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„Bin ich Sonny oder Cher?“ – Karaoke mit Metronomy


Party hard: Die neue Platte von Metronomy, SUMMER 08, ist der Nachfolger des Hedonismus-Disco-Pop-Erfolgs NIGHTS OUT von 2008. Dazwischen liegen allerdings acht Jahre. Und zwei andere Alben, die damit nur wenig zu tun haben. Hat Metronomy-Mastermind Joe Mount plötzlich wieder Bock zu feiern? Und wenn ja: warum?

Wir quetschen uns in eine kleine Karaoke-Kabine und bestellen noch mehr Schnaps. Diesmal: Wodka. Die Hände treffen sich, ­greifen klebrige Pinnchen vom Tablett, manövrieren sie zu den Mündern. Runter damit, auf ex. Wir blicken uns mit verzerrten Gesichtern an und müssen kichern. Es gibt wohl kaum ­einen besseren Moment für ein Duett. Wir ­starten mit „I Got You Babe“. Joe greift zum ­Mikrofon: „Bin ich Sonny oder Cher? Und kann ich noch ein Bier bekommen?“

SUMMER 08 als Sequel von NIGHTS OUT ­verkaufen zu wollen, birgt Risiken. Die wohl größte Schwierigkeit: Es könnte nicht authentisch, sondern sogar ziemlich peinlich aussehen, einen Musiker, der mittlerweile ganz ­erwachsen und gesettelt mit Frau und Kindern in ­einem schönen Haus in Frankreich lebt, ­sentimental auf ein acht Jahre altes Album ­zurückblicken zu lassen. Zumal Joe sein ­damaliges Ich mittlerweile selbst nicht mehr ­besonders cool findet. Und äußerst geschäftstüchtig ist die Idee auch nicht, waren die letzten beiden Alben, THE ENGLISH RIVIERA und LOVE LETTERS, doch kommerziell weitaus erfolg­reicher als ihr Vorgänger NIGHTS OUT.
Joe meint SUMMER 08 aber wirklich ehrlich, er liebt seine neue Platte, hat die Gefühle, die ihn damals beherrschten, konserviert und ­wieder in sein Bewusstsein gespült. Geändert hat sich im Grunde nicht viel, außer dass er ­gelassener und erfahrener geworden ist. Er trägt sein neues Selbstbewusstsein offensiv zur Schau und findet das mehr als okay. Und das ist es auch. Es steht ihm.

Die Karaokemaschine spielt "I Got You" von Sonny & Cher.
Die Karaokemaschine spielt „I Got You“ von Sonny & Cher.

Du wirkst richtig ausgeglichen, als könnte dich nichts mehr aus der Ruhe bringen.
Weil ich nie erwartet habe, dass die Musik von Metronomy für irgendwen von Bedeutung ist. Deshalb sind wir damals auch nicht komplett durchgedreht. Wir wollten nicht, dass man uns liebt, obwohl wir natürlich Bands getroffen ­haben, die man für die nächsten Superstars hielt. Wir hatten lieber Spaß und haben uns ­zurückgelehnt, wir waren ja nicht New Young Pony Club oder die Klaxons.
Aber was machen die Klaxons gerade? Nichts.
Nichts! Ja, es ist traurig, wie die Musikindustrie funktioniert. Vielleicht lastete großer Druck auf ihnen. Oder sie hatten zu viel Spaß und ­haben dabei vergessen, gute Musik zu machen. Ich glaube, so war das. Ergibt das überhaupt Sinn, was ich da gerade sage?
Ich verstehe dich schon. War das Ende der Klaxons also vielleicht sogar absehbar?
Ich weiß nicht. Die Karriere-Bands, denen man es 2008 zugetraut hätte, sind alle weg. Und die, die keiner auf dem Schirm hatte – wir, die Foals, die Horrors – sind immer noch da.
Man war sich so sicher, dass die Klaxons und MGMT richtig groß werden. Und bleiben.
Absolut. Ich erinnere mich noch an unseren Auftritt beim Dockland in Hamburg. 2009 war das. Hieß das überhaupt so?
Du meinst sicher das Dockville.
Genau. Da habe ich mir MGMT angesehen. Sie waren Headliner, hatten sogar einen Kinderchor dabei, der „Kids“ gesungen hat. Die haben richtig groß was aufgefahren! Unser Slot war weniger aufregend. Und ein paar Jahre ­später, beim Montreux Jazz Festival in der Schweiz, war es ­genau andersrum. Wir waren Headliner und MGMT standen im Line-up hinter uns. Das war irre. Wie unangenehm das doch für alle Beteiligten sein musste! Mir war klar, dass MGMT wussten, dass wir schon mal zusammen gespielt haben. Und sie immer größer als wir waren. Und plötzlich hat sich der Wind ­gedreht.
Aber du weißt hoffentlich, warum.
Weil sie ein Scheiß-Album gemacht haben!
Und weil du einen guten Job gemacht hast.
Ja, wahrscheinlich. Ich finde sie ­super, aber sie haben die Welt missverstanden, in der sie ­stattfanden. Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: Zum ersten Mal in meiner Karriere habe ich bei diesem Festival gemerkt, dass ganz schön viel Zeit vergangen ist und wir uns in ­einer wunderbaren Situation befinden. So läuft das. Es ist merkwürdig, oder?
Habt ihr mit denen 2008 auch beim ­Glastonbury gespielt?
Das weiß ich gar nicht mehr. Waren wir ­überhaupt da? Warst du da? Wahrscheinlich haben wir auf der Dance-Stage ­gespielt, oder? Das Glastonbury ist ein fürchterliches Festival.
Weil da alle Freunde von Calvin Harris spielen? Mal ganz nebenbei: Was ist eigentlich mit Calvin Harris passiert?
Ja! Was ist mit ihm? Ich hab’ keine Ahnung.
Er war mal ein Guter.
Finde ich auch. Als „Old Skool“, die erste Single von SUMMER 08, veröffentlicht wurde, meinte jemand zu mir, dass ihn das an frühe Calvin-Harris-Songs erinnert.
Das ist ein Kompliment.
Total, ich habe ein paar DJ-Sets gemacht und darüber nachgedacht „Acceptable In The 80s“ zu spielen.
Voll okay! Hast du es durchgezogen?
Nein, ich hab’ mich nicht getraut. Aber er ist auch so ein Typ, bei dem man damals nicht ­gedacht hätte, dass er mal so ein großer Superstar-DJ wird.
Zumindest nicht mit so einem Sound. Ich dachte immer, wenn er es schafft, wird er der nächste Erol Alkan.
Und jetzt ist er der nächste Tiësto.

... und die Backstreet Boys dürfen auch mitmachen.
Die Backstreet Boys sind auch dabei.

Joe schlägt sich betrunken ganz ausgezeichnet. Er schmettert mit unserem Fotografen Peter Kaaden „Dilemma“ von Kelly Rowland und Nelly, bestellt die nächsten Biere und lässt ­sogar dem französischen Label-Kollegen – ein niedlicher Zeitgenosse, schon etwas älter, schnell zufriedenzustellen, sobald es guten Weißwein gibt – den Vortritt, als dem plötzlich einfällt, wie herrlich es wäre, würde er nun ­einen Song von Brigitte Bardot trällern.
Die Nacht könnte richtig gut werden: Joe möchte clubben gehen, erkundigt sich, wie das denn so ist in Berlin, mit Drogen und so. Wollen wir vielleicht ins Berghain? Die Idee gefällt ihm. Wir trinken aus und ziehen los.
Die Nacht könnte richtig gut werden, stünde für den nächsten Tag kein Promo-Marathon an. Den haben wir alle erfolgreich verdrängt. Außer der professionelle Music Manager vom deutschen Vertrieb – ein Major Label – , der auf Joe aufpassen soll. Er trägt eine Lederjacke im Used-Look, die so aussieht, als hätte sie eine Berliner Monatsmiete gekostet, und kümmert sich sonst um den niederländischen Trance-DJ Armin van Buuren. Ob der auch immer so früh ins Bett muss?


Dieser Artikel ist am 14. Juli in der August-Ausgabe des Musikexpress erschienen.

Foto: Peter Kaaden / Musikexpress
Foto: Peter Kaaden / Musikexpress