Björk über Musik und Kunst


Sie ist eine der wenigen Popkünstlerinnen der Gegenwart, die diese Bezeichnung auch verdienen - weil bei ihrem Namen jeder sofort an die Verbindung kunstvoller Musik mit Kunst- voller Visualisierung denkt. Für Björk selbst ist das alles andere als selbstverständlich.

Seit fünf Jahren sind Björk Gudmundsdottir (39) und der amerikanische Künstler Matthew Barney (38) ein Paar. Vielen Kritikern gilt der Schöpfer des exzentrischen „Cremaster“-Filmzyklus als einer der wichtigsten bildenden Künstler der Gegenwart. Jetzt hat „the world’s coolest artistic couple“ sein erstes gemeinsames Werk fertiggestellt: „Drawing Restraint 9“, entstanden im Auftrag eines japanischen Museums, ist ein abendfüllender Film, in dem es um fossile Brennstoffe, Teezeremonien, Energiekreisläufe und Meeressäuger geht. Das bildgewaltige Opus spielt an Bord eines Walfängers und kommt ganz ohne Dialoge aus. Björks stark japanisch gefärbte Filmmusik erscheint Ende Juli auf CD. Über ihr Verhältnis zu Kunst und Musik sprachen wir an einem schwülen Samstag in einem Pariser Nobelhotel. Björk, barfuß, trug beim Interview ein goldenes Samtkleid mit Spitzenbesatz.

Was magst du an Matthew Barneys Kunst?

Was mich zuerst an seiner Kunst faszinierte, war, daß er sein eigenes virtuelles Universum kreiert. Auch heute noch finde ich, daß seine Sachen anders sind als alles, was ich sonst gesehen habe, und trotzdem kommen sie mir seltsam bekannt vor. Das ist offensichtlich ein Widerspruch.

Eine Parallele zu deiner Arbeit, den Björk-Kosmen?

Musikmachen ist ja abstrakter als visuelle Kunst, du kannst diese Welten nicht betasten und sehen. Deshalb fällt es mir schwer, das zu beantworten.

Aber deine Musik war ja auch immer von visuellen Welten umgeben. Von Kunst, Photographie, Mode, Film.

Ja, aber das war eine langsame Entwicklung. Am Anfang zog ich das Ohr dem Auge vor. Und heute noch gefallen mir in den Museen oft die Werke am besten, bei denen es einen Lautsprecher gibt. Daran merke ich jedes Mal, wie sehr ich auf Akustisches fixiert bin. Aber die meisten Menschen funktionieren eben eher visuell. Es hat lange gedauert, bis ich akzeptieren konn te, daß die Menschen mein Aussehen und Auftreten mit meiner Musik in Beziehung bringen.

Das betrifft naturlich auch sehr stark deine Videos.

Ja, bei den Sugarcubes legten wir keinen großen Wert auf Videos, und manchmal haben die Leute deshalb die Musik falsch verstanden. Bei debut achtete ich deshalb genau darauf, daß Musik und Video einander entsprechen. So ähnlich ist es mir auch mit den Texten gegangen. Ich sang ja erstmal zehn Jahre lang praktisch ohne Worte und dachte damals, daß sie der Feind der Musik seien. Heute ist meine Musik von visueller Kunst und einem Haufen Worten umgeben. Ich habe mich komplett um die eigene Achse gedreht.

Wie ist eigentlich die Zusammenarbeit mit Matthew Barney vonstatten gegangen?

Als wir uns kennenlernten, beschlossen wir: „Laß uns bloß nicht zusammenarbeiten!“ Zumindest jetzt nicht. Aber nach ein paar Jahren, als unsere Beziehung gefestigt war, wurde es plötzlich schwerer, nicht zusammenzuarbeiten, als unseren Prinzipien treu zu bleiben. Wenn du mit jemand fünf Jahre zusammenbist, hast du so viele Erlebnisse geteilt, hast die gleichen Filme gesehen, dasselbe Essen gegessen, dieselben Freunde, und wir haben sogar die Sätze des anderen zu Ende gesprochen. Unsere Zusammenarbeit entstand also ganz natürlich. Entschuldigeden romantischen Vergleich, aber wir hatten eben genug Samen gepflanzt, um die Ernte einzufahren.

Es gab also keinen Druck?

Doch, und zwar in Form von Zeitmangel. Aber dieser Druck kam von außen. Weil Matthews Arbeit im Auftrag eines japanischen Museums erfolgte. Erst haben wir nicht das richtige Schiff gefunden, dann kam mein letztes Album Medùlla dazwischen. Ich hab erst im Dezember richtig mit der Arbeit begonnen. Und das Projekt wuchs und wuchs. Ursprünglich hatte ich ein Jahr für eine Stunde Musik eingeplant, im Endeffekt waren es sechs Monate für zweieinhalb Stunden. Im Januar dämmerte mir, daß ich bis zum Juli keine Wochenenden mehr haben würde.

Das Projekt hat sicher eine Riesenlogistik erfordert.

Für Matthew schon. Ich habe zu Hause gearbeitet, meistens nur mit einem Toningenieur.

Habt ihr parallel gearbeitet, oder hattest du den Film als Arbeitsbasis?

Es gab verschiedene Schritte. Erst habe ich das Skript gelesen. Spielt auf dem Meer, aha. ozeanische Musik, das bedeutet also weiblich. Oh.daswarjetztwohlein sexistisches Statement!? Dann hat mir Matthew Szenen beschrieben, Fotos und ungeschnittenes Filmmaterial gezeigt. So wußte ich: Wir brauchen etwas Nächtliches, Magisches, Unschuldiges. Etwas Kindliches. Und es gibt im Film diese kleinen Krebse, die auf Muscheln sitzen. Also schrieb ich einen Marsch für sie, einen Marsch für Glockenspiel. Ich habe Matthew das fertige Stück gegeben, und er hat den Film passend zur Musik geschnitten. Andererseits gab es auch fertig montierte Filmpassagen, zu denen ich die Musikgemachthabe.

Man hört der Musik die Eile nicht an. Es sind ja viele meditative Stücke dabei…

Der japanische Einfluß führte dazu, daß alles sehr karg und minimalistisch wurde.

Ein Zen-artiges Album, das unter Hochdruck entstand.

Glaub mir, diese Platte ist nicht unter Zen-buddhistischen Umständen gemacht worden, eher in Panik und mit Schlafmangel. Und jetzt ist der Druck endlich weg. Ich kann wieder in Ruhe Eis essen.

Hast du viel japanische Musik zur Vorbereitung gehört?

Nein, ich hatte Angst davor, etwas zu imitieren. Aber als Teenager hatte ich mal eine intensive japanische Phase. Damals habe ich Zen-Bücherund Yukio Mishima gelesen, Flötenmusik gehört, Kimonos getragen, Sushi gegessen und wollte unbedingt in Japan Zeichentrickfilm studieren. Und auf diese Sachen konnte ich zurückgreifen. Das Japanische hat sozusagen 20 Jahre in mir gegärt.

Womit ich mich in den letzten Monaten sehr beschäftigt habe, ist der Shintoismus: Ich habe eine sehr interessante Parallele zu unserer isländischen Geschichte gefunden. Im 9. und 10. Jahrhundert waren große Teile der Welt zu den großen Weltreligionen übergegangen, und die heidnischen Bräuche waren ausgerottet worden. Nicht so in Japan und Island. Der Buddhismus ist mit dem Shinto verschmolzen. Die Natur wird in Japan nach wie vor verehrt, und bis heute existieren Technologie und Natur- und Ahnen-Verehrung nebeneinander.

Im Jahr 1000 drangen Gerüchte zu den isländischen Wikingern durch, daß Missionare unterwegs waren, die uns umbringen würden, wenn wir nicht zum Christentum übertreten. Als sie dann auftauchten, hatten sich die Wikinger einen Trick ausgedacht und sagten: „Hey, Überraschung, wir sind schon Christen!“ Zu Hause hat man einfach weiterhin die alte Religion ausgeübt. Deshalb gibt es bei uns bis heute ein besonders intensives Verhältnis zur Natur. Und das hat wohl auch eine Rolle gespielt, als ich die Musik aufgenommen habe.

Glaubst du eigentlich, daß du mit diesem Album noch in ein Pop-Magazin gehörst?

Ich weiß nicht. Ich habe mich doch gar nicht so sehr verändert. Ich bin ja schon als Teenager in Kunstgalerien aufgetreten. Die Leute, mit denen ich später die Sugarcubes gegründet habe, machten surrealistische Kunst und organisierten Gemäldeausstellungen. Es war ja auch schon immer so, daß die Platten firma jedes Mal meinte: „Das ist aber ein exzentrisches Album geworden!“ Und trotzdem sind sie im Endeffekt alle ungefähr gleich gut gelaufen.

Noch eine Frage zu deinem Kleid? Wo hast du es gefunden?

Letztes Wochenende bin ich in Venedig spazierengegangen und hab mich verlaufen. Mir war so träumerisch zumute, und da hing dieses Kleid draußen vor einem Antiquitätenladen. Es ist von 1800 oder so. Also hab ich es angezogen, und ich kam wie vor, als wäre mein Name Camelotta. Wie aus einem anderen Jahrhundert. Es ist mein eskapistisches Kleid.

Siehst du, wie wichtig das Visuelle für dich ist!

Ja, und wahrscheinlich werde ich eines Tages als Malerin enden. Wie meine Großmutter. Sie war eine abstrakte Malerin. >>>www.bjork.com