Augen Würmer


Sie nennen sich selbst " Torpedo Twins" und haben sich längst zu den begehrtesten Musikvideo-Machern Europas gemausert: Die beiden Österreicher Rudi Dolezal und Hannes Rossacher alias DoRo (Foto oben) sind die Haus-Filmer von Grönemeyer, Queen, Westernhagen, Gianna Nannini und der EAV. Jetzt drehen sie aber erst richtig auf — mit den 90minütigen, nach Spielfilm-Methode produzierten "LongForm- Videos".

Der Österreicher, so sagt man in Deutschland, ist von Natur aus eher langsam. Zwei Wiener Video-Workaholics können über dieses Vorurteil nicht lachen, noch nicht einmal dafür haben sie Zeit: Hannes Rossacher und Rudi Dolezal, als „Torpedo Twias“ des Rock-Videos mit ihren Arbeiten aus TV-Sendungen wie „Musikszene“ oder „P.I.T.“ bekannt, haben einen Terminplan wie der Bundeskanzler zu Wahlkampfzeiten. Wer einen der beiden ans Telefon bekommen will, muß sich auf eine tagelange Schnitzeljagd gefaßt machen, bis es irgendwo zwischen ihrem Wiener Produktionsbüro und Hotels in Berlin, Hamburg, London oder sonstwo endlich zu einem Gespräch kommt Schuld daran ist ein Boom, den sie selbst mitausgelöst haben — das

„Longform-Video“, jene mindestens eine Stunde langen Clip-Zusammenstellungen, Konzerrmitschnitte oder Künstler-Dokumentationen auf Video. Dabei bedienen sich die Film-Macher — im Unterschied zu den herkömmlichen Clip-Kompilationen — der gleichen aufwendigen Schnitttechnik, wie sie auch für jeden kommerziellen Kino-Film benutzt wird. In Deutschland hat diesen Boom vor allem das Konzertvideo von Marius Müllcr-Westemhagens letzter Tour beschleunigt. Diese Longform-Konserve ging bis dato etwa 40000 mal über die Ladentische und bewegte den Bundesverband der phonographischen Wirtschaft gar dazu, Goldund Platin-Verkaufsgrenzen auch für diesen Bild/Tonträger festzulegen. Westernhagens Video ging denn auch als erstes über die Platin-Grenze, Regie führten Rossacher und Dolezal.

Vor einigen Wochen erschien Herbert Grönemeyers in Dortmund aufgenommenes „Luxus Live“-Video in etwa zeitgleich mit Gianna Nanninis „Giannissima“, einem Zusammenschnitt der Höhepunkte von der europaweiten Sommer-Tour der Italienerin — beides natürlich im Longform-Konzept. Kurz darauf folgte „Watzmann Live“, ein Mitschnitt von der Wiederaufführung des legendären Alpen-Rusticals, und in diesen Wochen noch sollen ein Live-Video der Ersten Allgemeinen Verunsicherung und eine Video-Kollektion der langjährigen Rossacher/Dolezal-Kunden Queen in die Laden-Regale kommen.

In allerletzter Minute ist noch ein Auftrag für die „Torpedo Twins“, ein Name, den sich Hannes Rossacher und Rudi Dolezal selbst gaben, dazugekommen. Innerhalb von zwei Wochen entschied sich Ende Oktober, daß die beiden mit ihrer Firma „Do-Ro Productions“ in Hamburg einen Live- Mitschnitt der aktuellen Tin Machine-Tour drehen sollten. „Es kommt leider ziemlich häufig vor, daß sich Künstler und ihr Management erst während einer Tour entscheiden, daß sie gerne ein Live-Vtdeo machen möchten“, klagt Dolezal. „Es wird im Musikbusiness kaum jemals so weit vorausgeplant, wie es eigentlich sinnvoll und professionell wäre. An einer solchen Produktion arbeiten wir mit bis zu 80 oder 90 Leuten, darunter Spezialisten, die wir uns aus ganz Europa zusammensuchen müssen.“

Das ist mittlerweile aber nicht mehr das Hauptproblem, denn im Laufe der rund 500 Konzerte, die die Torpedo Twins bisher (zunächst vor allem fürs Fernsehen) gefilmt haben, hat sich eine in der Branche beneidete Kartei mit den Adressen der besten Spezialisten angesammelt. „Wir brauchen schließlich Leute mit einem ganz besonderen Gespür — nicht jeder gute Kameramann kann auch ein Konzert gut aufnehmen, er muß zusätzlich ein Feelingßr die Musik haben“, freuen sich die Wiener.

Ihr Ehrgeiz in dieser Hinsicht ist nicht übertrieben, genügt es doch schon „lange nicht mehr, ein Konzert einfach abzufilmen, vor allem bei der Masse an Konzertvideos, die heute auf den Markt geworfen werden. Weil man das Live-Erlebnis ohnehin nicht komplett über den Bildschirm transportieren kann, muß im Video als Ersatz eine neue Dimension hinzutreten. „

Rossacher/Dolezal haben deshalb über die Jahre hinweg versucht, eine ganz eigene Konzertvideo-Ästhetik und „nach und nach ein gemeinsames Feeling für eine Schnitt-Dramaturgie zu entwickeln, die dem Zuschauer die Spannung über 90 Minuten hin erhält.“

Um das zu ermöglichen, sind umfangreiche Vorarbeiten notwendig, nicht zuletzt, weil natürlich auch die Künstler bei der Gestaltung ein Wörtchen mitzusprechen haben.

„Wir planen wirklich generalstabsmäßig. Wir sehen uns zunächst einmal mehrere Konzerte an, nehmen dann eines mit einer sogenannte Bühnen-Totalen komplett auf, und erstellen auf dieser Grundlage eine Art optisches Drehbuch, so ähnlich wie das auch fiir die Lightshow gemacht wird.“ An einem Abend haben Rossacher/Dolezal meist sechs bis sieben Kameras im Einsatz, darunter häufig einen sogenannten Sky-Mode-Kran. „Ein solches Video mit unserem handwerklichen Standard kostet in der Regel zwischen 300 000 und 400 000 Mark“, macht Dolezal klar.

Ob die Konzertbüder noch von einem bei Dolezal und Rossacher beliebten Stilmittel — den Backstage-Impressionen — bereichert werden, hängt von der Zustimmung der Künstler ab: „Das ist eine Typ-Frage. Westernhagen etwa macht es Spaß, dabei gefilmt zu werden, wie er hinter der Bühne herumblödelt. Grönemeyer hingegen zieht sich vor dem Konzert ganz in sich selbst zurück, konzentriert sich und mag deshalb verständlicherweise dann keine Kamera dabeihaben.“