Berlin Göppingen Lorelei Dortmund Goldener Sommer für US-Soldaten


Um es kurz zu machen: das Dortmunder Festival begann mit sage und schreibe fünf Stunden Verspätung. Erst gegen Mittag, eine Stunde nach dem offiziellen Beginn der Veranstaltung, waren die ersten Lautsprecherboxen auf eine bis dahin gähnend leere Bühne gewuchtet worden. Für die entnervten Besucher lief bis Punkt 16 Uhr gar nichts. Der Veranstalter hielt es erst bei Programmbeginn für nötig, die Schlamperei mit ein paar Halbwahrheiten zu erläutern: der Loreley-Schlamm der vorigen Nacht sei Schuld gewesen, erklärte man den deutschsprachigen Anwesenden. Den englisch sprechenden Zuhörern wurde natürlich auch noch der Heathrow-Bummelstreik zum Buh-Rufen offeriert. Dabei hatte man sich schlicht das Unding geleistet, in Dortmund nur eine von zwei geplanten Bühnen zu installieren. Die mußte natürlich mit der großen Festival-Anlage bestückt werden. Und exakt diese PA hatte neun Stunden vor dem offiziellen Dortmunder Startschuß noch auf den nächtlichen Rhein hinausgedröhnt – an der Loreley.

Leere in der Westfalenhalle

Daß das schiefgehen mußte, war eigentlich von vornherein klar. Glück im Unglück für’s Festivalmanagement, daß die große Westfalenhalle mit ca. 4.000 (!) Besuchern nur zu etwa einem Viertel gefüllt war. Wie schnell sich der vollbesetzte Rundbau nämlich in einen aggressiven Hexenkessel verwandeln kann, hatte derselbe Veranstalter drei Jahre zuvor erfahren, als Rory Gallagher bei einem ähnlichen Festival zwar auf den Plakaten, aber nicht auf der Bühne gestanden hatte. Damals gab’s eine kräftige Prügelei und viel Bruch.

Bei den Gruppen allerdings tauchten diesmal nicht die geringsten Schwierigkeiten auf. Stanley Clarke (als angekündigter Ersatz für die Gregg Allmann Band ) fiel die undankbare Aufgabe zu, die genervten Fans wieder in Stimmung zu bringen. Für einen Jazz-Bassisten in der Rock-Arena kein leichter Job, den er aber nicht zuletzt mit Hilfe der wuchtigpräzisen Brass-Section bewältigte.

Dann Country Joe McDonald (35), dem ein einziger Woodstock-Auftritt zu lenbenslanger Rock-Rente verholfen hat. Zehn Jahre später pflegt die stets auf Understatement bedachte One-Man-Band Fish-Erinnerungen („Here I Go Again“) und C&W-Standards („Ring Of Fire“). Und natürlich kommt immer noch jener Schlachtruf deramerikanischen Love-and-Peace-Generation, den mittlerweile selbst die Leute in der Mongolei kennen: „Gimme an F…“. Ein tränenfeuchtes Nostalgie-Ritual, zugegeben, aber in keiner Weise peinlich. ,,I Feel Like I’m Fixin To Die“ gilt schließlich auch nach Vietnam — und leider wohl für alle weltpolitische Zukunft.

Uriah Heep hatten erstaunlich viel Kredit beim Publikum – gemessen jedenfalls am akustischen Harakiri, das die Gruppe im Frühjahr 1976 am selben «Ort vollführt hatte. Verglichen mit jenem (noch von David Byron dirigierten) Fabriklärm war das 77er Heavy-Gedonner der zur Jahreswende reformierten Heep ein zarter Schmelz. Ex-Humphrie John Lawton bewies sich einmal mehr als souveräner (wenn auch leicht affektierter) Ersatz für seinen Vocal-Vorgänger, der zuletzt durch nichts denn pure Arroganz geglänzt hatte. Ansonsten: alles wie gehabt, inklusive „Lady In Black“ und „Gypsy“ -Zugabe.

Ted Nougats große Materialschlacht

Alsdann rüsteten die Ted-Nugent-Roadies mit überbordendem Bühnenequipment zur gnadenlosen Materialschlacht. Der Triumph konnte perfekter nicht ausfallen: zurück blieb ein restlos am Boden zerstörtes Publikum. Von der geballten Ladung so geschafft, daß es nicht mehr in der Lage war, sich eine Zugabe zu erklatschen. Die zu selbigem Zwecke bereits installierten Knallkörper verpufften wütend bei eingeschalteter Saalbeleuchtung. Technischer K.O. für den selbsternannten Muhammed Ali des Rock’n‘ Roll. Was blieb, war nichts als das schmerzhafte Flirren der Hochtöner.

Nach solchem Desaster konnten sich die reformierten Small Faces ins gemachte Bett legen. Und nicht nur, weil „Itchycoo Park“ oder „Tin Soldier“ (natürlich) die letzten Begeisterungsreserven mobilisierten. Auch ihr Sound vom Jahrgang ’77 kam ganz passabel herüber. Verträglicher als auf Platte jedenfalls, waren doch die Titel um alles überflüssige Beiwerk abgemagert: keine säuselnden Soul-Arrangements, kein modisches Backgroundgezwitscher. Stattdessen trockener R & B, viel von Steve Marriots ruppiger Bluesröhre, dazu ein unglaublich knalliger Baß von Bandneuling Rick Wills. Marriot wie immer angetrunken, bierspuckend, höhnisch und nach negativen Publikumsreaktionen auf den Singletitel „Lookin For A Love“ so erbost, daß er erst das Mikro umtrat und dann eine so aggressive „Lazy-Sunday“ -Version abriß, daß Ohrenzeugen sich das flaue Original wohl auf Lebzeiten nicht mehr anhören können. Mehr über die Small Faces auf den Seiten 8 und 9 in diesem ME.

Mit den Doobie Brothers zeigte sich die Sommernacht dann von ihrer goldigsten Seite. Zur Geisterstunde harrten zwar nur noch gut tausend Fans aus — was der bärigen Spielfreude der sieben kalifornischen Sunnyboys, die neuerdings mit dem Funk-Jazz liebäugeln, allerdings nicht den geringsten Abbruch tat. Sie brannten ein musikalisches und optisches Brillantfeuerwerk ab, das sich manch uncoolere Gruppe eher für ein vollbesetztes Fußballstadion aufgehobenhätte. In geradezu traumhaft-angetörnter Form: der „Skunk“ Jeff Baxter. Beflügelt von launiger West-Coast-Leichtfüßigkeit traten denn auch die restlichen Besucher den Heimweg an. Der wacker ausharrenden Caravan blieb nicht mal mehr die Untermalung zum allgemeinen Kehraus. Tags zuvor waren noch die schier verheerenden Aerosmith an Caravans Stelle zum letzten Gefecht angetreten.

Noch ein Nachtrag zu den Zuschauerzahlen der Golden-Summernight-Tournee: Die viertausend in Dortmund kann man wohl als Pleite bezeichnen, die achttausend in Berlin als mittelmäßige Besucherzahl. Gut gelaufen ist die Sache nur im Dunstkreis der amerikanischen Garnisonen: die Masse der je etwa 20.000 Besucher in Göppingen und auf der Loreley rekrutierte sich aus GIs. Das Programm war für deutsche Verhältnisse wohl schlicht zu amerikanisch.