Katie Gately

Color

Tri Angle Records/Rough Trade

Weird and wonderful: Das Debüt der Produzentin ist ein irrwitziges Spiegelkabinett aus hyperaktivem hyperaktivem Pop und elektronischen Abstraktionen.

Es ist fast zwei Jahre her, da erschien plötzlich ein Track mit dem eleganten Namen „Pivot“ auf der Bildfläche, in dem das britische Onlinemagazin The Quietus – neben The Wire mittlerweile vielleicht die wichtigste Nerd-Bibel unserer Zeit (besonders für Hörer mit einem Fabel für arty Experimente zwischen Techno, Pop und Neuer Musik) – sogleich „the most eye-opening piece of new music“ des Jahres ausmachte. Ein Popsong war das nicht. Popsongs zwirbeln und dehnen und verbiegen ihre Hooks nicht 14 Minuten lang. Das war Katie Gatelys erstes großes Ausrufezeichen.

Das zweite war ein Remix von Björks „Family“, die Gatelys Klangmanipulationen sowieso „incredible“ fand. Ordentlich Vorschusslorbeeren für die Produzentin, die nun mit ihrer fulminant verschachtelten Debüt-LP den Sack zumacht. Ja, diese Frau wird man sich merken müssen. Vielleicht liegt es daran, dass Gately in der Vergangenheit ihr Geld vor allem mit Produktionen für Filme verdient hat, dass man auch auf ihre Songs blicken kann wie auf einen Film. Was man sieht, ist überraschend. In der Großaufnahme: unzählige Soundschichten, Instrumente, Bewegungsrichtungen. Zoomt man in den Weitwinkel: einen überraschend feinem Sinn für Popstrukturen. Fast hält man es im Kopf nicht aus, wie vielstimmig, wie fragmentiert, wie elastisch diese Produktionen sind, wie viel hier auf einmal passiert.

Gleich im tollen Eröffnungsstück „Lift“ hören wir Techno-Sirenen, Krachgeräusche, Field Recordings, ferne Bläser-Samples, Knall und Boom. In „Tuck“ schnalzt und zuckt und grummelt es im Unterbau einer wunderbaren Popmelodie: „I will dream of you“, säuselt Gately in verführerischem Singsang. Im nächsten Augenblick glitscht ihr die Stimme in die Tiefen der digitalen Verzerrung. Überhaupt filtert und manipuliert, spaltet und zerdehnt sie ihre Stimme auf COLOR unablässig mit elektronischen und elektroakustischen Mitteln. So gleicht das Album einem riesigen Spiegelkabinett, in dem sich Sounds und Stimmen brechen, sich gegenseitig verstärken und verschlucken.

Und es begegnen einem allerhand musikalische Ahnungen in diesen Spiegelräumen, die einen sehr glücklich machen: die Traumstrukturen einer Julia Holter, die spielerischen Abstraktionen einer Holly Herndon, die unheilvollen Manipulationen eines Oneohtrix Point Never, das Quietschen und Sirren des PC Music-Labels, die sirenenhaften Avantgarde einer Björk. Und und und. Es ist, als hätte Gately es sich zur Aufgabe gemacht herauszufinden, wie viel man in einen Track hineinpacken kann, bevor er den Hörer überfordert. Diese Lieder stehen unter Spannung, brechen aber nie auseinander. Genau hier, im orchestrierten Chaos, liegt die eigenwillige Schönheit dieser Lieder. Mehr ist hier tatsächlich: mehr.