Bruce Springsteen: higher and fire


"Acht Freunde sollt ihr sein" hieß der hehre Anspruch, doch letztlich lag Ihm das amerikanische Manager-Motto "hire & fire" wohl doch naher: In einer Nacht- und Nebel-Aktion setzte Springsteen seine langgediente E-Street-Band an die Luft. ME/Sounds-Mitarbeiter Teddy Hoersch ging nun der Frage nach, ob es künftig auch ohne Angestellte noch einen Boss geben kann.

Was soll sein? Da löst ein Musiker nach zehn erfolgreichen Jahren seine Band auf. Da wird ein 40jähriger Mann mit dem Ergebnis einer hitzigen Nacht konfrontiert: Seine Freundin ist schwanger. Da hat ein Künstler den simplen Wunsch, sich zu verändern. Was soll schon sein?

Es wäre alles ganz einfach, wenn der Betreffende nicht Bruce Springsteen hieße. „Ich denke viel über Elvis nach“, sagte er schon 1987, „und das, was ihm widerfahren ist. Die Anforderungen, die dieser Beruf an dich stellt, sind unvernünftig. Es ist mehr als seltsam, auszugehen und von den Leuten angestarrt zu werden, als sei man der Weihnachtsmann.“

Die Anzeichen dafür, daß etwas geschehen mußte, häuften sich. Aber wie immer: Kaum einer nahm sie wahr, ausgenommen vielleicht die peniblen Springsteen-Exegeten, die den Duftmarken ihres Herrchens folgen wie läufige Hündinnen. Wer da ein Stück des Weges mitgeht, entdeckt bedeutungsschwangere Andeutungen, die der Boss in seltenen Interviews den Redakteuren in die Computer diktierte. So sagte er Amerikas größter Tageszeitschrift USA Today: „Ich lebe nicht, um Klischees zu wiederholen, sondern um etwas Neues zu machen! Ich habe das Gefühl, es war an der Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen. Man beendet Dinge, wenn sie zu Klischees erstarren.“

Apropos Klischee. Es gibt böse Zungen, die behaupten, der ganze Kerl ist ein wandelndes Klischee. Und clevere Zyniker, die wissen wollen, daß er das inzwischen auch selbst begriffen hat. Im Zuge der Pressekampagne um und über Springsteen holte dessen ehemaliger Konzertveranstalter John Scher zu einem verbalen Rundumschlag aus: „Gibt es wirklich noch jemanden da draußen, der sagt: „Er singt über Otto Normalverbraucher? Ich kaufe ihm das nicht ab. Er verarscht Otto Normalverbraucher! Er singt über Ehre und Liebe, aber der Typ ist jedem Rock hinterher!“ Des weiteren führt Scher aus, daß der edle Rocker „weitaus mehr Leute verletzt hat, als man in der Öffentlichkeit weiß“. Es sei eine „brillante“ Propagandaleistung seines PR-Stabes, diese Häßlichkeiten der jubelnden Masse vorenthalten zu haben.

Das Springsteen-Camp wollte zu dieser Schlammschleuderei keinen Kommentar abgeben. Was war und ist dran an dem Mythos des hemdsärmeligen Rockers, aus dessen ehrlicher Haut ehrlicher Männerschweiß tropft? Kann eine milliardenschwere Celebrity noch den Held der Arbeiterklasse geben? Wohl kaum! Das Blue Collar-Gehabe des Vorzeige-Rockers. der sich nur allzu gerne als Nachgeburt des wirklich gebeutelten Woody Guthrie geriert, wirkt überzogen, ja lächerlich. Die Geister, die Springsteen rief, haben ihn und seine ursprünglich ehrliche Haltung längst zum Jeans-Jingle, zum Werbespot degeneriert. Stars sind eben keine Menschen mehr. Springsteen ist eine Industrie.

Daß an dem Cover von BORN IN THE USA – mit Bruce vor den Stars ’n‘ Stripes, die Jeans in Auflösung, die Baseball-Kappe von Artdirektoren in der Arschtasche geparkt – monatelang gewerkelt wurde, gehört halt dazu. Daß er sich feinjustiert auf die Bedürfnisse der Zeit und seines Alters einstellte, mal Rebell in Rockerjacke, mal stilisierter Malocher, sei ihm unbenommen, wer sagt, daß Springsteens Traum vom Rock ’n Roll als gemeinsames Erlebnis, als verändernde Kraft, bloß Teil einer Marketing-Strategie ist, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Das Spiel geriet außer Kontrolle. Springsteen hat das begriffen.

Schon NEBRASKA war der erste Hinweis darauf, daß Bruce sich dem Schulterschuß der E-Streeter, dieser geölten Rock ’n‘ Roll-Maschine, entzog. Er verwarf die Banddemos und spielte die Titel akustisch und alleine ein. Sein Biograf Dave Marsh verweist darauf, daß Springsteen höchst zufrieden war mit der Schlichtheit dieser LP. „Zum ersten Mal in seinem Leben war er es leid, in einer Band zu sein. “ Weitere Irritationen: Anläßlich der „Amnesty International‘-Tournee lernte Bruce Sting kennen, der ihm „beibrachte, was falsch ist mit meiner Musik“. Der Chef erlebte, wie andere Musiker neue Impulse auslösen. Gabriels Geiger Shankar, Stings Saxophonist Branford Marsalis verstärkten die Warten auf das Boss-Kind: Bruce & Patti nach der Abtreibung der E-Street-Band E-Street Band. Er muß bei dieser Gegenheit neue Töne gehört haben. Die Auflösung der Boss-Band soll dennoch freundschaftlich verlaufen sein. Gitarrist Nils Lofgren spricht aus, was offensichtlich ist: „Er sucht. Es steht ihm zu, verwirrt zu sein. Er sagte mir selbst, daß er ein bißchen experimentieren möchte.“

Wozu also die ganze Aufregung? 16 Jahre E-Street Band – das reicht doch wohl. Tapetenwechsel ist angesagt. Der Boss wird Vater. Eine vorgezogene Midlife Crisis also, die ja vielleicht den Weg ebnet für den notwendig gewordenen Neubeginn. Mir jedenfalls lieber als ein weiteres Wrack mit gehorteten Millionen. Man stelle sich vor: Springsteen, wie weiland Elvis, mit Strassklamotten per Satellit aus Hawaii. Vorne werden US-Flaggen geschwenkt. Die älteren Semester wackeln mit dem Kopf. War das schön damals…! Lieber nicht, Bruce.