Bon Iver

Bon Iver

4AD/Beggars/Indigo VÖ: 17. Juni 2011

Oh, du schöne Flucht nach vorne! Der Justin-Vernon-Relaunch 2011 ist geglückt, die nächste Stufe kann gezündet werden. Songwriter im Folk- und R’n’B-Format veredelt.

Wir erinnern uns des Campfire-Knisterns und der eminent stillen Lieder, mit denen Justin Vernon im Jahr 2008 jene postmoderne Selbstfindungsgeschichte schrieb, die ihn bis in die Charts und Feuilletons hineinkatapultierte. Eine One-Man-Saga vom genialen Waldschrat, der ein dankbares Publikum auf die Fährte der großen amerikanischen Mythen schickte. Der Amerikaner Justin Vernon entdeckte sich in der Begegnung mit den Elementen, irgendwo draußen in den Wäldern Wisconsins, For Emma, Forever Ago. Die 2009 nachgereichte EP „Blood Bank“ war schon der Lust am Spiel mit ganz anderen Elementen geschuldet. Vernon falsettierte nun aus den Tiefen Autotunes dem Publikum entgegen. Die gemeinsamen Aufnahmen mit Kanye West und der Band Gayngs haben weitere Spuren im Komplex Bon Iver hinterlassen. Der Songwriter befand sich fortan auf der Flucht nach vorne.

Bon Iver ist noch kein richtiges Band-Album geworden, aber es gibt zahlreiche Stellen, an denen Justin Vernon im Bandgedanken seinen Radius erweitert, etwa, wenn Colin Stetson (Tourband-Mitglied von Arcade Fire und dem Bell Orchestre) mit seinem Saxofon über weite Keyboardfelder tieffliegt oder die Chöre zur Eröffnung „Perth“ bis in die hintersten Winkel ausleuchten. Die neuen Songs sind in einem Netz aus Raum- und Zeit-Koordinaten festgemacht. Die Orte in den Songtiteln (die realen und die verfremdeten) sind weniger Stationen einer Reise als Bilder einer Assoziationskette, die sich um die sanften Kleinigkeiten von Klangkissen dreht und windet, Google-Earth-Dokumente einer fiktionalen Oberfläche, hinter der sich durchweg schöne Räume auftun.

So lässt Justin Vernon eine 3D-Liederwelt entstehen, in die man ganz ohne Spezial­brille eintauchen kann, in den mehrfach überlagerten Gesängen, verschleppten Pedal-Steel-Gitarren der kunstvoll gebauten „Towers“, im R’n’B-Folk-Zwitter

„Michicant“. Dass in Vernons Produktionen die amerikanische Folklore in verschiedenen Formen sanfter digitaler Manipulation veredelt wird, hebt auch diese Lieder wieder auf eine ganz eigene Stufe. Im verschwommenen, leicht sphärischen Klangbild entsteht jenes Rätsel, das Bon Iver zu etwas mehr als nur dem nächsten guten Songwriter macht. Der Relaunch ist geglückt, die nächste Stufe kann gezündet werden. Wohin es den Sänger und Songwriter mit dem Wisconsin-Stempel noch treibt, lässt das Album glücklicherweise offen. Die Aufnahmen entstanden im eigenen Studio, das Vernon mit seinem Bruder in einer verlassenen Tierklinik erbaute – drei Meilen vom Heimatort entfernt und unweit jener Bar, in der seine Eltern sich kennenlernten, damals im alten Amerika. Die Melodien suchen die neuen Kanäle in die Welt.

Key Tracks: „Perth“, „Towers“, „Michicant“

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