Bill Laswell: Vielzweck Waffe


Er pendelt zwischen Free Jazz und Metal, zwischen Rap und Folklore. Er produziert alles von Motörhead zu Mick Jagger und leistet sich nebenbei den Luxus einer eigenen Band namens Material. ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake heftete sich an Laswells verwirrende Fährte

Die Leute zählen mir ständig auf, was ich schon alles gemacht habe“, warnt Laswell, 34, „aber du mußt die Suche als Ganzes betrachten, bevor du über Einzelheiten sprechen kannst. Und während du über eine Sache schreibst, bin ich schon bei der nächsten. Über meine Musik zu schreiben ist unmöglich.“

Den neuesten Zahlen zufolge hat Laswell auf ungefähr hundert Platten gespielt und/oder sie produziert. Und das in nur zehn Jahren. Der Stilkatalog umfaßt bisher Funk, Reggae, Rap, Blues, Rock, Country-Rock, Punk, Metal, Free Jazz, Jazz-Rock und ein Regenbogen-Spektrum ethnischer Spielarten, darunter japanische, indische, pakistanische, koreanische und afrikanische Musik.

Als ich ihn vor ein paar Monaten in einer New Yorker Bar traf, schwärmten er und Material-Gitarrist Nicky Skopelitis gerade von mongolischer Musik. „Das Zeug ist einfach Wahnsinn, Mann“, sagten sie ehrfürchtig. Sie rümpften die Nase ob meiner Unkenntnis und sangen mir dann heiser-grummelnd ein paar mongolische Folk-Songs vor. Die Kellnerin sah gequält drein (Himmel, warum krieg immer ich die Verrückten?), ahnungslos, daß sie sich in der Gegenwart eines höchst erfolgreichen Produzenten befand, zu dessen dankbaren Kunden u.a. Mick Jagger, Herbie Hancock, Afrika Bambaata, PIL, Sly & Robbie, Motörhead, die Ramones und Iggy Pop gehören…, obwohl Laswell selbst sich selten mit den Projekten zu identifizieren scheint, mit denen er sein Brötchen verdient. „Platten sind eine Sache“, sagt er, „Musik eine andere. Ich bin interessiert an Musik, aber es ist heutzutage nicht so einfach, Musik auf eine Platte zu kriegen. Die Industrie würde Musik am liebsten ganz rauslassen. „

Das Besondere an Laswell ist die Tatsache, daß er trotz seiner Producer-Tätigkeit ein ungeheuer kreativer Musiker geblieben ist, ein Innovator seines Instruments. Zusammen mit Jonas Hellborg hat er der Baßgitarre neue Möglichkeiten eröffnet. Bei Material oder Last Exit, seinem unbarmherzig offensiven Projekt, oder dem Blues-orientierten Trio von James Blood Ulmer hat er neue Arten der Kommunikation zwischen Baß und Schlagzeug geschaffen, spielt keine Riffs im üblichen Sinne, sondern sorgt für einen unorthodoxen Ideenaustausch, der die Musik vorwärtstreibt.

Dennoch kann man ihn nicht als „Nur“-Bassisten bezeichnen. Viele der von ihm produzierten Platten stammen bis ins Detail von ihm. Beispiel Herbie Hancock: Der Keyboarder spielte zum Abschluß der Aufnahmen für „seine“ Platte lediglich die Soli ein.

Seine kommerziellen Erfolge hat er immer dafür eingesetzt, neue, noch ungewöhnlichere Projekte zu finanzieren. Einmal erzählte er mir von dem Plan einer Tournee durch die Gebirgsdörfer Koreas, zusammen mit dem bekanntesten koreanischen Perkussions-Ensemble, den Samulnori. Die Tour sollte bis in die entlegensten Gegenden führen, wo Geld noch ungebräuchlich und Technik ein Fremdwort ist.

Laswell ist kein Technologie-Feind, ist aber auch nicht abhängig von ihr. Er verwendet Drumcomputer, wenn’s schnell gehen soll, und der Fairlight spielt auf Seven Souls eine Rolle, dem neuesten Album von Laswells Gruppe Material. Man sollte es jedoch vermeiden, Material als Band zu bezeichnen. Laswell hat etwas gegen Bands.

„Für mich ist eine Band ein Symbol der Schwäche. Normalerweise bleiben Bands zusammen, weil sie wichtiger Bestandteil einer Firma geworden sind, und es aus finanziellen Gründen unmöglich ist, sie aufzulösen.“

Last Exit, Laswells zweites ständiges Projekt, in dem ausschließlich frei improvisiert wird, sieht er ebenfalls nicht als Band. „Wir proben nicht, wir machen keine Promotion oder ähnlichen Schwachsinn. Wenn man uns ein Konzert anbietet und die Konditionen stimmen, kommen wir zusammen und spielen.“

Bill steht dem. was dieser Tage als „Avantgarde“ angepriesen wird, größtenteils recht skeptisch gegenüber, insbesondere den New Yorker „Konzeptualisten“ vom Schlage eines Kip Hanrahan oder John Zorn. „Ich bin immer mehr der Meinung, daß diese Art von Musik unbefriedigend ist. Ich verlasse mich auf meinen Instinkt. Man spielt mit Leuten zusammen, die man respektiert, und entdeckt dann, in welche Richtung die Musik geht.“

Eine Philosophie, die auch ihre Kehrseiten hat. Laswell akzeptierte Anfang dieses Jahres das Angebot einer Japan-Tour mit einer spontan zusammengestellten Konstellation aus japanischen und russischen Experimentalmusikern. Ich traf ihn an dem Tag, an dem er zurückkehrte, völlig erschöpft von dem Anspruch seiner Partner auf „Neuheit“ um jeden Preis. „Weißt du, was ich morgen mache“, war seine (rhetorische) Frage. „Ich werde ein Flugzeug nach New Orleans nehmen, mich in eine Bar setzen und entspannt zuhören, wie sie etwas ganz Einfaches spielen, etwas, das ein bißchen Sinn macht.“