Zurück in die Zukunft


Gibt es nach 20 Jahren Einstürzende Neubauten eine Art kreative Konstante?

Die Neubauten sind 1980 aus einer Spontan-Formation entstanden. Wir waren damals sehr unorganisiert und unerfahren. Heute ist die Rolle der Spontaneität geringer als früher. Was jedoch geblieben ist, ist unsere grundsätzliche Herangehensweise an das Musikmachen: Was man hören kann, kann man auch aufnehmen selbst die absurdesten Gegenstände und Geräusche.

Wie verhält sich das Extreme in der Musik der Neubauten zu den veränderten Hörgewohnheften?

Als wir 1981 „Kollaps‘ gemacht hatten, waren wir davon ausgegangen, dass das beinahe unhörbar ist. Wenn ich diese Platte heute anhöre, ist sie zwar immer noch dieselbe, aber der Effekt des Extremen ist weg. Das ganze Umfeld der Musik, das Level an Lärm, Geräusch und medialer Vielschichtigkeit hat sich enorm verändert. Wenn man HipHop und Techno betrachtet, ist das, was allgemein als akzeptabel gilt, viel extremer geworden.

Ist euer neues Album „Silence Is Sexy“ so ruhig, weil Lautsein heute nicht mehr außergewöhnlich genug ist?

Es gab auf jedem unserer Alben das ein oder andere ruhige Stück. Auf „Ende Neu“ hat sich angedeutet, wohin wir gehen werden. Und durch die neue Besetzung (lochen Arbeit, Rudi Moser sind neu in der Band; Anm. der Red.) hat sich das Verhältnis umgekehrt. Im Gegensatz zu früher sind es jetzt eben überwiegend langsame Stücke, und die schnelleren sind in den Hintergrund getreten. Stille kann heute ungewöhnlicher sein als Lärm.

Wie kann man sich nach 20 Jahren noch neu erfinden?

Es geht nicht immer nur darum, sich neu zu erfinden, sondern vielmehr darum, für sich selbst zufriedenstellend zu arbeiten. Das ist eine Art masturbatorische Haltung. Für mich persönlich ist die Herausforderung wichtig, ich möchte mich einem Problem stellen können und es innerhalb der Arbeit an einer Platte lösen. Solange ich die Herausforderung habe, kann ich produktiv sein.

Du bist Sänger, Autor, Schauspieler, Komponist, Dozent, Performer und Gitarrist der Bad Seeds. Rührt dein vielfältiges Engagement aus einer Angst vor Langeweile?

Es geht mir tatsächlich am besten, wenn ich was zu tun habe. Langeweile ist etwas Schreckliches. In meinem Terminplan für dieses Jahr sind nur noch ein paar Tage frei. Dass ich in verschiedene Rollen schlüpfen kann, ist mir besonders wichtig. Auch wenn es anstrengend ist, sich immer wieder auf das Anderssein vorzubereiten.

Hast du noch Kontakt zu Beate Bartel und Gudrun Cut, die bei der Erstbesetzung am 1. April 1980 dabei waren?

Das war damals die Urbesetzung. Wir gaben insgesamt nur vier Konzerte und versuchten, eine Platte aufzunehmen. Sie ist allerdings nie veröffentlicht worden. Der Kontakt zu den beiden ist nach wie vor da. Beate ist die langjährige Freundin von Thomas Wiedler, dem Schlagzeuger der Bad Seeds. Gudrun sehe ich oft, sie wohnt eine Straße weiter.

Setzen sich die Einstürzenden Neubauten mit aktueller Popmusik auseinander?

Alex, Rudi und Jochen kennen sich viel besser aus als ich. Ich beschäftige mich damit nicht, weil ich im Laufe der Zeit das Interesse daran verloren habe. Ich war zum Beispiel auch noch nie in einem Techno-C üb.

In „Die Befindlichkeit des Landes“ äußerst du dich zum Zustand der Republik. Siehst du dich selbst als politischen Menschen?

Schwer zu sagen. Ich gehöre keiner Partei an. Ich bin ein aufmerksamer Zeitgenosse und mache mir so meine Gedanken. Ob das politisch ist, weif? ich nicht.“Die Befindlichkeit des Landes“ ist das Ergebnis alltäglicher Notizen, etwa 100 Seiten insgesamt. Wenn ich in Österreich sein werde, ist klar, dass mich politische Fragen erwarten. Dazu kann ich nur sagen, dass es nichts Dämlicheres gibt, als das Land in dieser Situation zu boykottieren.

Blixa Bargeld in 10 Jahren – wie sieht er sich im Alter?

Ungefähr so wie im Song „Musentango . Ich betrete einen Laden und sehe Leute um mich, die sich sagen: „Da kommt der alte Herr Bargeld schon wieder. Hoffentlich fängt der jetzt nicht zu singen an“.