A Push And A Rush


Die Band Madsen marschiert ins zweite Jahr, in dem ihre Geschichte in Großbuchstaben geschrieben wird.

Es ist heiß an diesem Nachmittag Anfang Juli. Die Luft steht still, kein Windhauch weit und breit. Vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne unerbittlich auf das fast baumlose Gelände des Tollwood-Festivals herab. Madsen werden heute hier ein Konzert geben, zusammen mit Kettcar, die sie mögen und auch ein bisschen als Vorbilder verehren. Noch ist das große Zelt (die „Musik-Arena“) menschenleer, und es fragt sich nicht nur der Bandpromoter, ob die Location nicht ein biss-chen zu groß geraten ist für die beiden Bands. Madsen checken gerade ihren Sound und wirken auf der großen Bühne ein wenig ratlos und verloren. Außerdem sehen sie müde aus, geschafft. „Liegt an der Hitze“, sagt Niko Maurer, der Bassist mit den langen Rasta-Zöpfen, und gTinst. Ein Unmensch, wer diese Ausrede im Sommers 2006 nicht gelten lässt. Es könnte aber auch daran liegen, dass Madsen schon wieder auf Tournee sind. Die ersten Konzerte zu ihrem jüngst aufgenommenen zweiten Album GOODBYE LOGIK liegen bereits hinter ihnen, dabei ist es noch gar nicht erschienen. Das Video zur ersten Single ist auch abgedreht, die Band gibt Interviews, lässt sich fotografieren — die Promo-Maschinerie läuft. Das wird ein langer Sommer.

Auch in München steht nach dem Interview erst einmal ein Fototermin an. Der Fotografbittet die Band, sich um ein uraltes Mofa herum zu postieren, das etwas abseits an der Wand eines blauen Bauwagens lehnt. Madsen albern, kichern, lachen. Trotzdem ist unübersehbar, dass ihnen die Situation, dieses Im-Mittelpunkt-Stehen, immer noch nicht ganz geheueiist. Sie sind aufmerksam, stehen aufrecht, schauen munter. Aber posen tun sie nicht.

Als zehn Meter weiter plötzlich ein Security-Mann wild gestikulierend in seine Trillerpfeife trillert, herbeimarschiert, sich ordentlich aufplustert und in tiefstem Bayrisch etwas schimpft, das so klingt, als sei das Mofa seins und da könne man sich nun nicht einfach draufsetzen, ist es mit allem Starruhm ohnehin erstmal vorbei. Die Band entschuldigt sich höflich und fast ein wenig beschämt, wie Schuljungen, die bei einem Streich erwischt wurden.

Später in der Garderobe geht es beim Interview genau darum: Wie verhält man sich angesichts des Erfolgs, den die Band 2005 mit ihrem Debüt MADSEN hatte – anders – wie richtig – wie falsch? Und wie verändert sich die Sicht auf den Alltag – und die Menschen? „Natürlich hat jeder von uns die Erfahrung gemacht, dass ersieh eine Spur zu arrogant oder Rockstarmäßig verhalten hat“, sagt Johannes Madsen, „aber entweder merkt man das schnell selbst oder wird von den anderen daraufgebracht. Ich glaube, das ist ein gesunder Teil der Entwicklung. „Sebastian ergänzt: „Wirsindauch einfach nicht so E

groß, um ernsthaftin Gefahr zu geraten abzuheben. „Er erzählt von einem Konzert in Duisburg, das parallel zur Übertragung eines WM-Spiels stattfand. Da konnten Madsen dann sehen, wie berühmt sie sind – und wer noch berühmter ist: die deutsche Nationalmannschaft z. B. Weil: Niemand interessierte sich für den Auftritt von Madsen. „Solche Erlebnisse holen einen schnell wieder auf den Boden zurück“, sagt Johannes.

Es war Anfang 2005, da geisterte plötzlich dieser Name durch die Netzwerke der Musikwelt: „Madsen“. Wie spracht man das überhaupt aus: englisch, „Madsen“ oder „Madsen“ — und was soll dieser Name bedeuten? Solche Fragen, bevor die meisten überhaupt einen Ton von dieser Band gehört hatten. Tomte-Sänger Thees Uhlmann kannte ihre Songs hingegen schon und war hellauf begeistert von Madsen, was er gleich jedem erzählte, den er traf.

So kam es, dass der Veröffentlichung des ersten Albums im Mai 2005 große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die Mischung aus satter Rockmusik mit Hardrock- und Emo-Einflüssen und Sebastians Texten, die auf ihre unkonkrete, abstrakte Art die konkretesten Dinge ausdrückten, kam bestens an. Die Single „Die Perfektion“ wurde ein kleiner Hit und auf den Musikkanälen in schwerer Rotation gespielt. Das Majorlabel, das sich Madsen geangelt hatte, vermittelte die Band an zahlreiche Festivals, es folgten Gigs im Vorprogramm von Wir sind Helden und eine eigene Tour. MTV nahm sie in das „Art development“-Förderprogramm auf und pushte Madsen, wo es nur ging.

Bekommt man da nicht Angst, ein Publikum – breiter und jünger, womöglich nur auf „Perfektion“ und den „süßen Sänger“ programmiert – zu bekommen, mit dem man vielleicht nicht so gut klarkommt? „Man muss sich im Klaren darüber sein, dass das, was wir machen, auch vermarktet wird. Es stört mich nicht, dass zum Beispiel viele 15-jährige Mädchen auf uns aufmerksam geworden sind, aber man muss wissen, warum das so ist“, sinniert Sebastian, der 23 Jahre alt ist und trotzdem schon eine Menge zu erzählen hat: „Die Zeiten waren auch malganz andersfür uns, wir haben in irgendeiner Pissgrotte an derpolnischen Grenze gespielt, wo nachts die Heizung nicht funktioniert hat …Das uergisst man nicht. Und wenn man dann den Weggeht, den wir jetzt gehen, ist es auch klar, dass man zu MTV ja sagt. Ich habe früher selbst Nirvana durch die Bravo entdeckt. Wenn man ’s richtig macht, kann man auf diesem Weg schon sein Publikum gewinnen.“

Der Erfolg, das viele Touren – all das forderte im vergangenen Dezember seinen Tribut. Nach knapp 120 Konzerten und ungezählten im Bus zurückgelegten Kilometern konnte die Band nicht mehr: „Wir waren körperlich einfach im Arsch „, erinnert sich Folli, der O rganist und mit 36 Jahren der Älteste in der Band. Ganz unten und ganz links, im Südwesten von Deutschland, in Freiburg, angekommen, war für Madsen schließlich der Tiefpunkt erreicht.

„Ich möchte mich bei jedem Zuschauer im Nachhinein für dieses Konzert entschuldigen , sagt Sebastian und schaut zerknirscht. „Meine erste Ansage war: ,Wie geht’s euch? Uns geht’s scheiße, wir haben Weihnachten zu viel gesoffen.‘ Genau so ging ’s auch weiter. Furchtbar. „Die Band entschied sich sofort für einen Abbruch der Tour. Sie mussten nach Hause, und sie brauchten Abstand voneinander. Nach zehn Tagen dann die Aussprache {„da sind wir Therapeuten“). Die drei ausgefallenen Konzerte wurden nachgeholt, die Sache abgehakt, aber es blieb die Erkenntnis, dass zu viel auch nicht gut ist.

Ein bisschen verwunderlich ist es da schon, dass Madsen so schnell ihre zweite Platte veröffentlichen. „Wir mussten gar nicht so schnell sein“, sagt Sascha, „wir hätten uns auch mehr Zeit lassen dürfen. „Nur, Sebastian, der die Texte allein schreibt und nach kurzem Zögern auch einräumt, einen großen Teil der Musik zu komponieren, war nach den Aufnahmen der ersten Platte alles andere als leer: “ Unser Debüt sollte rough und eingängig klingen, einen Komplettsoundhaben, wie ein Song wirken. Deshalb hatte ich viele andere Ideen, die nicht dazu passten, erstmal im Hinterkopf behalten.“

Bei GOODBYE LOGIK wollten Madsen musikalisch offener werden; Sebastian kramte seine archivierten Pläne hervor und schrieb.

„Ich wollte mich beim Songschreiben dieses Mal selbst beobachten, damit ich in Interviews erzäh len kann, wie das funktioniert. Aber ich bin dann so weggetreten, so im Wahn, so benebelt, dass ich mir nichts merken kann. ,Ein Sturm’zum Beispiel ist aus einem reinen Gefühl entstanden. Ich ging spazieren, hörte ZOMBI von Kante, saugte diesefinstere Aufbruchstimmung auf und setzte daran irgendwie an. Ich glaube, die besten Songs entstehen in solchen Momenten… wenn man irgendetwas ganz stark fühlt. „

Madsen erzählen keinen Mist: GOODBYE logik klingt tatsächlich anders als das Debüt. Die härteren Songs sind härter, die ruhigeren sind ruhiger. Die Musik liebäugelt auch unverblümter mit dem Pop, behält aber trotzdem den ganz typischen Madsen-Sound. Es ist ein Album mit auch schon typisch zu nennenden Madsen-Texten und vielen Hits, von denen die erste Single „Du schreibst Geschichte“ eher noch zu den schwächeren zählt.

Vor allem aber ist es ein Album, das auch live funktioniert, wie der Abend in München zeigt: Als Madsen auftreten, ist es heiß und stickig im Zelt, die Band aber sieht gar nicht mehr müde und geschafft aus. Die Bühne, beim Soundcheck noch so riesig, hat jetzt die optimale Größe, und auch der Zuschauerraum ist gut gefüllt. Nach einer guten Stunde mit vielen neuen Songs verabschiedet sich ein glücklich lächelnder Sebastian Madsen, und während die Band dazu die Takte vor dem letzten Refrain der „Perfektion“ ein paar Mal mehr wiederholt, ruft das schweißnasse Publikum schon nach einer Zugabe. Wenn man’s richtig macht, kann man auf diesem Weg schon sein Publikum gewinnen. >» www.madsenmusik.de «-