Blind Date


Popmusik, eine Gratwanderung: Das ME-Liederraten mit Virgina Jetzt! streift kitzlige Themen wie die Münchener Freiheit und den Mut zum Kitsch, den die Berliner auf ihrer neuen Platte BLÜHENDE LANDSCHAFTEN ausspielen. Denn: "Es werden viel zu viele mutlose Platten gemacht!"

Blumfeld „So lebe ich“

Alle: (sofort) Blumfeld! Mathias Hielscher: „So lebe ich.“ 0L1) NOISODY war ein wegweisendes Album für uns. Auf unseren letzten drei Platten war immer ein Blumfeld-Moment drauf. Wie klingt der? Thomas Dörschel: Eine bestimmte Textzeile, eine Akustikgitarre, Schlagzeug, weicher Gesang. Wenn auf der neuen Platte ein Blumfeld-Moment drauf ist, dann beim ersten Lied, „So schlägt mein Herz“. Nino Skrotzki: Bei der Platte mussten sich Blumfeld ja auch viel Kritik anhören wegen des weichen Sounds. Blumfeld haben damals ja ziemlich gewettert gegen Deutschpopbands wie euch, bei dieser „Heimat-Debatte“. Mathias: Da ging’s eher gegen eine allgemeine Deutschtümelei. Das bezog sich im Nachhinein gar nicht auf uns direkt. Ein Bekannter, der mit Distelmeyer aufgenommen hat, sagte neulich zu mir: „Hey, der mag euch ja richtig!“

Herbert Grönemeyer „Halt mich“

thias: Elton John?

U Herbert! Hast du das ausgesucht wegen „Halt dich an mich“ auf unserer neuen Platte? Und weil dieser Song für mich ein Beispiel für die Kunst des unpeinlichen Liebeslieds ist. Mathias: Gänsehaut. Unfassbar echt. Der sitzt nicht auf einem Turm, sondern macht Fehler wie wir alle. Thomas: Grönemeyers Saxophonist Frank Kirchner hat übrigens auf unserer Platte gespielt.

Element of Crime „Death Kills“

Matthias: Element of Crime? Von der neuen Platte? Nein? Thomas: Ist das von einer der beiden englischen Platten von früher. Auch nicht? B-Seite? Es ist vom Soundtrack „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“, Sven Regeners erste englische Songs seit rund 20 Jahren.

Thomas: Was deutschsprachige Texte angeht, sind Element of Crime das Maß aller Dinge.

Waren englische Texte für euch jemals eine Option?

Mathias: Wir haben englisch angefangen. Oder eher mit dem, was im Osten als englisch durchgewunken wurde. Nino: In Poptexten ging es hauptsächlich um Phonetik, kaum um Inhalte. Es ging um Popmusik und Wohlklang. Wir sind auch mit der Hamburger Schule aufgewachsen, wo einiges sehr kryptisch und sperrig war. Vieles ist in die Alltagssprache übergangen. Wegen Tocotronic. Empfindungssachen wurden rausgerufen. Dann kam HipHop. Wenn du heute eine Band gründest, ist es nicht mehr sehr einzigartig, deutsche Texte zu machen.

The Killers „I Can’t Stay“

Alle: Killers. Mathias: Deren Mut auf ihrer neuen Platte war für uns ein Ansporn. Ein Ansporn zu Saxophonsoli, zu Mike-Oldfield-Glocken. Was die sich trauen! Nino: Die wollten auf ihrer zweiten Platte viel zu viel. Mathias (lacht): Wir wollten aber auch viel zu viel! Nino: Das klang wie Wolle Petry, nur besser produziert. Aber dann den Mut zu haben, sich dem zu stellen … Mathias: Es werden viel zu viele mutlose Platten gemacht. Thomas: Den Mut, kitschige Sachen zu machen, die erst einmal über die Grenzen des guten Geschmacks hinausschießen, finde ich stark. Ist BLÜHENDE LANDSCHAFTEN eine mutige Platte? Nino: Auf jeden Fall für uns. Es gab Stellen, an denen wir uns fragten, ob man das bringen kann. Vor zwei Jahren hätten wir noch gesagt: nein. Mathias: Wir haben uns lange gegen den Begriff „Indieschlager“ gewehrt. Bis dann andere Bands meinten, wie cool das sei, einen eigenen Begriff zu etablieren. Seitdem versuchen wir nicht mehr, jemand anderes zu sein. Nino: Pop ist unsere Stärke. Nicht Rock. Am Anfang waren wir Everybody’s Darling in Indieland. Mit „Ein ganzer Sommer“ (erste Single vom 2004er-Albnm ANFÄNGER, Anm.) kam dann der Hass. Im Endeffekt haben wir aber alles richtig gemacht.

Münchener Freiheit „Ohne dich“

Thomas: Logisch! Mathias: Unsere Lieblingsband. Schon als Kind war ich Fan. 20 Jahre später spielt Stefan Zauner auf unserer Platte mit. Ich sag nur: „So lang‘ man Träume noch leben kann“! Thomas: Was sie von anderen Schlagerpopbands der 80er unterscheidet: Sie haben sich nicht an mittelmäßigen Bands orientiert, sondern an den Beatles, Bee Gees, Beach Boys. Harmonisch eine Offenbarung.

Nino: Mit 20 hätten wir auch nicht gesagt, dass die Münchener Freiheit das Maß aller Dinge sind. Das kommt erst aus einem gewissen Selbstbewusstsein heraus. Wenn du so was sagst, sagst du ja vermeintlich was über dich aus. Dass du auch Heinz-Rudolf Kunze magst oder so. Mathias: Wann kommt denn was von den Beatles?

Rio Reiser .Junimond“

Mathias: Wieder Gänsehaut. Nino: Viele finden den Song ja so verheizt. Aber der ist unkaputtbar. Ich fand auch die Version von Echt super. Thomas: Auch Reiser hat die Steinwerfersongs irgendwann gegen Liebeslieder getauscht.

Ist er der beste Songschreiber Deutschlands?

Nino: Einer von denen. Aber dazu gehört auch Stefan Zauner. Thomas: Grönemeyer. Regener. Holofernes. Udo Jürgens. Stephan Sulke.

Virginia Jetzt! „Das Beste für alle“

Mathias: Endlich! Die Beatles des Ostens! Lange nicht mehr gehört. Könnt Ihr euch gut eure alten Songs anhören? Thomas: Den nicht. Das ist kein Lied mit großem Haltbarkeitswert. Dafür mit vielen Fehlern. Nino: Ich war beeindruckt, wie anders Mieze das damals eingesungen hat. Bei uns herrschte Aufbruchstimmung. Ihr singt: „In jedem Falle wär’s das Beste für alle, wenn endlich was geschieht auf dem Gebiet der Rockmusik.“ Was ist seitdem passiert? Mathias: Es sind verdammt gute Platten rausgekommen: Torates HINTER ALL DIESEN FENS-TERN, Wir sind Helden, zum Beispiel. Auch bei uns ist was passiert. Nino: Natürlich war das damals augenzwinkernd. Wir waren keine harte Rockband, wir kamen aus bürgerlichen Verhältnissen. Es ging um ein anderes Selbstverständnis. Wir nahmen unsere Musik ernst, aber nicht uns. Thomas: Schluss mit diesen Eitelkeiten, diesen Ellbogen, diesem Szenedenken. Mathias : Was haben Tocotronic im Osten nur angerichtet?!