Aus der Musikexpress-Ausgabe November 1991: Prince lüftet den Schleier


Lang waren seine Lippen versiegelt, seine Motive verschleiert. Plötzlich erzählt Prince mehr, als man wissen will: Angst vor Frauen, sein erster Sex. Hat er das nötig?

Das folgende Interview fand während eines zweistündigen Besuchs im Princeschen Paisley Park in Minneapolis statt. Ich war gerade von New York nach Los Angeles geflogen, als mich die Nachricht erreichte, daß Prince zum Gespräch bereit war. Sieben Stunden später sollte ich mich zum Termin in Minneapolis einfinden.

Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Müde, gejetlagged, aber mit aus Vorfreude geweiteten Augen traf ich im Paisley Park ein. Ich hatte vielleicht neun Stunden Schlaf in den vergangenen drei Tagen gehabt.

Prince hatte seit drei Tagen kein Auge zugetan.

„Wozu auch“, erklärte er achselzuckend. „Ich schlafe, wenn ich muß.“ Prince war mitten in den Proben mit seiner Band The New Power Generation. Dummerweise stand ich zunächst auf der falschen Seite einer gigantischen Ladetür, die zur Probenbühne führte. Ich hörte, konnte aber nichts sehen. Und ich war einfach zu schüchtern, um beiläufig in den Raum zu schlendern. Was zum Teufel soll man auch einem Typen wie Prince SAGEN.

Die Paisley Park-Angestellten halfen mir auch nicht gerade, mein Selbstvertrauen zu stärken, als sie mich warnten, daß Prince vielleicht gar nicht mit mir reden WOLLE. Und selbst WENN, könne die Konversation gerade solange dauern, um „Hi! Wie geht’s?“ zu sagen. Während einer Pause führte man mich dann doch in einen funktionellen grau-roten Raum, in dem Prince eben ein Telefonat beendete.

In der Zeit unseres kurzen Gesprächs entpuppte sich Prince als geistreich, charmant, schüchtern und ungeduldig — und manchmal einfach völlig abgehoben. So extrovertiert er auch auf der Bühne sein mag: Hinter der Bühne beginnt eine andere Welt — eine Welt, die Prince oft beängstigend findet. Einmal hatte er beispielsweise ein Auge auf Chaka Khan geworfen (Prince schrieb „I Feel For You“ speziell für Khan), war aber anfangs zu schüchtern, um ein Tuffen zu arrangieren. „Ich riß sie an und gab vor, Sly Stone zu sein, von dem ich wußte, daß sie ihn mag. Als sie merkte, wer wirklich der Anrufer war, lachte sie mich nur aus, aber es war mir einfach zu peinlich, sie direkt anzusprechen, verstehst du.“

Prince kann oft selbstsicher bis zur Grenze der Arroganz wirken, aber es ist nur eine Maske zum Verstecken der eigenen Unsicherheit, einer Unsicherheit, die er verspürt, wenn er sich in einer Situation befindet, die er nicht kontrollieren kann. Also kreiert und kontrolliert Prince — wie auch Michael Jackson, der andere Megalomane – seine eigene Umgebung. Plattenfirma, Filme, Fremdproduktionen, das Management des Fünf-Millionen-Dollar-Komplex im Paisley Park — Prince überblickt persönlich jeden Aspekt seines musikalischen und geschäftlichen Imperiums, weil er niemals mehr als vier Stunden am Stück schlafen kann, ruft er regelmäßig Freunde, Bandmitglieder und Angestellte mitten in der Nacht an, um über geschäftliche Belange zu diskutieren — oder unzusammenhängend über Religion und Sex zu schwafeln.

Durch ein Telefonat entdeckte er auch seinen jüngsten Fan: Eines Nachmittags nahm er das Telefon auf seinem Schreibtisch ab — und hatte am anderen Ende ein fünfjähriges Mädchen aus Louisiana, das zuhause mit dem Telefon gespielt und per Zufall Prince an der Strippe hatte. Sie plauderten eine Stunde lang. Als Wochen später die Eltern des Mädchens die Telefonrechnung bekamen, riefen sie verärgert die aufgelistete Nummer an. Prince erklärte, wer er war, was passiert war und versprach den Eltern, daß er ihre gesamte Telefonrechnung bezahlen würde. „Kids sind schwer okay. Sie verstellen sich nicht.“

Eine Minute entspannt und nachdenklich, die andere ein Bündel nervöser Energie — so scheint sich seine mentale Verfassung in einer Serie von inneren Rhythmen zu manifestieren. Er lächelt mild, als ich den Fehler mache, ihn mit anderen Stars zu vergleichen.

„Kids haben mir gesagt: ,Du bist besser als Michael Jackson oder MC Hammer‘, aber es gibt nun mal objektiv keinen Besten. Frag meine Großmutter! Die würde nämlich nicht Prince, sondern Frank Sinatra sagen!“ Damit nicht genug: „Einige meiner Stücke haßt meine Oma geradezu — sie sagt ,Pfui‘, wenn sie sie hört.“

Prince, hyperaktiv wie kein zweiter, macht eigentlich alles — warum macht er keine Interviews?

„Man kann alles, was es über mich wirklich zu wissen gibt, in meiner Musik finden. Man hält mich für mysteriös, aber ich bin es nicht. Letztlich bin ich schüchtern. Außerhalb meiner Umgebung höre ich anderen Leuten zu, weil andere Leute immer interessanter sind als ich.“

Immerhin ist Prince nicht nur für musikalische Geniestreiche bekannt, sondern auch für sein exzentrisches Image. Kritiker haben ihm mehr als einmal vorgeworfen, zuviel Zeit mit seiner Wirkung auf die Öffentlichkeit zu verschwenden. Ein Vorwurf, über den Prince nur lachen kann. Er ist kein posierender Kleiderständer, weiß andererseits aber genau, daß es nicht zuletzt sein Image ist, das ihn so einzigartig macht. Mit einem breiten Grinsen sagt er: „Ich bin gefährlicher als der Rest!“ Seine Augen blitzen, das leicht eingefettete Haar fällt ihm ins Gesicht und er explodiert fast vor Lachen.

„Wenn Tausende kleiner Mädchen versuchen, dir die Kleider vom Leib zu reißen, ist das schon was. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, daß mein Image keine Wirkung hätte. Aber andererseits ist dieser ganze Kram — die Kleidung, das Tanzen — nur ein winziger Teil von mir. „

Wie jeder wirkliche Musiker haßt Prince den Gedanken, daß die Fans ihn nur wegen seiner Frisur und Kleider mögen könnten. Er weiß nur zu gut, daß Stars von ihrem Image gefangen und überrollt werden können. „Ich muß höllisch aufpassen, daß mir die Dinge nicht aus der Hand gleiten. Es ist nur zu einfach, die Kontrolle über ein Image zu verlieren. In dem Augenblick, da es die Überhand gewinnt, bist du ein toter Mann.

Was die Musik angeht, so habe ich jederzeit die totale Kontrolle. Und zu allerletzt bin ich nun mal Musiker. Das ist meine einzige Realität. Wenn mein Körper das einzige wäre, was die Leute antörnt, würde ich die Brocken hinschmeißen. Der physische Aspekt ist Schall und Rauch. Meine Musik reflektiert, was ich denke, wie ich fühle, die Wahrheiten, die ich suche. Sollte ich jemals an den Punkt gelangen, wo ich mich nicht mehr auf meine Musik konzentrieren kann, weil ich dem Publikum etwas vormachen muß, werde ich mich verabschieden. Ruhm interessiert mich nicht, Erfolg hat keine Bedeutung. Mein Ziel ist es nicht, reich zu sein, sondern einfach glücklich zu sein mit dem, was ich mache.“

Sex ist das zentrale Thema, das sich wie ein roter Faden durch meine gesamte Musik zieht, obwohl Prince prompt behauptet, daß seine Texte in diesem Punkt oft mißverstanden werden. „Meine Songs handeln mehr von Liebe als von Sex. Ich sage nicht, ich möchte mit jemandem etwas tun, sondern für jemanden etwas tun. Natürlich hat Sex mehr mit dem menschlichen Leben zu tun als sonst etwas. Dieser ewige Kreislauf, die Tatsache, daß Menschen beim Thema Sex ihren Kopf verlieren — das ist es, was mich interessiert.

Als ich jung war, las ich immer die pornografischen Schmöker, die meine Mutter in ihrem Schlafzimmer versteckt hatte. Als ich die durch hatte, schrieb ich meine eigenen. Diese Erfahrung hat mich schon zu einem gewissen Grad verschroben gemacht, aber es machte mich auch sehr früh auf meine Sexualität aufmerksam.“

Prince wurden Affären mit einer Reihe attraktiver Frauen wie Kim Basinger, Cat. Sheila E und den Models Ingrid Chavez. Begonia Pascal und Monique Kiemann nachgesagt. Aber die Überschriften-trächtigen Berichte über seine weiblichen Eroberungen haben wenig mit der Realität gemein. Wie kommt er mit der konstanten Beachtung weiblicher Bewunderer zurecht?

Gar nicht. Wenn ich versuchen wollte, allen Mädchen gerecht zu werden, die mir angeblich nachlaufen, woher sollte ich da noch die Energie nehmen, meine Musik zu machen? Und ich liebe nun mal den Gedanken, daß es so viele Menschen gibt, denen meine Musik gefällt. Und ich bin Profi genug, um mir die Kontrolle darüber nicht aus der Hand nehmen zu lassen.“

Prince ist übrigens davon überzeugt, daß die Welt nie von ihm gehört, wenn er nicht in Minneapolis, sondern in New York oder Los Angeles aufgewachsen wäre. „Wir bekamen die neueste Musik in Minneapolis erst drei Monate später zu hören. Die weißen Radiostationen spielten vorwiegend Country, und der einzige schwarze Sender war entsetzlich langweilig. Also beschloß ich eines Tages, meine eigene Sache zu machen. Wenn Minneapolis nicht so weit zurück gewesen wäre, hätte ich vermutlich nicht soviel Mühe investiert, um meinen eigenen Weg zu gehen. Ich hatte keinen Plattenspieler, als ich aufwuchs, und ich hatte nie die Chance, Jimi Hendrix und den ganzen Rest auszuchecken, weil sie schon tot waren, als ich anfing, ernsthaft Musik zu machen. Ich hatte 1974 noch nicht mal mit dem Gitarre-Spielen angefangen. „

Böse Zungen behaupten, daß Prince nur deshalb gezwungen sei. doppelt so hart zu arbeiten, weil er klein sei… Eine Unterstellung, die der Betroffene gar nicht lustig findet. „Es läßt mich kalt, wenn die Leute sagen, ich würde Absätze tragen, weil ich klein bin. Ich trage sie, weil Frauen sie mögen.“ Prince mag zwar nicht gerade wie ein Box-Champion gebaut sein, aber er versteht sich trotzdem als Kämpfer. Als Teenager war er gezwungen, sich auf den Straßen und in den Clubs seiner Heimatstadt Minneapolis zu behaupten. „Wenn man etwas über meine Klamotten sagte oder wie ich aussah, flogen die Fäuste. Ich war ein guter Kämpfer. Ich verlor nie. Ich weiß nicht, ob ich fair kämpfe, aber ich lasse mich darauf ein.

Auch heute mache ich noch immer, was ich will — und die, die damit nicht klar kommen, haben eben ein Problem. Ich glaube, daß die Gesellschaft zu viel Gewicht auf Adjektive legt. Man sollte sich auf den Punkt konzentrieren, in dem wir alle gleich sind: was man bekommt, wenn alles vorbei ist.“