Begegnung im Park


Es ist warm, zu warm für einen Frühlingstag und ich ärgere mich, dass ich nichts Leichteres angezogen habe. Ich bin zum erstenmal in meinem Leben in München und die Stadt fasziniert mich. Vier Stunden lang bin ich kreuz und quer gelaufen, habe Schaufenster besichtigt und die Leute beobachtet, die an mir vorübergehen. Die Strassen sind mir fremd, doch schliesslich befinde ich mich in dem Park, in dem ich mich mit Tom verabredet habe. Es ist noch viel zu früh. Tom wird erst in einer Stunde hier sein. Er probt mit seiner Gruppe in der Diskothek, in der er am Abend auftreten wird. Er hat ein duftes Engagement bekommen und wir werden eine Woche in München bleiben. Ich lass mich auf eine Parkbank fallen, die im Schatten steht und ziehe meine Schuhe aus. Ich habe Blasen an den Füssen und geniesse es, nur so dazusitzen und an nichts zu denken. Ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter ist, setzt sich neben mich. Sie hat lange, rote Haare und trägt eine grüne, durchsichtige Bluse mit weiten Ärmeln. Sie sieht sehr angemalt und selbstsicher aus. Sie kommt mir bekannt vor, doch ich weiss nicht sicher, ob ich ihr irgendwann schon einmal begegnet bin. Sie sieht mich von der Seite her an und lacht. „Ist es die Möglichkeit… Du???“ An ihrer Stimme erkenne ich sie. Martina, meine alte Freundin Martina. „Mein Gott, Martina“, ist alles, was ich sagen kann. Wie lange habe ich sie nicht gesehen? Zwei, drei oder sogar vier Jahre nicht? „Wie die Zeit vergeht“, sagt sie „fast hätte ich dich nicht wiedererkannt.“ „Du hast dich aber auch verändert“, entgegne ich und sehe sie an. „Kann‘ ich mir vorstellen!“ Sie wühlt in ihrer Handtasche, wirft sie dann achtlos auf die Bank und sagt: „Habe schon wieder einmal irgendwo meine Zigaretten liegengelassen. Hast du vielleicht eine für mich?“ Ich nicke und gebe ihr meine Schachtel. Ihre Hände zittern ein wenig, als sie sie ansteckt. Im Grunde genommen freue ich mich gar nicht so über dieses Wiedersehen, wie ich vorgebe. Ich habe sie nicht vermisst und in diesen drei Jahren nicht einmal an sie gedacht. Ich habe ihr nicht vergessen, dass sie mir einmal einen Jungen ausgespannt hat, in den ich sehr verliebt gewesen bin. Sie hat mir immer zu verstehen gegeben, dass sie besser aussieht und schlagfertiger ist als ich. „Du bist verheiratet“, sage ich schliesslich, weil mir ihr Schweigen auf die Nerven geht und weil sie einen Ring trägt. „In der Tat!“ Ihre Stimme klingt ironisch und bitter. „Entschuldige“, sie sieht mich bittend an. „Ich hab’s nicht so gemeint. Ich will dir alles erzählen, vielleicht verstehst du dann warum ich so ungern darüber spreche… „Du brauchst mir nichts zu erzählen“, sage ich. „Ich möchte es aber“, ihre Stimme ist leise, „ich brauche jemanden, dem ich alles erzählen kann… Plötzlich tut sie mir leid und ich höre zu.

Martinas Geständnis

Vor etwa zwei Jahren heiratete ich. Er ist Sänger, war damals allerdings nicht sehr bekannt. Plötzlich aber hatte er unheimlichen Erfolg. Eine Tournee folgte der anderen, er musste Konzerte geben, Schallplatten aufnehmen und viel reisen. Du kennst mich und weisst, dass ich nicht allein sein kann. Ich brauche Menschen um mich herum, mit denen ich sprechen kann. Ich war, wie gesagt, sehr viel allein und grübelte nur noch. Eines Tages besuchte mich ein alter Bekannter. Ich fühlte mich ziemlich abgeschlafft und erzählte ihm alles. Er blieb eine Nacht und überredete mich schiiesslich, mit ihm zu gehen. Ich packte noch am nächsten Tag meinen Koffer und ging mit ihm. Er wollte eine Saison lang in Spanien als Nachtclubsänger arbeiten und sagte, dass er bereits den Vertrag in der Tasche hatte …“ Sie unterbricht sich. „Gib‘ mir bitte noch eine Zigarette, du bekommst sie später von mir zurück“. „Das ist nicht nötig“, beruhige ich sie und nehme auch eine. Martina nimmt ein paar schnelle, rasche Züge und fährt fort.

„Ich weiss nicht, ob du mich verstehen kannst, dir fehlte eigentlich immer ein bisschen Fantasie, für dich war immer alles einfach.“ Ich antworte nicht, weil ich sie in ihren Gedanken nicht stören möchte. „Nun, das dicke Ende kam nach drei Monaten. Er konnte keinen Job finden und ich arbeitete ein paar Wochen lang in einer Bar, damit wir wenigstens was zu essen hatten. Ausserdem bekam ich Heimweh und wollte wieder nach Hause. Nach fünf Monaten hatte ich die Schnauze voll und haute ab“. Sie lacht. „Nun, er war nicht mehr da. Ich suchte ihn überall. Schliesslich erfuhr ich, dass es sich in München aufhält. Und jetzt bin ich hier.“ „Willst du ihn suchen?“ frage ich und überlege, wie sie es in einer so grossen Stadt wie München anfangen will. „Nein“, sie lächelt geheimnisvoll. „Ich brauche ihn nicht mehr zu suchen. Ich habe ihn bereits gefunden“. „Du hast ihn gefunden?“ „Allerdings. Ich rief ein paar Hotels an und jetzt weiss ich, wo er wohnt. Ich habe mir im gleichen Hotel ein Zimmer gemietet und will ihn heute abend überraschen“. Plötzlich tippt mir jemand auf die Schulter. Ein Junge hat neben Martina Platz genommen und sieht mich an. Auf seinem Kopf befindet sich ein zerbeulter Strohhut. Er trägt zerrissene Jeans und seine Sandalen sehen aus, als hätte er damit bereits einige tausend Kilometer abgerissen. Er sagt etwas zu mir, aber ich kann ihn nicht verstehen.

„Er fragt, ob er dich zu einer Tasse Kaffee einladen darf“, sagt Martina. Ich schüttle meinen Kopf.

„Nein danke“, sage ich. „Ich bin verabredet“.

Der Junge steht auf, dreht sich noch einmal um und winkt uns zu.

Ich sehe ihm nach, bis er auf dem gewundenen Kiesweg verschwindet.

„Was würdest du an meiner Stelle tun“, sagt sie schliesslich und sieht mich fragend an. „Ich würde versuchen, ihn wiederzubekommen“, meine Stimme klingt überzeugend und ich finde, dass ich ihr einen guten Rat gegeben habe.

„Das werde ich tun“, sagte sie und lacht.

„Und was suchst du eigentlich hier auf dieser Bank? „Ich warte auf meinen Freund“, erkläre ich und merke, dass ich rot werde.

Kein Zufall

Auf deinen Freund? Martina lächelt. „Kenne ich ihn?“ „Ich weiss nicht“, sage ich und nenne ihr seinen Namen. Sie rührt sich nicht und ich glaube, sie hat mich nicht verstanden. Eine Mutter füttert mit ihren Kindern die Enten. Das jüngste Kind läuft zu dicht ans Wasser und die Mutter schimpft. Ein leichter Wind ist aufgekommen und weht mir meine Haare ins Gesicht. Martina streicht sich mit einer müden Handbewegung eine Strähne aus der Stirn und zieht dann eine Sonnenbrille aus der Tache, obwohl unsere Bank im Schatten steht.

„Liebst du ihn“, fragt sie nach einer endlosen Pause und sieht mich dabei an. Ich lache. Ich lache immer wenn ich nervös bin, und jetzt bin ich nervös. „Natürlich liebe ich ihn“. Sage ich dann und ärgere mich über die Abgedroschenheit meiner Antwort. Warum fällt mir nie im richtigen Augenblick der richtige Satz ein, denke ich und bin sauer auf mich selbst. „Wir mögen uns“, versuche ich dann zu erklären. „Und wir akzeptieren uns, so wie wir sind. Wir haben keine Probleme …“ „Das ist schön“, sagt sie und lächelt ihr ironisches Lächeln. „Ich hätte auch viel lieber keine Probleme. Wahrscheinlich bin ich der Typ, der immer Probleme haben wird …“ In der Ferne entdecke ich Toms Gestalt. Er sieht sich suchend um, dann winkt er mir zu. Er trägt alte, verwaschene Jeans und ein Jeanshemd. Seine langen, braunen Locken fallen ihm ins Gesicht und einen kurzen Augenblick bin ich sehr stolz auf ihn. „Du wirst ihn jetzt kennenlernen“, sage ich und weise mit dem Finger auf ihn. Martina antwortet nicht und wartet, bis er vor uns steht. Ich sehe, dass Tom blass wird und sein Lächeln ist nicht mehr ganz echt. Martina nimmt ihre Brille ab. „Mich hast du sicher nicht erwartet“, sagt sie mit einer weichen Stimme. Er antwortet nicht, sondern sieht sie nur stumm an. Ich kann nichts in seinem Gesicht lesen und weiss nicht, was er denkt. Und jetzt erst verstehe ich, Tom ist mit ihr verheiratet. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Ich kann nicht sprechen. Meine Kehle ist zu trocken. „So ein Zufall“, sage ich schliesslich, aber es klingt nicht ganz echt.

Wer gewinnt ?

„Zufall?“ Martina steht jetzt ebenfalls auf und sieht nun mich an. „Ich muss dich enttäuschen, oder bist du wirklich so naiv, hier an einen Zufall zu glauben?“ Ich antworte nicht, weil ich nicht weiss, auf was sie anspielt. „Ich weiss schon seit Wochen, dass du mit ihm befreundet bist“, fährt sie fort. „Und ich bin dir vom Hotel aus gefolgt. Du warst so in deinen Gedanken vertieft, dass du mich nicht bemerkt hast. Tom sieht mich an. Martina bemerkt seinen Blick und sagt zu mir: „Ich werde mich an deinen Rat halten, das kannst du mir glauben. Sie hakt sich bei Tom ein. „Kommt, lasst uns irgendwo etwas trinken“, sagt sie dann. „Vielleicht finden wir dann eine Lösung für unsere Probleme.“ Tom gibt mir seine Hand. Sie fühlt sich kalt und feucht an. Ich weiss, dass ich ihn jetzt nicht im Stich lassen darf. Ich werde ihm helfen, bis er allein entscheiden kann. Ich sehe Martina an und frage mich, wer von uns beiden diesmal gewinnen wird.