Annette Humpe – Solo mio


Heute hier, morgen dort - die Ideal-Frau Ist eine Nomadin. Im Alleingang geht sie mit ihrer ersten SOLO-Platte auf Seelen-Reise. ME/Sounds-Schwester Martina Wimmer fuhr ein Stück mit.

Auch ein Frauen-Ideal kommt mal in die Jahre: 1980 brachte Annette Humpe als kühle, blonde Ideal-Frau Legionen der pubertierenden deutschen Männerwelt um ihre Nachtruhe, 1984 räumte sie im Verbund mit ihrer Schwester Inga und der humoristischen Unterstützung des österreichischen Kreativ-Duos Tauchen & Prokopetz als „Codo“ im Sauseschritt die deutschsprachigen Charts ab. 1986 probten Inga und Annette als Humpe & Humpe ihr Können englischsprachig und europaweit mit zwei LP’s. Annette 1990: Zehnjähriges Berufsjubiläum und die erste Platte als Allein-Sängerin.

Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aus akne-leidenden Ideal-Konsumenten wurden Rechtsanwälte. Steuerberater, Oberkellner und vielleicht auch Musikjournalisten. Doch die Pubertät wird manchmal auch heute noch wach: „Was – du triffst Annette Humpe?“ (Leuchtende Augen) „Eine tolle Frau!'“ Die „tolle Frau“ hat ein hartnäckiges Image: ihre Unnahbarkeit, die unterkühlte Distanz, mit der sie Textzeilen sang wie „Deine blauen Augen machen mich so sentimental“ oder „Du machst mich noch ganz irre“, die seltsame Mischung aus frostiger Stärke und lasziver Verführbarkeit – der uralte Frauen-Trick, um kleine und große Jungs nervös zu machen. (Man darf es ihnen nicht zu leicht machen, das haben uns unsere Mütter schon immer erzählt).

Annettes rotgeschminkter Mund lächelt verschmitzt, als ich ihr von der spontanen Bewunderung erzähle, die ihre mittlerweile gereiften Fans immer noch für sie aufbringen. „Wahrscheinlich haben die meine neue Platte noch nicht gehört. “ SOLO heißt das Werk schlicht, will heißen: Annette hat alle Songs auf dem Album getextet, komponiert und interpretiert. Alleine. „Das Projekt mit meiner Schwester war ein ganz alter Wunsch aus unserer Kindheit, den haben wir uns erfüllt. Dabei haben wir gesehen, was wir uns bringen und was wir uns zerstören. Wir haben gemerkt, daß wir doch sehr verschieden sind, und beide noch was eigenes auf den Punkt bringen wollen.“ Auf den Punkt gebracht hat Annette Humpe in elf leicht dahinfließenden Melodien ohne harte Brüche („Barmusik 2000“), in Liedern voll wohliger Melancholie versetzt mit ironisch schmunzelnden Zwischentönen, ausschließlich sich selbst. Und zwar so, daß sie hierzulande jeder versteht: in Deutsch.

„Nach Ideal, als diese ganze Welle den Bach ‚runterging, mußte ich eine Zäsur machen und die Sprache wechseln. Jetzt, nach zehn Jahren, wollte ich wieder verstanden werde, obwohl es mich sehr viel Überwindung gekostet hat wieder deutsch zu texten.“

Linguistik für Anfänger, die Kommunikation ist ein wundersamer Vorgang, und nicht jeder Deutsche versteht auf Anhieb, was die deutsche Annette Humpe ihm 1990 mit ihren „melancholischen Pobroids“ sagen will.

„Wenn’s mich nicht mehr gibt, macht nichts…“ oder noch schlimmer „Wenn ich tot bin, schau ich aus den Wolken auf dich hinab“, singt Annette Humpe zu schleichenden Klängen mit brüchig-naiver Stimme. Ist aus der starken Frau von 1980 ein Fall für die Psychoanalyse oder gar ein potentieller Suizidkandidat geworden?

Mit solchen Assoziationen hat Annette nicht gerechnet: „Ich bin echt überrascht, daß einige Leute die Platte für so melancholisch halten. Ich finde sie teilweise sehr lustig, ironisch und augenzwinkernd. “

Nichts anderes als ein Selbstporträt der Frau, die ruhig, mit einer amüsierten Laisse-Faire-Attitüde vor mir sitzt, die zuhört, sich Zeit nimmt und dabei doch nicht wie so viele ihrer Kollegen nur peinlich darauf bedacht ist, irgendetwas darzustellen. „Man braucht eine Menge Humor, um zu leben. Ich finde das Leben eigentlich öde, aber da ich eine Menge Humor habe, gelingt es mir immer wieder, Abstand zu gewinnen, über mich und andere zu lachen. Ich habe keinen bestimmten Sinn des Lebens entdeckt, was soll das sein, das gibt es irgendwie nicht, und das ist eigentlich eine traurige Angelegenheit.“ Wer den auf SOLO nicht finden kann, befindet sich in guter Gesellschaft. „Meine Mutter war völlig fertig als sie die Platte gehört hat. Sie hat alle Texte wörtlich genommen, und ich mußte ihr stundenlang am Telefon erklären, wie ich das meine. Sie dachte, sie hätte alles falsch gemacht in der Erziehung, daß sie so ein trauriges Kind hat.“

Aber Annette Humpe ist kein trauriges Kind, heute genausowenig wie vor zehn Jahren. Für Ideal, so meint sie, habe sie im übrigen ähnliche Texte geschrieben, „nur damals fiel das nicht so auf, weil die Musik schneller und aggressiver war.“ Mit ihrer persönlichen deutschen Vergangenheit hat sie keine Identitätsprobleme, auch wenn sie sich seither (blöde Frage) natürlich verändert hat. „Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, heute zu zwölft in einer WG in Kreuzberg zu leben, von vierhundert Mark im Monat. Heute lebe ich in Berlin und in Hamburg, ich habe vorher in London gelebt und in Spanien. Ich habe kein richtiges Zuhause, ich bin eher ein Nomade. Ich langweile mich schnell, und diese ruckartige Langeweile ist für mich immer wieder der Motor, woanders hinzugehen oder etwas anderes zu machen.“

Das große Musikerethos will sie für sich jedenfalls nicht in Anspruch nehmen. „Dieses Rock’n’Roll-Syndrom – furchtbar. ,Ohne Musik kann ich nicht leben‘, da hake ich mir nur noch die Ohren zu, wenn Kollegen sowas sagen. Was meinst du, wie gut die leben können ohne Musik, sobald die ihre Knete zusammen haben.“ Annette Humpe ist „zufälligerweise von Beruf Musikerin, wie andere Leute Zahnarzt“, und SOLO ist kein Anfang für ein sorgfältig geplantes Zukunftskonzept, sondern “ die Platte mußte einfach raus“.

Und wenn sie jetzt wirklich keiner versteht? Annette lehnt sich zurück und hebt gelassen lächelnd die Schultern: „Macht nichts. „