Bryan Adams: Das Interview


Der Mann hat den Erfolg neu definiert. Seit Monaten blockiert er die Pole-Position der Charts in aller Welt. Wo immer er auftritt, sind die Arenen ausverkauft. Trotz dieses Superstar-Status hält sich der Kanadier, mit Wohnsitz London, in der Öffentlichkeit eher bedeckt. Christiane Rebmann sah dem sonst maulfaulen, humorvollen 34jährigen in die blauen Augen.

Turin, Italien. Nach dem Soundcheck setzt sich Bryan Adams im Allerheiligsten des VIP Backstage-Bereichs neben den Tisch mit Gemüse. Stunden später ist das erste Exklusiv-Interview seit Jahren im Kasten.

ME/S: Majestix hat Angst, daß ihm der Himmel auf den Kopf fällt. Und deine größte Angst soll sein, mit einem italienischen Flugzeug abzustürzen…

Adams: Naja, wir sind ein paarmal kurz davor gewesen. Fliegen gehört zu meinen größten Phobien. Im Flugzeug bist du total den Elementen ausgeliefert. Da kommt es vor, daß ich auf so einem Zehnstundenflug plötzlich denke: Wo bin ich jetzt eigentlich in der Welt. Was ist unter mir? Wenn jetzt der Fußboden rausfällt, wo lande ich dann? Meine Fantasie geht also manchmal eher in die untere Stratosphäre als in die obere.

ME/S: Leidest du unter dieser Angst, weil du ein Kontrollfreak bist?

Adams: Das ist eine gute analytische Beschreibung. Ich bin immer ein Kontrollfreak gewesen. Schon früher in der Schule. Da war ich Captain der Fußballmannschaft. Die konnte ich rumkommandieren.

ME/S: Mußt du in deiner Arbeit auch immer die Kontrolle behalten?

Adams: Die Co-Autoren suche ich mir danach aus, ob es zwischen uns funkt. Das ist wie mit einer Geliebten. Du mußt nichts erklären. You just make love.

ME/S: Da bist du aber auch nicht gerade treu. Warum hast du dich 1990 nach zehnjähriger Zusammenarbeit von Jim Vallance getrennt?

Adams: Das war seine Entscheidung. Wir haben klein angefangen, in Kellern, die nach Katzenpisse stanken. Und sind irgendwann in opulenten Studios gelandet. Am Ende konnten wir nicht mehr vernünftig miteinander kommunizieren. Es war wie in jeder Beziehung: Entweder du scheißt, oder du kommst runter vom Topf. Jim hat das vor mir gemerkt. Mit der Trennung hat er uns beiden einen großen Gefallen getan.

ME/S: Weil danach Starproduzent Robert „Mutt“ Lange kam?

Adams: Mit dem sind mir die größten Hits meiner Karriere eingefallen. Wir stacheln uns gegenseitig an. Ich singe die Songs sehr gerne, die wir zusammen schreiben. Weil sie mich fordern. Die Lieder, die ich davor geschrieben hatte, waren zu einfach. Außerdem ist der Humor beim Songschreiben ausgesprochen wichtig.

ME/S: Kannst du den immer auf Knopfdruck anknipsen?

Adams: Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch. Ich weiß, das klingt schrecklich deprimierend. Aber ich bin meistens gut drauf. Schon dadurch, daß ich Musik mache. Ich bin mal vor Prince Charles und Lady Diana aufgetreten. Und danach kam Prince Charles zu mir und sagte: „Ihre Musik hat mein Sternum zum Schwingen gebracht.“ Und ich hab‘ gedacht: Der Mann hat recht. Mein Brustbein kommt dabei auch zum Schwingen.

ME/S: Die alte Leier. Musik als Therapie?

Adams: Alles, was deine Organe zum Schwingen bringt, ist wahrscheinlich gut für dich.

ME/S: Machen Dir die großen Hallen da keine Probleme?

Adams: Kommt drauf an. Ich hab festgestellt, daß die großen Fußballnationen die besten Zuschauer haben. Die Italiener zum Beispiel. England und Deutschland auch. Alle Länder, denen Fußball vor Gott geht, haben gute Zuschauer.

ME/S: Geht dir Fußball vor Gott?

Adams: Also ich will hier ganz bestimmt nicht die Top Ten meiner Begierden preisgeben. Aber ich sehe mir beispielweise morgen ein Spiel in Mailand an. Wir spielen auf Tournee immer Fußball, um uns ein bißchen zu entspannen.

ME/S: Wer gegen wen?

ADAMS: Normalerweise tritt die Band gegen die Road Crew an. Aber wir haben keine feste Aufstellung. Das ist nur so zum Spaß.

ME/S: Machst du sowas oft?

Adams: Ich mache gewisse Phasen durch. Immer wieder. Im Moment macht es mir Spaß, mir die Welt anzusehen. Wir sind ja gerade von einer ausgedehnten Tournee durch den Fernen Osten zurückgekommen. Indien, Vietnam. Lauter ungewöhnliche Orte. Ich habe kürzlich auch in Bahrain und in Dubai gespielt. Ich kann reisen, wohin ich will. Das reizt mich.

ME/S: Warum?

Adams: Ich bin neugierig. Die Welt, die uns der amerikanische Nachrichtensender CNN präsentiert, hat ja nicht unbedingt was mit der realen Welt zu tun. Das ist eher ein mikroskopischer Ausschnitt, dazu noch aus einem negativen Blickwinkel. Auf meinen Reisen habe ich erkannt: Menschen sind Menschen sind Menschen, überall auf der Welt. Kürzlich bin ich in Indien aufgetreten. Da sind die Zuschauer ausgerastet.

ME/S: Singen die auch mit?

Adams: Hmmm.

ME/S: Können die denn die Texte?

Adams: Nö. Aber sie singen trotzdem mit.

ME/S: Macht es dir nichts aus, daß die Infrastruktur dort nicht so gut ist wie in Europa oder den USA?

Adams: Ich gebe ja nur mein Okay für solche Konzerte, wenn mir ein Minimum an Equipment garantiert wird.

ME/S: Ein Brett und drei Kerzen?

Adams: Zwei Lampen an der Seite und ein paar PA’s. Ich habe meinen Mitarbeitern eingeschärft: „Keine Ansprüche! Wir machen das beste aus dem, was da ist. Dafür sehen wir mehr von der Welt als jede andere Band.“ Naja, außer vielleicht Tom Jones.

ME/S: Oder der Human Rights Now Troß?

Adams: Stimmt, das war ähnlich. Am meisten hat mich diesmal Vietnam fasziniert. Es war, als wäre ich in einer Zeitmaschine 25 Jahre zurück gereist.

ME/S: Was hat dich am meisten beeindruckt?

Adams: Daß die dort nichts vergeuden. Alles wird noch einmal verwendet. Egal, ob das Plastiktüten oder Blechdosen sind. Die können sich unsere Verschwendung gar nicht leisten. Die haben ja keine Ressourcen. Denen ist alles heilig.

ME/S: Hast du dich in der letzten Zeit ökologisch engagiert?

Adams: Wir versuchen, den Walfang in der Antarktis zu unterbinden. Es gibt acht Länder, die bisher gegen den Schutz der Wale gestimmt haben. Die kleineren von ihnen werden von den Japanern unterstützt, damit sie in deren Sinne stimmen. Scheckbuchdiplomatie nennt man das. Ich kämpfe in einer Postkartenkampagne dagegen. Bei jedem Konzert lasse ich Tausende von Postkarten verteilen, die die Zuschauer dann ausfüllen und an die Umweltminister der entsprechenden Länder schicken sollen.

ME/S: Ist dabei schon was rausgekommen?

Adams: Und ob. In Neuseeland haben wir 20.000 Karten an den Umweltminister der Salomon Inseln im Südwestpazifik verteilt. Und wir hatten Erfolg: Die Salomon Inseln haben ihre Teilnahme am Abstimmungstreffen der IWC (International Whaling Commission) in Mexiko abgesagt.

ME/S: Was bedeutet das?

Adams: Wenn wir noch mehr Länder umdrehen, können wir einen großen Teil der Wale auf dieser Erde schützen.

ME/S: Lebst du noch vegetarisch?

Adams: Klar. Das ist gesünder.

ME/S: Eure Caterer hier haben nur fleischloses Essen auf den Tisch gebracht. Muß deine Crew dem Vorbild des großen Meisters folgen?

Adams: Im oberen Cateringbereich gibt es Fisch. Ich will doch meinen Leuten nicht meinen Willen aufzwingen. Sowas geht immer nach hinten los.

ME/S: Und Leder trägst du auch?

Adams: Lederschuhe und einen Gürtel. Du wirst mich allerdings nicht im Jim Morrison Outfit sehen. Aber das wäre mir eh zu heiß.

ME/S: Früher wurde dir nachgesagt, daß du dich hauptsächlich auf Flohmärkten eindeckst. Ist dir Kleidung heute wichtiger geworden?

Adams: Wieso? Sehe ich so aus?

ME/S: Immerhin: Graues Polohemd, braune Hose – du kleidest dich eleganter als früher.

Adams: Ab und zu ziehe ich mit meinem Bruder oder mit meinem Tour Manager Chris los und kaufe was. Aber du wirst mich immer noch nicht in einer Armani-Boutique treffen. Ich trage gerne schöne Klamotten. Aber ich laufe auch immer noch gerne in abgerissenen Sachen rum.

ME/S: Warum bist du von Vancouver nach Chelsea in London umgezogen?

Adams: Weil ich dort eine Menge Freunde habe. Meine Familie kommt ja ursprünglich aus England. Ich wollte mich ein bißchen um meine Oma kümmern. Mutt wohnt auch dort. Und außer daß ich ab und zu mal zum Segeln gehe, dreht sich in meinem Privatleben sowieso alles um die Musik.

ME/S: Die Gerüchtemacher wollen dich seit Jahren mit deiner schwedischen Freundin Cecilie verheiraten. Wann ist es endlich so weit?

Adams: Du hast es richtig benannt: ein Gerücht. Obwohl ja nichts schlechtes an einer Hochzeit ist. Cecilie ist übrigens Dänin.

ME/S: Oh. pardon.

Adams: Sie wäre tief beleidigt, wenn sie dich hören würde.

ME/S: Wenn du quasi kein Privatleben hast, woher nimmst du deine Ideen?

Adams: Tägliches Geschwätz. Alltagsphrasen, die leicht zu erinnern sind.

ME/S: Wie „Please Forgive Me“?

Adams: Wie oft sagst du das! „Bitte vergib mir! Es tut mir leid.“ Wenn du eine Melodie und einen Text um dieses Konzept herumbauen kannst, hast du schon den Anfang einer Idee. Der Anstoß kann unser Interview hier sein. Alles. Das Leben.

ME/S: Elvis Costello macht aus der Wartezeit auf dem Flughafen spannende Songs…

Adams: Genau. Das ist doch auch eine der prickelndsten Erfahrungen im Leben. Letzten Endes läßt sich alles auf Flugzeuge reduzieren, oder?

ME/S: Wie lief die Arbeit zu „All For Love“ mit Rod Stewart und Sting?

Adams: Sehr unkompliziert. Ein Tag im Studio. Allerdings mußten wir zu Rod nach Los Angeles fliegen, weil er an dem Tag was im Garten zu arbeiten hatte. Er weigerte sich, nach London zu kommen. Wir nahmen seinen Gesang auf und mischten ihn in Vancouver ab.

ME/S: Planst du weitere Aufnahmen mit den beiden Musketieren?

Adams: Sting und ich haben noch zweimal miteinander gesungen, in Australien und in New York. Ich würde gerne wieder was mit ihm machen. Ich finde, unsere Stimmen klingen richtig gut zusammen. Außerdem kommt er mir vor wie mein Bruder. Er ist ein echter Gentleman und ein sehr guter Musiker.

ME/S: Und noch zynischer als du…

Adams: Ich bin ja auch nicht aus Newcastle.

ME/S: Welche Musiker hättest du gern als Talent Scout entdeckt?

Adams: Primal Scream finde ich ziemlich gut. Und Björk. Morrisseys neues Album höre ich gern. Zuletzt habe ich die Show von Lenny Kravitz gesehen. Er war brillant. Aber meine Lieblingsband sind Guns N’Roses. Axl ist ein toller Sänger. Der kriegt den Arsch hoch.

ME/S: Welches ist dein Erfolgsrezept?

Adams: Ausdauer.

ME/S: Noch was?

Adams:Glück.

ME/S: Das ist alles?

Adams: Mein Erfolg ist auf eine Kombination von Menschen zurückzuführen. Die Band, das Management, die Plattenfirma, Mutt, Jim.

ME/S: Wie bescheiden. Und warum sprichst du mit deiner Musik selbst Menschen an, die diese Musik sonst nicht mögen?

Adams: Das habe ich als Teenager immer von Paul Rodgers und Joe Cockers Stimme gesagt. Ich schrieb den Text von „You Are So Beautiful“ auf und dachte: Mann, das ist ja ein ganz einfacher Text. Aber durch seinen Gesang wird daraus ein wunderschöner Song. Rod Stewart und Springsteen gehören auch zu den Sängern mit diesem Phänomen. Etwas ganz einfaches auf bewegende und einzigartige Weise zu singen, das macht den Charme eines großen Künstlers aus. Ich gehöre noch nicht in diese Liga.

ME/S: Aber du machst auch aus Gefühlen, die jeder kennt, Hits.

Adams: „Please Forgive Me“ singe ich sehr gern. Da gibt es die Textpassage: „I remember the smell of your skin, I remember everything, I remember all your moves, I remember you.“ Das ist typisch Mutt. Er sagte zu mir: „Laß uns einen Song für die Frauen dieser Welt machen. Schreib etwas, was die Frauen hören wollen, aber von ihren Männern nie hören.“

ME/S: Und das hat auf Anhieb funktioniert?

Adams: Die ersten Einfälle waren richtig schwammig und schmierig. Und, mal ehrlich, „Everything I do I do it for you“ würde doch auch kein Mann zu einer Frau sagen. Er würde es höchstens denken. Wieder ein typischer Fall von Muttchismo.

ME/S: Dann sind also auch deine ganzen historischen Erklärungen zu „Summer Of 69“ Quatsch, und die 69 bezieht sich auf Sex?

Adams: Na klar. Genau das. Außerdem klingt 69 auch besser als 67. Neun ist immer besser als sieben. Ich meine, es hat ja auch nicht alles eine Bedeutung. „Cuts like a knife,“ was heißt das schon? Ich weiß es nicht. Aber es klingt gut. Jim und ich haben die Lieder meistens in einer Jam Session ausgetüftelt. Wir ließen das Band laufen. Er spielte Baß, und ich spielte Gitarre und sang dazu. Das heißt, ich murmelte vor mich hin. Ich murmelte und murmelte und murmelte. Und am Ende hörte sich Jim mein Gemurmel an und sagte: „Ah ja, du hast da was gesagt, das hört sich an wie run to you. Kann das sein?“ Und ich sagte: „Ja, wenn das so klingt.“ Ich bin der beste Murmler der Welt. In zehn Jahren hocke ich dann hinten in der Kneipe und führe Selbstgespräche. Da glotz ich dann in mein Bier und stammel so vor mich hin.

ME/S: Hauptsache, es sitzt jemand mit einem Mikro daneben…

Adams: Oh ja: „Leute! Bryan hat grad was tolles gesagt. Ich hab zwar nichts verstanden. Aber es klang interessant!“