Auf der Bühne wird besonders deutlich, aus welchen Gründen Shirley Manson bei Garbage ganz vorn steht.


Es ist kaum zum Aushalten. Die Temperatur im „Colosseum“ in München geht gegen 40 Grad. Und dann noch das Auge. Das Auge des Schreibers trieft. Wegen Pollenflugs, erhöhten Ozonwerten oder wegen des dichten Tabakrauchs. Oder aber auch wegen der unguten Kombination aller drei genannten Risikofaktoren. Das Auge jedenfalls läuft und läuft und läuft. Genau wie der Schweiß – von der Stirn in die Augen, vom Nacken hinten ins T-Shirt. Körperflüssigkeiten vereinigen sich. Schweiß wird zu Tränen, Tränen werden zu Schweiß. So ist das. Aber, wir schweifen ab. Denn ein paar Meter weiter vorn auf der Bühne mühen sich Garbage schon fünf Songs lang, ihrem Ruf als hart arbeitende Bühnenperformer gerecht zu werden. Ein triftiger Grund für die ^Zuschauer also, ihr Augenlicht aufs Spiel zu setzen, oder – noch schlimmer – das Fußball-WM-Vorrundenspiel Italien-Kamerun zu verpassen.

Shirley Manson trägt ein tiefblaues, enges und ärmelloses Top, einen rotbraunen Minirock aus Wildleder und natürlich – keinen BH. Ohne großartige Verrenkungen entwickelt „Shirl“ eine gewaltige Bühnenpräsenz. Sie ist einfach da. Und das reicht. Und natürlich sind da auch noch die drei Herren. Butch Vig, der Kopf der Band, verschanzt sich hinter einer Hundertschaft von Trommeln und Becken. Der Kopfhörer gibt Vig noch ein bißchen mehr Schutz vor der feindlichen Welt da draußen.

Butch Vig ist schüchtern. Gitarrist/Keyboarder Steve Marker auch. Aber dersucht das zu verheimlichen. Wie ein waidwundes Tier stapft der Glatzkopf mit der schwarzen Hornbrille über die Bühne und liegt mit seinen Bewegungen immer einen Sekundenbruchteil neben dem Rhythmus. Duke Erikson am rechten Bühnenrand scheint das alles wenig zu tangieren. In einer Mischung aus Ungläubigkeit und Neugier schaut er abwechselnd ins Publikum und auf seine Mitspieler.

Die bestreiten den Set zum größten Teil mit Material ihres aktuellen Albums („Version 2.0“). Eine Platte, der böse Zungen unterstellen, daß ein Song wie der andere klinge. Das aber ist eine grobe Vereinfachung. Wie war das noch mit Chantre im Vergleich zu anderen Cognacs? Die Unterschiede sind nicht groß, sondern fein. Garbage spielen nicht einfach die Songs ihrer zwei Alben nach, sondern sie bringen deren Live-Remixe auf die Bühne. „Queer“ wird zu einer schwül-schleppenden Alternativ-Version, „Stupid Girl“ mit einer Unmenge Bleeps, Blongs und Tschirps aus geheimnisvoll blinkenden Kästen hinten am Bühnenrand aufgeladen. Zwischen den Songs bedankt sich Shirley artig beim Publikum und belehrt selbiges in der richtigen Aussprache des Namens ihrer Heimatstadt Edinburgh. Wir lernen: Nicht „Edinboro“, wie die doofen Amerikaner immer sagen, sondern „Edinbarrrra“ muß es heißen, mit schön rollendem „r“. Dann öffnet irgendein mitdenkender Mensch die Türen und läßt Luft herein. Luft! Garbage gehen von der Bühne, und der Tränenfluß versiegt.