Boom Town Rats – Die irische Herausforderung


Bereits mit ihrer ersten LP zeigten die Boomtown Rats aus Dublin, daß sie fast alle britischen Punk- und New Wave-Bands mit ihrer musikalischen Potenz ausstechen können nen. Die vielen hervorragenden, vom Rhythm & Blues und vom Reggae gespeisten Songs dieses Albums fügen sich zu einer Sprengladung zusammen, die bei etlichen Kritikern Erinnerungen wachruft an die Durchschlagskraft der ersten Stones-LP. Und ausgerechnet im deutschen „Playboy“ wurde soeben die Boomtown Rats-Nummer „Lookin‘ After Number One“ zur Single des Jahres gekürt. Den selbstbewußten Rats-Sänger Bob Geldorf wundert all das nicht: „Die New Wave-Gruppen“, so sagt er, „werden in der Rockmusik in den nächsten Jahren den Ton angeben. Und unter all den britischen Bands entdecke ich momentan nur drei, die den größten Sprung, den Durchbruch in den USA schaffen werden: die Stranglers, die Sex Pistols und die Boomtown Rats!“

Bob Geldorf war mal Journalist, und das mag erklären, warum er jede Menge starker, druckreifer Sprüche parat hat. Gleichwohl ist er kein Angeber, sondern nur von der Qualität der Musik seiner Band felsenfest überzeugt. Und er weiß, daß er sich gut verkaufen muß, um Geld verdienen zu können. Genau das aber will er: „Ich will rasch Millionär werden“, sagt er und meint, dieser Wunsch habe mit der Glaubwürdigkeit der Musik überhaupt nichts zu tun. Wer Rockmusik spielte, wolle seinen Spaß haben, die Leute unterhalten und Kohle machen. Das sei nie anders gewesen, und genau da hätten die Stones und die Beatles auch angefangen. Gleichwohl sei deren Musik zugleich eine Botschaft gewesen, und genau die gleiche Rolle spiele heute der Punk mit der New Wave-Bewegung: der schlaff, freud- und auch gefühllos gewordene Rock der Framptons und Floyds bekäme eins vor den Latz geknallt, und die Zeit dafür sei einfach reif gewesen. Obwohl der Punk viel an Popularität gewonnen hätte, nachdem ihn die britischen Musikzeitschriften auf ihre Titelseiten geholt hatten, sei die ganze Bewegung doch spontan entstanden: „Vor eineinhalb Jahren bildeten sich überall die Punk-Bands, obwohl niemand wußte, daß anderswo, in der Nachbarstadt, ähnliches lief.“

Genau zwei Jahre alt sind jetzt die Boomtown Rats. In Dublin tat sich Geldorf mit den Gitarristen Gerry Cott und Garry Roberts, dem Keyboard-Mann Johnny Fingers, dem Bassisten Pete Briquette und dem Drummer Simon Crowe zusammen. Die Musik und das Leben ringsum waren für sie tödlich langweilig geworden.erzählen sie, und deshalb wollten sie was losmachen. Heraus kam eine Art Edel-Punk, stark inspiriert von schwarzer Musik. Noch heute zollen die Boomtown Rats ihren Wurzeln Tribut: Vor ihren Auftritten spielen sie zum Aufwärmen der Zuhörer zwei, drei Reggae-Platten. „Der Reggae“, meint Bob Geldorf, „hat die neue Rockwelle ähnlich angeregt wie der Rhythm & Blues eines Muddy Waters oder John Lee Hooker die weißen Bluesrock-Gruppen (Stones, Animals, Yardbirds) in den frühen sechziger Jahren!“ Ein wenig Reggae bringen die Rats daher auch selbst, auch wenn sie nicht ganz mit den rhythmischen Zauberkünstlern aus Jamaica mithalten können.

Über andere populäre Punkbands vertritt Bob Geldorf durchwachsene Ansichten. Die Sex Pistols liebt er wegen ihrer Musik. Aber daß Johnny Rotten sich dagegen wehre, ein Idol zu sein, daß findet er unaufrichtig. Weil er eben ein Idol sei für seine Fans und es mit Sicherheit auch bleiben wolle. Sonst würde er, meint Geldorf, wohl kaum so geschickt die Jagd der britischen Tagespresse nach Sentionen für seine Zwecke ausnutzen. Recht merkwürdig findet er auch, daß ausgerechnet die Stranglers, die bislang kommerziell erfolgreichsten Punk-Interpreten, es mit ihrem Song „No More Heroes“ ablehnten, als Helden zu gelten. Was anderes, fragt Geldorf, sind sie denn für die Fans, die sie bewundern und ihre Platten kaufen. Ähnlich wie viele andere Punks fällt der Rats-Sänger schließlich auch über die Clash her: die hätten sich doch mit bewunderswerter Frechheit an einen Modetrend angehängt, und all das politische Gefasel in ihren Songs sei nichts als genau kalkulierte Pose.

In der Tat: so manches beim Punk trägt mittlerweile merkwürdige Züge. Zum Beispiel die Mode: Leute, die – wie uns immer wieder und mittlerweile sogar schon von einem Blatt wie dem „Stern“ weisgemacht wird – Sicherheitsnadeln durch die Backe stechen und Nadeln durch die Nase, sieht man in London heutzutage kaum. Obwohl die Sex Pistols auf Platz eins der LP-Charts stehen und die Bewegung immer stärker wird. „Schau mal“, erklärt dazu Rats-Tastenquäler Johnny Fingers, „die Punks wollen nur irgendwie individuell aussehen und nicht im Massengeschmack erstikken. Ich selbst trage schon seit Jahren tagsüber und draußen auf der Straße Schlafanzüge. Mir gefällt das eben. Wegen dieses Ticks bin ich seinerzeit von der Schule geflogen. Und heute? Heute gilt das als letzter Schrei in der Punk-Mode und was-weißich-wie-viele-Leute laufen mit Schlafanzügen rum. Nicht weil sie selbst darauf gekommen sind. Sondern weil es Mode ist.“

Trotzdem: den Punk, versichert Bob Geldorf, könne niemand stoppen. Und die Boomtown Rats auch nicht: „Irland hat jeden Trend in der Rockmusik mit einer hervorragenden Band gewürzt. In der Rhythm & Blues-Welle in den frühen sechziger Jahren schwammen Them mit Van Morrison. Zum Bluesrock in den späten Sechzigern stießen Taste mit Rory Gallagher. Thin Lizzy tauchte in den siebziger Jahren mit dem Hard Rock auf. Und nun, wo die neue Rockwelle rollt, gibt es die Boomtown Rats!“ Ganz schön frech, dieser Spruch. Aber Frechheit siegt.

hg