Alles ist im Flusse


Für die Interviews zur neuen Platte schipperten die Punkrocker von der Spree drei Tage in fremden Hoheitsgewässern.

Am Kölner Rheinufer stehen ein paar Kids und machen Stielaugen. Sie genießen nicht die Aussicht über den majestätischen Strom aufdie Kulisse von Dom und 1 lohenzollernbrijcke. Sie interessiert, was sich auf dem Fluss tut. Dort liegt die „Aventura“ vor Anker, „eines der ältesten deutschen Küstenmotorschiffe (Kümo)“

(Prospekt der Reederei), und zieht die Blicke auf sich. Vom vorbeigleitenden Ruder-Vierer wird frivol gegrüßt, aus Rundfahrt-Booten geglotzt. Der Grund: Die Ärzte haben die „Aventura“ samt Crew für die Dauer der PopKomm angemietet, um hier – abseits vom Trubel der Messe Hof haltend – geballt die Interviews zum am 23. Oktober erscheinenden neuen Album „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer“ abzuleisten. Lind damit jeder mitkriegt, wer hier im Flusse ist, stehen auf Deck, knapp acht Meter hoch und vertäut an Alumasten, die neuesten Errungenschaften der Berliner auf ihrem Weg zur Kiss-Werdung: Gwendoline und Gwendoline, die beiden bestrapsten S&M-Comic-Damen, traditionelle Ärzte-Maskottchen, als aufblasbare Puppen.

„Die sind von demselben Typen in England, der auch das Schwein von Pink Floyd und die Puppen von AC/DC gemacht hat“, erzählt Markus Karg, DÄ-Fan-Beauftragter und Autor der dereinst erscheinenden Ärzte-Biographie (das Erscheinungsdatum hat sich so oft verschoben, dass jetzt erst mal kein neues mehr ausgegeben wird), stolz, Manager Axel Schultz hatte schon seine böse Überraschung mit den Damen: „Wir sind ja fast umgekippt, als die Lieferung aus England kam und wir machen die Kartons auf und die Dinger sind farbig.“ Lind? „Die Gwendolines sind schwarzweiß! Das ist ein Markenzeichen seit 1983, und das war auch so abgemacht. Der hat die einfach farbig gesprüht, weil er fand, die machen so mehr her. Das wäre ungefähr so, als ob du das ‚Coca Cola‘-Logo in Auftrag gibst und der Kreative macht das dann in grün.“ Bevor es also nächste Woche als Headliner der Ilardpop-Days auf Tour geht, werden die Gwens, die dann die Bühne flankieren sollen, noch umgemall, eine große Halle ist schon angemietet, der Flug des Künstlers schon gebucht. „Ich hab dem gesagt: Du kommst hier rüber und machst die schwarzweiß. Ich hab den richtig schlucken gehört auf der anderen Seite“, brummt Axel grimmig und fängt an, die Puppen mit einem Camcorder abzufilmen, dazu Anweisungen vorsieh hin brabbelnd – ein iA’hrfilm für die Roadies, die die Installation der Puppen on tour vornehmen werden.

In der Kabine – sämtliche Möbel sind mit dem tiirkisen Plüschstoff, in den dann auch die neue CD verpackt sein wird, verkleidet – herrscht derweil eine Mischung aus Anspannung und Abhängen. Mitarbeiter, Journalisten und Freunde der Band sitzen herum, immer auf dem Sprung, wenn das Handy klingelt oder plötzlich irgendwo Organisationsbedarf aufkommt. Die Chefs selber nutzen kurze Pausen für Telefonate oder zum Verschnaufen, bevor es wieder mit einem der vom schroffen Kapitän Linden per Fährbool „Strolch“ angeschipperten Journalisten an ein stilles Plätzchen im Schiffsbauch oder vorn am Bug geht. Zwei läge geht das nun schon so, neben den Interviews müssen noch TV-Auftritte (bei Harald Schmidt war man auch schon) koordiniert, das DÄ-PopKomm-Radio am Laufen gehallen (von der Telekom wurde eine Frequenz angemielet, über die rund um die Uhr eine vorgefertigte Radioshow gesendet wird) und der längst ausverkaufte Clubgig im Alten Wartesaal heute Abend organisiert werden. „Tja, viel zu tun“, meint Bela B., lächelt schwach und wendet sich seinem Handy zu. Rod Gonzalez sitzt auf der Reeling. Geht’s gut? „Na ja, soweit mit vier Stunden Schlaf möglich. Aber zum Ausnüchtern hat’s gereicht“, grient er. Von schwerem Party-Seegang auf der „Aventura“ haben wir auch schon was läuten hören – am ersten Abend soll sich der Kapitän gar genötigt gesehen haben, auf seine „Polizeigewalt an Bord“ hinzuweisen. Während die Band Zimmer im I lyatt bezogen hat, nächtigen die Mitarbeiter nämlich auf dem Schiff. „Das ist geil, wie Zeltlager früher“, freut sich Markus Karg. Sein Handy piept das Riff der neuen Ärzte-Single „Wie es geht“: Er muss los zur Messe, das Radio-DAT austauschen.

Der „Strolch wartet schon – es wird eine seiner letzten Fahrten heute sein. Kurz vor der finalen Fuhre am Abend, die, mit der die Band zum Auftritt an Land gehen soll, erleidet er einen Motorschaden. Zur Evakuierung der schwimmenden Ärzte eilt das MTV-Boot mit seinem aufgeblasenen Gummi-M auf der Kajüte – und rettet damit den von VIVA aufzuzeichnenden Gig im Wartesaal. ja, auf der PopKomm sind hall alle Freunde.