Alle Macht den Machern


Der alte Sponti-Slogan „Du hast keine Chance, aber nutze sie“ ist aktueller denn je. „Do It Yourself“ ist das Überlebensgeheimnis der Popmusik und kritische, künstlerische Aussage zugleich. Ein Kneipenbesuch mit den Chefs des Hamburger Labels Audiolith, ein Interview mit dem Produzenten Moses Schneider und eine Besichtigung von Proberäumen zeigt, wie weit man mit der „Machet-einfach“-Haltung kommen kann.

In einer dieser Traditions-Kaschemmen in Hamburgs Schanze, einer mit Blick auf das Uebel & Gefährlich, ist es an der Zeit für große Thesen. Die ersten Biere sind getrunken, der erste Schlager in die Jukebox gedrückt, das erste Kiezoriginal am Tresen aufgetaucht. „Zu behaupten, die Kids würden Musik nur noch herunterladen, ist eine Frechheit“, sagt Artur Schock und bestellt eine Runde Mexikaner. „Illegale Downloads sind nicht das größte Problem der Musikindustrie. Vielleicht gab es ja einfach in den vergangenen Jahren zu wenig gute Bands?“ Schock ist 26, Booker und einer der zwei Geschäftsführer des Hamburger Labels Audiolith. Sein Partner Lars Lewerenz nickt. „Prost.“

Mit Bands wie Frittenbude, Egotronic, ClickClickDecker, Captain Capa oder Bratze schreiben Audiolith seit ein paar Jahren eine für diese Zeit eher seltene Erfolgsgeschichte, die zwischen provinziellen Jugendzentren und wegen Überfüllung abgebrochener Konzerte spielt – all das jenseits der Wahrnehmung einer breiten Öffentlichkeit. Ihr Geheimnis ist denkbar einfach: Vertrauen in die Ressource Mensch und seine Ideale, Promotion, die vor allem der Eigenbespaßung dient und die Erreichbarkeit für die oft jungen Fans. Grund genug, sich mit den Labelbetreibern über ihre Philosophie und Arbeitsweise zu unterhalten und sie zu fragen, ob sie etwa einen Ausweg aus der viel beschworenen Krise aufzeigen können.

Im Fernseher, der unter der Kneipendecke hängt, spielt die deutsche Frauenmannschaft Fußball. Ein älterer Herr mit grauem, verzwirbeltem Oberlippenbart gibt den Herren Audiolith die Hand und zieht der Autorin den vom Bier befeuchteten Bart über den gereichten Handrücken. „Klar kaufen die Kids auch etwas, die zahlen Eintritt bei den Konzerten oder bestellen sich Band-T-Shirts“, sagt Lars Lewerenz, 34, der das Label 2003 gründete und sich damit 2007 selbstständig machte. Label, Verlag und Merchandisevertrieb sind die drei Standbeine der kleinen Firma, zu der ein Festangestellter, ein freier Mitarbeiter und ein Praktikant gehören. Man mache zwar sein Hobby zum Beruf, lasse dafür aber jeden Tag das Telefon angeschaltet. „Artur und ich sind 24/7 am Start. Zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten zu trinken, ist Teil unserer Arbeit. Das klingt abgeschmackt, trifft aber den Kern.“ Prost.

Man könnte sagen, Audiolith hat die DIY-Kultur des Punks in die Jetztzeit, die Zeit der Musikprogramme und sozialen Netzwerke transportiert. Sowohl Schock als auch Lewerenz haben ihre musikalische Sozialisation in der Punkszene erlebt. Mach es selbst. Obwohl du es nicht gelernt hast. Mach es einfach. So kamen ein Plattenlabel für musizierende Freunde, selbst organisierte Touren und Konzerte, gerne auch in selbstverwalteten Veranstaltungsräumen in der kulturell unterversorgten Provinz, und ein breit verzweigtes Netzwerk zustande. All das sichert ihnen nun die Glaubwürdigkeit abseits des Mainstreams, aber gleichzeitig das Überleben in der Musikbranche. „Die Attitüde ist noch da, auch wenn unsere Musik nicht mehr nach Punk klingt. Wir sind aber auch noch credibel“, sagt Schock und erzählt von der Zusammenarbeit mit dem Antifa-nahen Blatt „Straßen aus Zucker“. Und die Kids beschäftigen sich mit erstaunlichem Einsatz im Internet und vor Konzertbühnen mit dem Label.

Elektro-Punk sagt man gerne zu der Musik von Egotronic, die vielleicht in der Tradition von Atari Teenage Riot stehen. Ihre am lautesten mitgeschriene Textzeile: „Wir haben euch was mitgebracht! Bass, Bass, Bass!“ Zehn Jahre existiert die Berliner Band um Torsun, den Sänger. Nach dem Festivalsommer machen sie eine Pause. Im Herbst erscheint das erste Buch des Sängers, der mehr Facebook-Statuseinträge verfasst als Lady Gaga und Justin Bieber zusammen. Die Kollegen von Frittenbude werden oft mit Deichkind verglichen und sind gleichzeitig auch ganz anders. Jünger, gefühliger, weniger Neon-Remmidemmi. In der Internetwährung heißt das: über 70 000 Fans bei Facebook. Die drei Jungs kommen ursprünglich aus einem kleinen Dorf in Bayern, das aber aufgrund einer günstigen Proberaumsituation erstaunlich viele Musiker hervorbringt. Auch Pandoras Box, eine weitere Band, um die sich das Label kümmert, kommt da her. Im nächsten Jahr erscheint Frittenbudes drittes Album, das letzte schaffte es gar auf Platz 57 der deutschen Albumcharts. Auf dem Melt! Festival spielten sie am Sonntagabend auf der Main Stage.

Audiolith-Bands wie Juri Gagarin oder Egotronic haben mit den Möglichkeiten der elektronischen Musikherstellungsgeräte die Drei-Akkord-Wirkungsweise des Punk weitergeführt und in einen zeitgemäßen Kontext gesetzt. Es gebe keine feste musikalische Ausrichtung, es sei nie um ein Genre gegangen, eher um Abseitiges, so Lewerenz. „Wir sprechen mit einem Namen, aber mit vielen Stimmen.“ Wie viele Bands beim Label veröffentlicht haben, kann er so leicht nicht beantworten, da sie nur Titel- und keine Exklusivverträge abschließen. Da kommt was zusammen. Über zehn sind es mindestens.

„Eine Band ist nicht am Reißbrett zu entwickeln. Man kann nicht nach einer Persönlichkeit suchen, die einen lustigen Blog schreibt, politisch ist und dann noch gute Musik macht“, sagt Schock und spielt auf Torsun, den Sänger von Egotronic an. „Wir haben Ideale und Mindeststandards. An die Bands, an uns, an die Veranstalter und auch an die Fans.“ Gemeinsam haben die Musiker bei Audiolith etwas, von dem die Labelbetreiber behaupten, das dies eine gute Band von einer schlechten unterscheide: Charakter, eine Meinung, etwas, das über die Musik hinausgeht. Und das unterscheidet sie von einem Großteil anderer deutscher Indiebands, eine Haltung: In Läden, in denen die Band mit rechter Vergangenheit, Freiwild, aufgetreten ist, spielen sie nicht. Wenn in Dresden Neonazis aufmarschieren, spielt Egotronic für die Gegendemonstranten. Wenn jemand Okma, den Audiolith-Künstler mit Downsyndrom, kritisiert, dann wird geduldig erklärt. Und als Frittenbude im vorigen Jahr ein junges Mädchen auf die Bühne holte und das Publikum „Ausziehen, Ausziehen“ skandierte, brachen sie das Konzert ab. Sexismus lehnen sie ab. In diesem Jahr hat die Band ihren Auftritt bei einem Festival abgesagt, weil ein offen homophober Musiker ebenfalls gebucht wurde und die Veranstalter von einer Distanzierung absahen. Das fand dann auch die „Süddeutsche Zeitung“ interessant, allerdings wollte sich die Band in Interviews nicht zu Anführern einer kritischen Masse stilisieren lassen.

Diese gelebten Überzeugungen bieten allerhand Identifikationsmöglichkeiten für die Anhängerschaft und legen gleichzeitig den Verdacht der Methode nahe. „Audiolith ist mehr als Musik. Es gibt einen Überbau: Torsuns Blog oder der Panda bei Frittenbude, der immer wieder auftaucht. Wir sind greifbar und wollen die Leute zur Teilnahme zwingen.“ Ein cleveres Marketing, das zum pädagogischen Auftrag wird, einen, den sich die Hörerschaft gefallen lässt und sogar schätzt. Bei einem Konzert von Frittenbude in Osnabrück zu Beginn der Sommerferien durften Schüler, die sitzengeblieben waren, vergünstigt rein. Das wird die Mutti-Schein-Ausfüller natürlich weniger freuen als die Statements zu Sexismus. Die Labelmacher sind sich durchaus bewusst, was ihr Marketing ausmacht, die große Kunst ist allerdings, dass man es ihnen abnimmt, es ehrlich zu meinen.

Beim Gespräch an der Hamburger Theke fallen oft Wörter wie „Freundschaft“, „antikonsumistisch“, „Hedonismus“ oder „autonome Kultur“ und so klischeehaft das klingen mag, merkt man doch, dass es wichtige Motivationen ihres Handelns sind. „Dass man untereinander befreundet ist, hat aber auch viele Nachteile. Wir haben relativ wenig Gewalt über die Bands. Leider“, sagt Artur Schock und man ist sich nicht vollends sicher, ob er das nicht doch ernst meint. „Begriffe wie, antikonsumistisch‘ hören sich deswegen so unglaubwürdig an, weil sich die Szene, die das damals in den 80ern und 90ern hochgehalten hat, inzwischen aufgelöst hat. Die Poplinke und die DIY-Punk-Kultur sind fast verschwunden. Heute sind alle ganz pragmatisch und abgeklärt. Zynismus hat die großen Ideale abgelöst. Keiner hat mehr Bock auf Diskussionen oder Streit.“

Ohne das Internet gäbe es das Label nicht, sagte Lewerenz in einem früheren Interview. Bei der letzten re:publica, der Web-2.0-Konferenz in Berlin, war Schock sogar eingeladen, über seine Arbeit und das Internet zu referieren. Dort belohnte er die Anwesenden für ihre Fragen mit Sekt und kleinen Geldbeträgen, um eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. „Das Netz ist für uns keine Verkaufsplattform, keine Ansammlung von Sinus-Milieus und Zielgruppen, die mittels Marketing- und Analysetools auf jeden Cent abgeklopft werden muss. Das Netz ist ein Haufen von Freaks und Idealisten (…). In diesen spannenden Kosmos begeben wir uns, um zu interagieren, kritischen Input zu bekommen und Impulse zu geben.“ So stand es in der Ankündigung. Soziale Netzwerke, behauptet Schock, seien zum Verkauf von Musik vollkommen ungeeignet. Ein interessanter Gegensatz zu all den Social-Media-Experten, die zur Benutzung von Twitter und Co. drängen. „Diese Kanäle sollten der Kommunikation und der Vernetzung vorbehalten sein. Jemandem, der dir auf der Straße Blumen schenkt, verkaufst du doch nicht auch noch ein Zeitungsabo.“ Die Kids seien fit, weiß Schock, die durchschauten schnell jeden Promostunt. „Das Internet hat die Strukturen der Majors zerstört und das ist die Chance für kleine Labels. Denn der Mainstream funktioniert heute so wie früher die Subkulturen.“

Zu dem Netzwerk von Audiolith gehören auch befreundete Labels wie Tapete Records oder Grand Hotel Van Cleef. Gerade haben sie eine Teilfusion mit dem Berliner Label Staatsakt angekündigt. Audioakt nennen sie sich und bringen als Erstes das letzte Album der Mediengruppe Telekommander heraus. Auch so ein typischer Promo-Gag.

Was mit 500 gepressten Platten von Egotronic, von denen die meisten, laut Schock, vermutlich irgendwo verloren gegangen und verschenkt worden seien, begann, wurde zu einer GmbH. Zum diesjährigen Hurricane Festival fuhren sie das erste Mal mit einem Nightliner. Auch wenn es finanziell unvernünftig ist, den Spaß gönnt man sich. Der Busvermieter hat nun allerdings von einer weiteren Zusammenarbeit mit der Firma Audiolith abgesehen.

Die Verantwortung der Labelbosse wird dabei immer größer. „DIY war damals auch Notwehr, aber irgendwann müssen eben die Rechnungen bezahlt werden.“ Und was oft einen schwierigen Spagat bedeutet, klappt bei Audiolith noch gut. Wenn man einen Musikpreis, wie den „Hans“ als „Label des Jahres“ bekommt, geht man eben auf die Bühne und zerhackt den Preis mit einer Axt, um sich von Hans Albers, dem Namensgeber des Preises, und seiner umstrittenen Rolle im Nationalsozialismus zu distanzieren. Wenn die Songs von Frittenbude im Musikprogramm eines Burgerbraters laufen, stellt das für die Kids kaum noch einen Widerspruch dar. Und wenn Egotronic den 10. Geburtstag feiert, druckt die linke Wochenzeitung „Jungle World“ ein Pro und Contra zur politischen Bedeutung der Band ab.

Audiolith haben verstanden, wie man glaubwürdig bleibt, denn das ist ihr größtes Kapital und auch ihr eigener größter Anspruch. Ihre größte Stolperfalle ist der Vorwurf des Ausverkaufs, der mit dem Bewegen in der Indie-Welt an jeder Ecke lauert. Gelebter Hedonismus und spielerischer Unernst sind dabei ihr Puffer. „Sich außerhalb der Norm zu bewegen, flasht die Leute. Es sind meist bescheuerte Ideen, die wir lustig finden und die dann auch noch funktionieren“, erklärt Schock, dessen Idee es auch war, im vorigen Jahr 50 Euro und ein freundliches Anschreiben an verschiedene Redaktionen oder Konzertveranstalter zu schicken. „Reichen Leuten Geld zu schicken, fanden wir eine wahnsinnig gute Idee. Das ist eher so Agitprop-Humor, Spaßguerilla.“ Gebracht hat das bis auf ein lustiges Video und anerkennendes Amusement in der Szene natürlich eher wenig. „Wir haben einen Narrenbonus. Rational ist das nicht, was wir machen.“ Kürzlich haben sie überlegt, ob man nicht ein Auto anzünden sollte, es dann allerdings doch wieder verworfen. Zu den anderen großen Promoideen gehört ein Parkplatzrave auf dem Melt! Festival oder die Tour durch die deutsche Provinz im Jahr 2010, bei der man mit einer Handvoll Journalisten, drei Bands, einer Antifa-Fahne und jeder Menge Dosenbier in einem schäbigen Reisebus die Jugendzentren des Landes abklapperte. Dorfdisko Geiselfahrt nannten sie das.

Im Hamburg sind die Biere inzwischen geleert, Artur Schock und Lars Lewerenz machen sich auf den Weg zum nächsten Termin. Um die Ecke der Kneipe, im Karostar, dem Sitz der Firma, dominieren die Farben Grau und Rot. Der Beton im Treppenhaus ist glatt, die Türen stehen offen. Ein Gründungszentrum für Kreative. Fünf Jahre dürfen die Firmen hier bleiben. Hinter den Türen sind Studios, Schreibtische oder T-Shirts, die sich bis zur Decke stapeln. So wie bei Audiolith im zweiten Stock. CDs und T-Shirts und ein Rechner, in dem der Bestand aufgelistet ist. Wer was bestellt hat, wo das Audiolith-Shirt hingeschickt werden soll. Der Kontakt zur Basis. „So lernen sich mittlerweile Kids im Regionalexpress kennen, weil beide ein Audiolith-Shirt tragen. Das ist schon geil“, erzählt Lars Lewerenz sichtlich begeistert.

Ein Stockwerk tiefer ist der Konferenzraum. Am Tisch sitzen Lewerenz mit roter Mütze, deren Schirm nach oben geklappt ist, Wolfgang, ein Mann mit langen grauen Haaren und Nickelbrille, der für Audiolith die Verlagsarbeit macht, Artur Schock, der etwas in sein Notizbuch schreibt und drei junge Musiker aus Hamburg. Sie nennen sich Fuck Art, Let’s Dance! und befinden sich gerade in den Konsolidierungsgesprächen zu einem Plattendeal. Fuck Art, Let’s Dance! haben bei einem kleinen Bandwettbewerb in Hamburg mitgemacht, bei dem eine Freundin von Lewerenz im Publikum war und sie begeistert weiterempfahl. Ganz klassisch.

Am Tisch erklärt Wolfgang gerade, dass ein GEMA-Beitritt sich nur für Bands lohne, die mehr touren als Platten verkaufen. „Habt ihr euch schon Gedanken über die Aufteilung gemacht? Wer soll als Komponist, wer als Texter bei der GEMA geführt werden?“ – „Ja, aber ohne Ergebnis.“ – „Wenn ihr alle an den Songs schreibt, dann geht alle in die GEMA. Man kann es dann auch bei jedem Song individuell festlegen.“ Nicht der schönste Teil einer jungen Musikerkarriere.

Schock erklärt, was als Nächstes für die Band ansteht: Ein einfaches Video für YouTube erstellen, eine Soundcloud-Seite anlegen, eine Digital-Single, ein paar Festivalauftritte. Artur scherzt über die junge Band, die man jetzt ausnehmen werden. Die Stimmung erinnert nicht an Geschäftsabschlüsse. Lars erzählt von Pitches der Werbeagenturen, die Songs für ihre Spots suchen. Mittlerweile ein gängiges Modell im Musikbusiness, um Geld zu verdienen, selbst wenn sich die Agenturen auch einen beträchtlichen Betrag einstecken.

„Wir können keine Versprechungen machen, dass ihr von der Musik leben könnt. Klar klingen die Mega-Vorschüsse der großen Labels geil, aber dafür muss die Band eben auch alles mit dem Label absprechen. Das ist ein Schlangenbusiness“, sagt Lewerenz und grinst. Und Wolfgang rät: „Es ist wichtig, dass ihr erst mal Musik macht. Die Majors haben in den vergangenen Jahren viele Leute entlassen. Entscheidungen werden vom Geld bestimmt. Für Musik interessiert sich da kaum noch jemand.“ Es sind die typischen Urteile, die typische Abgrenzung zum Mainstream, zur Konkurrenz.

„Was sind eigentlich die Aufgaben des Verlags?“, fragt einer der jungen Musiker in verwaschenem Herrenunterhemd und asymmetrischer Frisur. Wolfgang antwortet: „Vor allem die GEMA-Anmeldung und Abrechnung. Kleine Labels können es sich kaum leisten, nicht auch die Verlagsrechte zu halten.“

Wir legen die Dinge offen, das macht stark“, sagt Schock auf dem Weg zum Essen beim Türken um die Ecke. Lewerenz winkt dem Regisseur von „Rollo Aller“, dem Kurzfilm mit Rocko Schamoni zu. „Hamburg ist ein Dorf“, sagt er. Gute Bedingungen für eine kleine Firma.

Während des Essens gibt Artur Schock der Band Tipps, wie man am besten Instrumente mit in den Flieger bekommt, ohne extra zu zahlen, und Lewerenz erzählt von Fördermöglichkeiten, die man für eine Tour beantragen könne. „Das sind jetzt wahrscheinlich viele Informationen für euch. Den Vertrag habe ich euch schon gemailt“, sagt Lewerenz als die Teller leer gegessen sind. Die Jungs gucken etwas schüchtern, ihr Bartwuchs ist oft noch unbestimmt, die Köpfe geduckt, leises Lachen über Lewerenz‘ grobe Scherze. Das ist also eine neue Band, die sich die Hände wund spielen wird, Nächte um die Ohren schlagen, Kilometer zurücklegen, sich jede Textzeile abringen und vermutlich trotzdem nicht reich werden wird. Vielleicht gab es in letzter Zeit einfach zu wenig gute Bands hatte Schock gesagt. Mal sehen, ob dieses eine gute wird.

Fuck Art, Let’s Dance! mit einem exklusiven Track auf der CD im ME S. 17

Von „Do It Yourself“ zum „Machet einfach“

1966

Garagerock

1972

beginnt mit Lenny Kayes Doppel-Album Nuggets die Heiligsprechung der groben US-Garagenbands der 1960er-Jahre. The Kingsmen, The Standells oder The Seeds führen eine Armada unbekannter Drauflos-Klopper-Bands an.

1976

Punk

„Do It Yourself“ wird zum kulturpolitischen Produktionsprinzip: Dilettantismus, gestohlene Instrumente, Hässlichkeit, zerfetzte Klamotten, Eigenvertrieb, Dada.

1987

Sampling

Der britische Nummer-eins-Hit „Pump Up The Volume“ von M|A|R|R|S verbindet neue Technologien mit dem Prinzip „Bedroom Producer“. DIY wird digital.

1989

Underground Resistance

Jeff Mills und Mike Banks gründen in Detroit die Urmutter aller radikalen Elektronika-Labels. Techno wird politisch.

1998

Napster

Shawn Fanning programmiert die Musiktauschbörse Napster und leitet den Niedergang der alten Musikindustrie ein.

Ab 2004

Websites wie www.punkradiocast.com und tausend andere mehr verlagern die Garage ins Netz. Bands und User kommunizieren direkt übers Netz – wenn sie denn zueinanderfinden.

Kohle aus dem Netz

Beim Prinzip „Crowdfunding“ finanzieren Fans die nächste Albumproduktion. Verschiedene Websites werden dabei zur Kontaktbörse. Vorreiter waren hierzulande die Einstürzenden Neubauten, als sie ihr 2002er-Album mit ihrem Supporter-Projekt möglich machten. Fans konnten sich für 35 Dollar auf eine Website eintragen. Im Gegenzug erhielten sie das Album und die Möglichkeit, via Webcam Fragen an die Band zu stellen und die Aufnahmen zu beobachten.

Ein anderes Modell liefert www.pledgemusic.com. Hier können Bands eigene Profile erstellen, in denen sie exklusive „Incentives“ anbieten. Nach der Bezahlung eines kleinen Betrags, versteht sich. Gang Of Four haben hier etwa einen Helikopter-Flug mit der Band von London nach Glastonbury verkauft. Je größer Netzwerk und Fanbasis, desto besser. Der Künstler behält die Kontrolle über die Zahlungseingänge. Pledgemusic erhält eine 15-%-Vermittlungsgebühr.

Etwas anders funktioniert www.sellaband.com. Fans finanzieren über Anteilsscheine die nächste Platte. Sobald 100 % des geplanten Budgets erreicht sind, gibt es keine weitere Kaufmöglichkeit. Im Gegenzug erhält der Fan gratis Downloads, exklusive T-Shirts, Backstage-Pässe oder Beteiligung am Gewinn. Public Enemy haben so 2010 75 000 $ gesammelt und halten damit den sellaband-Rekord. Ähnlich funktionierte 2005 auch das Projekt von Angelika Express, um ihr Album Goldener Trash zu finanzieren. Schon nach einem Tag waren 70 % der Anteile verkauft. Inwieweit diese „Fananzierung“ für Hunderte oder gar Tausende Newcomer funktioniert, entscheidet aber natürlich die Marktlage.