Album der Woche

Sophie

Product

Numbers/Rough Trade VÖ: 27. November 2015

Internet-Dancepop: Nach der ersten Überforderung hört man die Zukunft.

Man weiß nicht recht, wie einem geschieht. So wahnwitzig, so absonderlich, künstlich-kühl und fröhlich aufgekratzt ist dieser Hyper-Dancepop des geheimnisumwitterten Londoner Produzenten Samuel Long, der hinter dem Künstlernamen Sophie steckt und mit dem visionären britischen Label PC-Music assoziiert wird. Das Besondere sind hier aber nicht die grellen und gummiartigen, verformten Elektro-Sounds (für sich genommen allerdings schon wunderbar weird!), sondern die smarte Verkehrung eines alten EDM-Reflexes in sein Gegenteil: Anders als die allermeisten Elektro-Produzenten ist Long nicht daran interessiert, an einer Alternative zur gängigen Popmusik zu bauen. Lieber spiegelt er den Bubblegum-Pop der vergangenen 20 Jahre in seinen abgedrehten Clubtracks, die zunächst wie ein Zuckerschock wirken. Ein wenig klingt das, als höre man 90er-Happy-Hardcore-Hits in einem obskuren, hyperrealistischen Spiegelkabinett: süße und kitschige Popmelodien elektronisch verzerrt und fragmentiert.

Auf seinem Debütalbum PRODUCT veröffentlicht Sophie nun vier Singles aus den vergangenen Jahren und vier neue Stücke. Bei fast allen ist man sich nie ganz sicher, ob man nun einen Popsong vor der Nase hat, der als Dancetrack getarnt ist oder ob es sich genau andersherum verhält. „Bipp“ etwa, 2013 erstmals erschienen, ist einer dieser komplexen Next-Level-Hits: Vordergründig kloppt und schnalzt da die Elektronik, die Töne dröhnen und sprudeln, eigentlich – das merkt man bald – ist da aber nicht mehr als die Andeutung eines halbbrauchbaren Beats. Eigentlich ruht diese irre Nummer nur auf einem zähflüssigen Basslauf und körperlosen, hochgepitchten Helium-Stimmen: „I can make you feel better, if you let me!“ „Hard“ bewegt sich hektisch in der großen dunklen Lücke zwischen Trance-Geballer, Glöckchenklang und wahnwitzigen Störgeräuschen. Es gibt Kinderreime („Lemonade“) und eiskalt sägende Synthesizer („MSMSMSM“). Am kompliziertesten wird das Verwirrspiel dieses Meta-Pop aber bei „Just Like We Never Said Goodbye“: von Songstruktur und Gesang her vielleicht der poppigste Song auf Product (am besten beschreibt man es als Glitch-Sound-Bastard von Carly Rae Jepsens „Call Me Maybe“).Trotzdem fehlt das wichtigste Dancepop-Element: Es gibt einen ganzen Haufen schimmernder Synthesizer-Quietschtöne, aber keinen Beat – nicht einen einzigen. Nach 26 Minuten ist der grelle, laute Spaß auch schon wieder vorbei.

Die Kürze ist vielleicht der größte Makel dieser so aufregenden Platte – der Zukunftsentwurf bleibt Skizze. Vielleicht ist das aber sogar die beste Form: Ein Rausch, in dem schon so viele Ideen konzentriert sind, muss schnell, muss kurz ausfallen, da sonst nur eine Überdosis drohen würde.