Björk


Das Wunderkind ist, so scheint’s, erwachsen geworden. Doch die Optik mag täuschen. Da lugt schließlich immer noch ein Tattoo unterm Ärmel hervor, die HipHopper, Techno-Kids und Punks im Publikum dürfen hoffen. Gleich beim ersten Stück aus dem aktuellen Album ‚Post‘ geht denn auch die Post ab: ‚Army Of Me‘ donnert mit grummelndem Rhythmus los, Leila Arab an der Sample-Konsole, Keyboarder Guy Sigsworth und Drummer Trevor Morais geben volle Kanne, der Saal mutiert unter zuckendem Stroboskop-Gewitter zum ‚Post‘-modernen Hexenkessel.

Die Meisterin dieses audiovisuellen Infernos stapft indes in bester Tank-Girl-Manier so vierschrötig wie es dem zierlichen Persönchen eben möglich ist – im Takt des Industrial-tauglichen Klangteppichs über die Bühne. Die Halle kocht! Doch Björk setzt auf Abwechslung und tritt auf die Bremse: Mit ‚Venus As A Boy‘ folgt ein verhaltener Track aus dem Album ‚Debut‘. Gleich darauf gibt Björk wieder Gas: ‚Big Time Sensuality‘ steigert die Stimmung bis zum Siedepunkt. Jetzt kommt das Rumpelstilzchen in Björk zum Ausbruch, mit blitzenden Augen hopst sie – rechter Fuß, rechter Fuß, linker Fuß linker Fuß – quer über die Bühne. Bei ‚Violently Happy‘ kehrt sie aus den Kinderträumen zurück zur Erde, stampft barfuß den Rhythmus eines irren Stammesrituals, wiegt den Oberkörper im Takt, die Fäuste geballt – und bleibt dabei trotzdem erstaunlich kontrolliert und gelassen. Gezähmte Energie, ein schlummernder Vulkan. Sie ist das Prisma ihres eigenen Sounds, hier bündeln sich die verschiedenen Einflüsse aus Pop, Dancefloor und gesampleten Alltagsgeräuschen mit dieser göttlichen Stimme, um dann in konzentrierter Form aufs Publikum abzustrahlen.

Den Applaus, die Pfiffe und Schreie der Fans quittiert die Zeremonienmeisterin des Spektakels mit Kopfnicken und einem kleinen Lächeln – unnahbar wie eine Jazz-Diva. Björks Liebe zu jazzigen Kängen wird bei der Zugabe offenbar, dem emotionalen Höhepunkt des Gigs. Beim Song ‚Oh It’s So Quiet‘, einer Coverversion des Swing-Titels ‚Blow A Fuse‘, reicht der Spannungsbogen vom sanften Schlummerlied bis hin zur leidenschaftlichen Eruption. Björks Stimme kann da locker mithalten: Ihr Gesang kommt tief aus dem Bauch, sie flüstert und wispert im einen Moment, im nächsten schreit und juchzt sie bis zum Stimmband-Anschlag. So setzt sie den Schlußpunkt mit Nachdruck: Beim einzigen Song, den sie nicht selbst geschrieben hat, bringt Björk ihr Vulkan-Organ endlich vollends zum Ausbruch – um gleich darauf von der Bühne zu huschen und nichts als Stille zu hinterlassen.