wird dir die Schädeldecke abheben!“ Aktuelles Album: ISDN (VIRGIN )