Beck: Beckstreet Boy


Früher galt er in erster Linie als genialischer Bastler mit Hang zu bizarren Klang-Collagen. Mittlerweile hat Beck bewiesen, daß er zu den coolsten Köpfen seiner Generation zählt. Nun überrascht er mit frivolem Funk von der Straße.

DIESER TYP MIT DEM MILCHGESICHT, DIESER 29 JÄHRIGE IM Körper eines 14jährigen ist, wenn wir den Schlagzeilen aus Szene-Blättern wie „New Musical Express“, „Spin“ oder „Melody Maker“ glauben wollen, der coolste Künstler des zu Ende gehenden Jahrhunderts. Beck Hansen sitzt in seiner Suite im New Yorker Soho Grand Hotel über einer dampfenden Kaffeetasse. Blaß und ein bißchen verhuscht sieht er aus, und noch immer hat er sich keinen Reim auf den Rummel um seine Person machen können: „Ich bin eigentlich derselbe Typ geblieben, der ich mit 14 oder 15 war. Ich ziehe mich nicht mal anders an. Schon deshalb frage ich mich immer noch, warum Journalisten ausgerechnet mir Fragen stellen wollen.“

Vielleicht, weil er mit „Midnite Vultures“ nun schon das zweite Album in zwölf Monaten vorlegt – und nur so zu strotzen scheint vor Kreativität. Ruhepausen, Urlaub, Tapetenwedisel? Nicht für Beck, der sich auf dem Zenit seines Schaffens wähnt und diesen Moment möglichst effektiv auszuschöpfen versucht. Zenit? In Becks Karriere folgte bisher ein Höhepunkt dem anderen. Und dabei ging der Kultkünstler nicht nur schnell, nicht nur äußerst ambitioniert, sondern auch verblüffend unverkrampft zur Sache. So ließ er auf die Sample-Orgie „Odelay“, die ihn 1996 endgültig etablierte, erst mal ein entspanntes Folk-Album für seine Freundin folgen: Kaum, daß die Fans „Mutations“ geschluckt hauen, standen schon wieder diverse Soundtracks aus Becks Feder in den Plattenläden. Der Drang zum steten Wandel, zur kreativen Flucht nach vorne und zur stilistischen Neuerung – bei Beck wird er zum Programm: „Heute arbeitet doch jeder mit Samples, Drum-Loops und einer vertrackten Produktion. Das ist einfach ermüdend. Für mich ist es wie ein Lieblings-Restaurant, in dem du jahrelang ißt, bis es plötzlich jeder entdeckt, und du in einer riesigen Schlange warten mußt, um einen Tisch zu ergattern. Spätestens dann macht ein Besuch natürlich keinen Spaß mehr, und du suchst dir was Neues. Das Gleiche gilt für die Musik. Der ganze Sample-Ansatz ist so fürchterlich trendy und abgegriffen, daß er viel von seiner Faszination verloren hat.“

Mittlerweile tummeln sich in der amerikanischen Musikszene bereits allerlei Beck-Epigonen, Gruppen, die sich auf des Meisters Masche eingeschossen haben und diesen Ansatz bis zum Letzten ausreizen, während ihr Vorbild schon wieder ganz woanders ist: „Das ist es doch, was Bands wie die Beatles so einflußreich gemacht hat. Jedesmal, wenn die Konkurrenz aufgerückt ist, haben sie kurzerhand etwas anderes gemacht und sich an neuen Sounds versucht. Sie haben sich nie auf eine bestimmte Formel verlassen.“ Überhaupt, die Beatles: „‚Sgt Pepper‘ enthält viel mehr Collagentechnik, als ich jemals benutzt habe – Fuzzgitarren und Sitars und Knabenchöre.“ Trotzdem, meint Beck, gebe es da „keinen großen Unterschied.“ Ganz so gering sind die Unterschiede dann doch nicht. Auf „Midnite Vultures“, Becks neuem Album, mischt sich Funk mit Disco-Sound, Seventies-Rock mit arabischem Folk, Elektronik mit Banjos oder Streichern. Lind diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das Resultat ist ein dampfender Hexenkessel voll cremigem Sex, sprühendem Witz und abenteuerlichen Reverenzen mit einer dicken Sahnehaube aus Rhythm’n’Blues obendrauf: „In der weißen Rockmusik ist Sexualität noch immer etwas Negatives. Meistens geht es doch nur um Mißbrauch, Abhängigkeit und Perversität. Im Rhythm’n’Blues dagegen ist Sex etwas ganz Natürliches und Unbeschwertes. Deswegen höre ich auch schon seit Jahren Brandy oder R. Kelly. Das ist einfach viel interessanter und natürlicher. Wenn die etwas singen wie ‚I wanna lick you up and down and make your body real hot‘, dann hat das nicht nur Leidenschaft, sondern auch Humor. Lind der ist im Rock völlig ausgestorben.“ Doch Beck beläßt es nicht beim lammem, sondern legt mit „Mixed Bizzness“ den besten Prince-Song hin, den der Mann aus Minneapolis nie geschrieben hat. Lind zwar leichthin, mit einem ironischen Augenzwinkern – wie des öfteren auf „Midnite Vulture“. Die Hollywood-Schickeria, das Musikbusiness, der Rock’n’Roll-Lifestyle, das halbseidene Rap-Milieu: Alle bekommen ihr Fett weg. Dabei kokettiert Beck lieber lasziv mit Klischees, als sich als Moral-Apostel zu gerieren. Und zwar mit so viel Raffinesse und hintergründigem Humor, daß erst zwischen den Zeilen der Satiriker des Pop herauszuhören ist.

Es paßt in seine Biographie, daß Beck aus einer künstlerisch vorbelasteten Familie stammt: Mutter Bibbe war jüngstes Küken in Andy Warhols ‚Factory‘-Kommune und betrieb später ein Szene-Cafe in Hollywood. Vater David Campbell ist ein gefragter Session-Musiker und Arrangeur, der für Aerosmith, Cracker und Green Day gearbeitet hat – und auch auf der einen oder anderen Beck-Platte zu hören ist. Trotzdem ist Beck von Anfang an seinen eigenen Weg gegangen. Ohne finanzielle Unterstützung, ohne richtige Ausbildung und ohne großen Ehrgeiz tingelte er so lange durch die Kneipen und Bars von Los Angeles, bis er genug Geld zusammen hatte, um mit einem Greyhound-Bus nach New York zu fahren – wo er sich prompt als Straßenmusiker durchschlagen mußte: „Das war zu einer Zeit, als noch kein Mensch von alternativer Musik gesprochen hat. In den 80ern hat sich die gesamte Folk-Szene vom Easy Listening vereinnahmen lassen. Überhaupt gab es nur zwei Kategorien von Musik-Fans. Entweder solche, die auf die Sex Pistols, Ramones oder Devo standen, oder jene, die sich für die Wurzeln der Musik, eben für Leadbelly und Woody Guthrie interessierten – Musiker, die mit ihren Songs die Welt verändern wollten. Die machten Anti-Folk, die Gegenbewegung zum wässerigen Mainstream.“ Denen gehört Beck bis heute an, selbst wenn seine Musik natürlich längst vorn Mainstream akzeptiert wird. Mehrere Millionen verkaufte Alben von „Mellow Gold“ und „Odelay“ sprechen da eine deutliche Sprache. Beck selbst rätselt über die Gründe seines Erfolgs: „Ich will Spaß haben, also schreibe ich witzige Texte. Es kann ja auch nicht jeder so furztrocken wie Leonard Cohen sein. Obwohl selbst dessen Stücke einen gewissen Humor besitzen – ich denke da an Zeilen wie ‚Give me crack and anal sex‘. Genau darin besteht die Schönheit dieser Songs: Sie sind tragisch, zeugen aber auch von einer spielerischen Ironie. Ich finde es einfach grandios, ernste Themen witzig zu verpacken. Du mußt nur dem Zuhörer die Möglichkeit geben, den Witz zu verstehen. Du lachst über dich selbst, aber du gibst ihnen die Chance, daran teilzuhaben.“ Nun ist aber Ironie zur Sprache der 90er geworden. Hat die Konjunktur des Augenzwinkerns nicht zu einer Inflation der Ironie geführt? Beck ist gerne ironisch, stellt aber einschränkend fest: „Wenn du schon ironisch bist, solltest du versuchen, zumindest ein gewisses Maß an Menschlichkeit zu wahren. Dazu braucht es lediglich ein wenig Sentimentalität und ein gesundes Maß an Aggression. Hinter Ironie kannst du dich verstecken wie hinter einer Maske, aber du verbirgst doch nur dein wahres Ich. Und das ist verdammt feige. Es ist viel mutiger, seine Gedanken zu äußern und dabei ruhig mal verletzlich zu sein. Du kannst auch naiv sein oder auch mal etwas sagen, von dem du nicht weißt, ob es den Leuten auch wirklich gefällt. Das ist die einzige Chance, dich zu entwickeln und das nächste Level zu erreichen. Wenn du immer nur auf Nummer Sicher gehst, stehst du irgendwann für immer still.“

Eine Befürchtung, die Beck vor allem nach dem ’94er Mega-Hit „Loser“ hatte. Ein verschrobener, kleiner Pop-Song mit witzigem Text, billigem Video und der innovativen Kombination aus dumpfer Beatbox und Schrammelgitarre, der ihn über Nacht zum Popstar machte. Nur tat Beck in der Folgezeit alles, um sich davon zu lösen – live gespielt hat er seinen Single-Hit schon seit Jahren nicht mehr: „Ich will einfach ich selbst sein, statt immer nur diejenigen zu bedienen, die ausschließlich wegen ‚Loser‘ kommen. Mein Publikum muß in der Lage sein, mich auf meiner Reise zu begleiten. Ich setze mich doch nicht hin und spiele 90 Minuten lang nur diesen einen verdammten Song!“ Da schimmert noch immer jede Menge kompensierter Unmut durch – das Gefühl, mißverstanden, limitiert und auf ein einziges Klischee reduziert zu werden. Denn obwohl das Stück zur Slacker-Hymne aufstieg, hat sich Beck doch nie mit dem Heer der Couch Potatoes und desillusionierten Taugenichtse identifiziert: „Vor sechs oder sieben Jahren dachten die Leute, ich würde den ganzen Tag fernsehen oder mit der Wasserpfeife rumlaufen. Aber das ist Schnee von gestern – zumindest in den Staaten. In Europa scheinen sich die Leute aber immer noch sehr schwer damit zu tun. Sie sehen ein Video, das sechs Jahre alt ist und denken, ich wäre immer noch die selbe Person. Für mich war ‚Loser‘ einfach nur ein Track, den ich in vier Stunden geschrieben hatte und der einen ganz bestimmten Moment festhielt. Seitdem habe ich aber schon 100 andere Stücke zu Papier gebracht.“ Songs sind für Beck nichts anderes als Momentaufnahmen, die gewisse Gedanken und Stimmungen transportieren, aber doch nicht für die Ewigkeit geschaffen sind: „Erinnere dich nur an dein erstes Automatenfoto für eine Bahnkarte oder das Bild von deinem 20. Geburtstag – das sind deine ganz privaten Erinnerungen, aber die Medien greifen sie auf und projizieren sie auf die breite Masse Dadurch werden Schnappschüsse zu einer Art immerwährendem Image.“ Dennoch vermeidet Beck konsequent, Pop zu viel Anspruch und Bedeutung zuzusprechen. Als Enkel des Fluxus-Initiators AI Hansen versteht er seine Musik vor allem als Mittel zum Zweck – etwa, um das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit für so etwas wie klangliche Kunst zu ebnen: „Ich bemühe mich, Elemente aus unterschiedlichen Kulturen zu kombinieren. Aber ich wehre mich dagegen, bestehende Formeln zu verändern. Das wäre mir dann doch zu einfach. Vielleicht mache ich mir das Leben auch nur selbst schwer, aber wenn ich mit meiner Musik wirklich jemanden erreiche, ist die Beziehung dafür um so intensiver. Das Ganze ist dann einfach realer und funktioniert zudem ganz ohne Rock’n’Roll-Pathos und diesen üblen Weltschmerz.“

Kein Wunder also, daß Beck mit der heutigen Rockmusik nur wenig anfangen kann: „Ich habe einfach ein Problem mit überzogenen Egoismen, Selbstbeweihräucherung und bewußter Manipulation. Und es irritiert mich, wenn sich hinter einer derart arroganten Fassade nichts Geniales verbirgt. Das ist etwas, was mir schon nach dem Durchbruch von Nirvana aufgefallen ist. Damals gab es viel zu viele Bands, die sich auf ein offenkundiges Plagiat beschränkten. Es war fast so, als ob du in den Kostümverleih gehst und sagst: ‚Jetzt bin ich dies oder das‘, ohne wirklich daran zu glauben oder irgendwelche Gefühle zu investieren. Aber das ist nun einmal das, was das heutige Plattengeschäft auszeichnet. Es geht um ein Produkt, das weniger inspiriert, dafür aber bodenständig ist und sich möglichst oft verkaufen läßt. Da wird ganz auf Nummer Sicher gegangen – übrigens gilt das nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur, im Film und in anderen kulturellen Bereichen.“

Stellt sich die Frage, wie der smarte Endzwanziger Beck aus dieser Krise herausfinden will. Etwa durch die Gründung eines eigenen Labels oder dem Bewußtsein, alles anders, wenn nicht sogar besser zu machen? Beck zeigt sich begeistert: „Tolle Idee, nur dazu mangelt es mir einfach an Zeit. Es klingt verrückt, aber mein Leben besteht aus so vielen unterschiedlichen Verpflichtungen, daß die Musik bei mir fast an unterster Stelle rangiert. Meine Plattenfirma fragt mich ständig nach Tourneen, Singles und Videos. Aber glaubst du, die sagen jemals: ‚Nimm mal ein paar Songs auf? Von wegen! Zum Glück habe ich genug Selbstdisziplin, um mich alle paar Monate regelrecht zum Schreiben zu zwingen und mich nicht in diesem Party- und Popularitätswahn zu verlieren.“

Überhaupt ist Beck ein Mann der Prinzipien. So meidet er Pressetermine ebenso wie die Veranstaltungen der Musikindustrie, läßt sich nur ungern in der Öffentlichkeit blicken und geht lieber auf anstrengende Clubtourneen, als sich in Talkshows anzubiedern. Dieselbe Abneigung hegt er gegen Statussymbole wie Autos, Immobilien oder den kalifornischen Lebensstil: „Los Angeles ist superdekadent, nur eben nicht auf eine romantische, ästhetische Weise. Hier geht es nur darum, sich den Körper liften zu lassen, jeden Tag ins Fitness-Studio zu rennen und in exklusiven Restaurants zu essen.“ Beck selbst fährt einen klapprigen Chevy aus den frühen 70ern, lebt in einem alten Backsteinhaus in Pasadena, 20 Autominuten außerhalb der City, und ist schon seit Jahren mit Freundin Leigh, einer Visagistin, zusammen – eine Liaison, die so herzerfrischend natürlich wirkt wie eine Bekanntschaft unter College-Kommilitonen. Von einer Vereinnahmung durch den Rock’n’Roll-Lifestyle kann denn da auch überhaupt keine Rede sein. „Ich betrachte das Ganze aus der Distanz“, erzählt Beck, „wenn ich auf eine Party gehe und tatsächlich auf irgendeine Berühmtheit stoßen sollte, bin ich total schüchtern. Aber ich treffe auch nur selten Leute, die wirklich etwas zu sagen haben und mit denen ich mich auseinandersetzen möchte. Was mich wirklich interessiert, sind dieselben kreativen Ansätze, die mich schon lange vor diesem Karriereboom beschäftigt haben. Die sind nie verschwunden.“ Dazu zählt die pure Lust am wilden Experimentieren, am frivolen Grenzgang zwischen den Stilen und an der Verknüpfung von Musik und Kunst. So sind Beck-Songs regelrechte Klang-Puzzles, die sich aus vielen kleinen Sound-Partikeln zusammensetzen und zusammengehalten werden von… Sex? Sein gegenwärtiger Flirt mit zeitgenössischem Rhythm’n’Blues jedenfalls läßt darauf schließen. Dem britischen New Musical Express vertraute Beck denn auch folgendes an: „Ich mag die ungebrochene Sentimentalität in moderner schwarzer Musik, wo Sexualität noch verspielt ist. Das Ganze ist sehr direkt, aber auch ehrlich – ‚Uh, ich liebe dich!‘ Diese Leute weinen wirklich, wenn sie das singen. R. Kelly bringt Textzeilen wie ‚Ich werde dich ficken heute Nacht‘, und es funktioniert. Einerseits ist das falsch, aber andererseits sage ich mir: ‚Danke, großartig‘. Es ist nämlich der Punkt, an dem wir uns als sexuelle Geschöpfe begreifen und akzeptieren können. Unser ganzes Geschwätz über Befreiung – es gibt Leute, die brauchen nicht darüber zu diskutieren, sie tun es einfach.“ Und deshalb macht es Beck auf seinem aktuellen Album genauso. Die erste Single, „Sexxlaws“, bricht die Geschlechterregeln und bekennt im Refrain: „I’m a full grown man but I’m not afraid to cry“. Ist das jetzt Ironie? „Keineswegs!“, kontert Beck, „hier projiziert nur wieder die weiße Rockwelt ihre falschen Entwürfe in bezug auf schwarze Musik. Wer, zum Teufel, behauptet, ich könne nicht Soul haben und außerdem komplett absurd sein? Das macht mich völlig wahnsinnig!“

Sein nächstes potentielles Steckenpferd hat Beck schon fest im Visier: Techno und Electronica in ihrer reinen Form – so ziemlich das einzige, woran sich der Tausendsassa bislang noch nicht versucht hat. Aber das soll sich ja nun ändern: „Diese Musik steckt noch in den Kinderschuhen. Alle Jubeljahre wird mal ein neuer Sound entwickelt, an dem sich wirklich alle orientieren. Momentan haben wir diese unterschiedlichen Fraktionen – Rave, Dance, progressive Drum’n‘ Bass-Musik. Aber innerhalb dieser Genres klingt irgendwie alles gleich. Außerdem würde ich mir etwas mehr Humor innerhalb der Dance-Szene wünschen. Die Leute wollen einfach nicht verstehen, daß Musik erst dadurch menschlich wird, daß sie ein gewisses Maß an Witz enthält. Dance-Musik impliziert zwar jede Menge Aggression, aber nur wenig Humor.“ Und der gilt bei Beck neben obskuren Samples von noch obskureren Alben, witzigen Spielzeuginstrumenten und spaßigen Live-Shows als Schlüssel zu einem kunterbunten Pop-Universum aus geschicktem Recycling und der nötigen Portion Respektlosigkeit. „Es gibt eine sehr dünne Linie zwischen Parodie und Mitgefühl“, meint Beck und erhebt die Humorlosigkeit zum gesellschaftlichen Problem. „Wenn ich einen Song witzig gestalten will, dann gelingt mir das auch. Ich stelle mich aber nicht hin und sage: ‚Das ist so lächerlich, wie kann man sich das nur anhören‘. Nimm zum Beispiel diese New Age-Bewegung. Natürlich ist das Lächerlich, aber es gibt doch auch einige Ansätze darin, die durchaus ansprechend und clever sind. Von daher kannst du dich darüber amüsieren, wie du willst – ein Teil davon ist okay. Ich finde es schlimm, wenn sich jemand aufbläst und behauptet: ‚Dies oder das ist ein riesiger Witz, und wir sind alle ein Teil davon‘. Das geht mir zu stark in Richtung eines bestimmten Humors. Demzufolge ist die Welt ein Witz, der nur von einigen Auserwählten verstanden wird, weil alle anderen Idioten sind. Dadurch wird Humor zu einer exklusiven Sache. In der Realität aber haben wir alle unsere Schwächen. Und ganz gleich, ob nun in der Musik, in der Malerei oder in der Mode – dieses Streben nach völliger Perfektion erinnert mich verdammt an die 50er Jahre. Es ist so schrecklich konservativ und pedantisch, daß es keinerlei Reiz besitzt.“

Liegt die Ursache für die Becksche Skepsis gewissen Zeiterscheinungen gegenüber vielleicht darin, daß der skurrile Klangkünstler inzwischen selbst zur Pop-Ikone geworden ist? „Ich habe alles vermieden, was für die 90er Jahre typisch war“, widerspricht Beck im New Musical Express, „Snowboardfahren, blondgefärbte Haare, Piercings, nicht mal Girlie-Rucksäcke habe ich getragen.“ Und weil sich der Mensch innerhalb der Gesellschaft nur beschränkt verwirklichen kann, bildet für Beck die Kunst denn auch die einzige ideologische Nische: „Für mich ist Kunst Lebensfreude und Humor. Das ist nun einmal die Natur des Menschen. Nimm nur Boschs ‚Garten der weltlichen Gelüste‘. Das ist ein erschlagendes, furchteinflößendes Gemälde, das alle Seiten des Menschen einfängt. Da gibt es das Böse, das Schöne, das Seltsame. Gleichzeit tauchen darin aber auch Leute mit Hühnerköpfen auf, die Sex mit Erdbeeren haben. Es ist das absurdeste Bild aller Zeiten, das einfach alles in sich vereint. In der Kunst ist immer Raum für das Lächerliche und Chaotische zugleich.“ Und genau diesem Ansatz folgen auch Becks eigene Collagen und Aquarelle, in denen immer wieder Radfahrer und Leistungssportler auftauchen. „Ich werde von Dingen angezogen, die ich abstoßend finde“, meint der Künstler grinsend, „also beschäftige ich mich mit Elementen unserer Kultur, die lächerlich oder sogar grotesk sind und versuche, darin etwas Schönes, wenn nicht sogar Menschliches zu erkennen. Zum Beispiel in dem Bodybuilder, der sich täglich einfettet und alle erdenklichen Hormone schluckt – so lange, bis er zum Monster wird und dabei immer noch denkt, er entspräche dem männlichen Ideal. Und genau darin liegt der Witz. Einerseits verkörpert dieser Typ einen Teil unserer Kultur, den wir sehr ernst nehmen, andererseits steckt in seinem Verhalten viel Tragik. Mein Ziel ist es, die Poesie dieser Geschichte zu finden und hervorzuheben.“ Zu begutachten sind Becks Bildnisse im Rahmen der Wanderausstellung „Playing With Matches“. Nach ersten Stationen in Japan, Kanada und den USA soll sie im Frühjahr 2000 auch zu uns kommen – praktischerweise im Doppelpack mit Beck himself, der just für diese Zeit eine ausgedehnte Europa-Tournee plant. Immerhin ist er diese Konzertreise seinen deutschen Fans schon seit Jahren schuldig. „Ich weiß“, stöhnt der Vielbeschäftigte, „aber ich bin einfach nicht dazu gekommen.“ Ein Blick in das besorgte Jungengesicht spricht Bände: Burschen wie Beck lügen nicht.