Depeche Mode im Funkhaus Berlin: Lieber noch was fürs Stadion übrig lassen


Das global-spirituelle Maschinenrockunternehmen Depeche Mode hat am Freitagabend im Berliner Funkhaus ein Release-Konzert gegeben. Beim Auftritt im exklusiven Rahmen kam man der Band nahe wie selten, aber locker machte sie sich deshalb noch lange nicht.

Das Funkhaus Berlin im Ortsteil Oberschöneweide gilt als ein ähnlich verwunschener Ort der vergangenen DDR wie der Spreepark im Plänterwald, gleich drüben auf der anderen Seite des Flusses. Allerdings kehrt hierher heute wieder das Leben zurück, mehr als 1000 internationale, fast uniform schwarz gekleidete, spürbar zelebrierungswillige Mid und Best Ager mit Gewinnbenachrichtung oder sonst einer very important Einladung in der Tasche begehren Einlass. Und am anderen Spreeufer rostet ein Riesenrad, kaum noch sichtbar im Dämmerlicht, traurig in den Abendhimmel.

Die 1956 eröffnete, in Teilen denkmalgeschützte Gebäudegruppe soll jetzt nicht mehr nur als Studio- und Kreativen-Standort noch größere Bedeutung bekommen, sondern auch als Veranstaltungsort. Das Release-Konzert von Depeche Mode im prachtvollen, wegen seiner herausragenden Akustik geschätzten Großen Sendesaal 1 ist dabei der bisherige Höhepunkt, nach Auftritten von Kulturpop-Kapazitäten wie Nils Frahm und José González in den vergangenen Monaten. Ihr Werbepartner Telekom hat zum live in alle Welt gestreamten „Street Gig“ geladen und treibt dafür einen enormen technischen Aufwand, mit ferngesteuertem, doppelköpfigem Kamerawagen vor der Bühne, 360-Grad-Kugeln hier und da und dort … Vielleicht sollte man besser mal aufpassen, ob einem keine Übertragungsdrohne auf die Toilette folgt.

Dass Technikbauten und das Werbebranding im Foyer vom dezent eleganten Glanz des Funkhaus-Interieurs nicht mehr viel übrig lassen, das müssen Miesepressepeter wie wir einfach in unsere Texte schreiben. Die hier versammelten Fans treiben hingegen ganz andere Fragen um: In welcher Verfassung werden sich die Mitfünfziger plus zweiköpfiger Verstärkung an Schlagzeug und Keyboards/Bassgitarre präsentieren? (Die Frage, die dahinter steht, wird freilich immer drängender: Wie lange machen sie das überhaupt noch?) Welche Songs werden sie spielen? Vielleicht tatsächlich nur neues Material? Ist ja immerhin ein Release-Konzert hier, für SPIRIT, ihr 14. Studioalbum in 37 Jahren, ein ganz ordentliches, wieder etwas kantigeres, und vor allem, wie überall geschrieben steht: düsteres. Und: Haben sich die Fünf für den besonderen Abend vielleicht auch etwas Besonderes einfallen lassen?

Am Anfang wirken Depeche Mode noch ein wenig hüftsteif.

Dass die sonst abgeschirmt arbeitende, perfektionistische Supergroup dieses Vorabkonzert spielt und vor knapp zwei Wochen auch schon eine Art öffentliche Live-Generalprobe vor Fans in den Sony Music Studios in New York, darf schon als großes Lockermachen gelten. Ihre eigentliche „Global Spirit“-Welttour beginnt erst in eineinhalb Monaten. Und am Anfang wirken Depeche Mode tatsächlich auch noch ein wenig hüftsteif. Buchstäblich trifft das vor allem auf den 110-Prozent-Frontmann und leidenschaftlichen Tänzer Dave Gahan zu (der im Übrigen so lange des „Gockelns“ bezichtigt werden können muss, so lange er eben genau das tut … außerdem trägt er jetzt wieder ein Erol-Flynn-Freibeuter-Bärtchen).

Der Eindruck wird aber auch dadurch verstärkt, dass die Livepremiere der beiden neuen Stücke „Going Backwards“ und „So Much Love“ offenlegt, wie wichtig all die soundtechnischen Eingriffe ihres neuen Produzenten James Ford (Simian Mobile Disco) waren: alles, was hiervon weggelassen wird, offenbart schnell die leichten kompositorischen Schwächen des Materials. Während das gospelige, tribalige „Where´s The Revolution“, die erste Single von SPIRIT, sich jetzt schon als ein neuer Konzertbringer manifestiert. Nicht als politisches Statement, natürlich, einfach nur als hymnischer Stimmungsmacher. Und auch beim atmosphärischen „Cover Me“, mit Martin L. Gore an der Slidegitarre, werden die Smartphones nur zum Mitfilmen hochgehalten und nicht zum Status-Check.

(Sie fragen: Warum all die Menschen überhaupt gegen das runde Dutzend Telekom-Kameras anzufilmen müssen glauben? Konditionierung, Baby!)

Bei Gores Soloauftritt mit „Little Soul“ zum E-Piano hält dann aber tatsächlich eine analog-empfindsame Seele ein Feuerzeug in die Höhe. Regelmäßigen Besuchern von Depeche-Mode-Konzerten wird in diesem Moment hingegen gewahr, eine runde halbe Stunde nach Konzertbeginn, dass dieser Abend möglicherweise schon bald wieder zu Ende sein könnte. Denn der pflichtbewusste Gore soliert immer zur Konzertmitte! Und tatsächlich ist nach weiteren vier Songs schon Schluss. Mit „World In My Eyes“, „Barrel Of A Gun“, „Walking In My Shoes“ und „Personal Jesus“ haben Depeche Mode bis dahin in rund 55 Minuten allemal genug mehrheitsfähiges Material in die Welt versendet und dabei auch gut Betriebstemperatur aufgenommen. Gore hat außerdem wieder seine halbe wertvolle Gitarrensammlung vorgeführt und Gahan seine eindrucksvolle Mikrofonständer-Pirouette.

Mehr hat der Fitnesstrainer vielleicht auch noch nicht freigegeben.

Aber es ist schon ein bisschen schade, dass die Sache mit dem Lockermachen bei diesem global agierenden Maschinenrockunternehmen nicht so weit führt, dass man am Ende einfach noch mal draußen geht und den leidenschaftlich Nachschlag begehrenden Fans einfach diesen kleinen Gefallen tut. Stand halt nicht auf der Setlist. War nicht einprogrammiert in den Gerätepark. Hat der Fitnesstrainer von Dave Gahan noch nicht freigegeben. Und der traditionell unterbeschäftigte Andrew Fletcher hätte auf seinem Keyboard-Podest vielleicht auch keine fünf weiteren Minuten mehr gewusst, wohin mit seinen Händen. Ansonsten aber: ein gelungener Abend.

https://www.youtube.com/watch?v=yGzmEeMKO-g

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