„Bukowski? Wild und rough!“


Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Nur welche? Wir haben nachgefragt. Diesmal: Max Herre

Mumia Abu-Jamal

Seit Freundeskreis-Zeiten setzt sich Max Herre mit dem Schicksal des in Pennsylvania inhaftierten Mumia Abu-Jamal auseinander.

Wir haben schon 1997 auf Quadratur des Kreises etwas zum Thema Mumia gemacht. Ich hatte damals einen Text von ihm gelesen, in dem er über seine Isolationshaft schreibt. Es ging und geht mir nicht primär darum, ob er nun schuldig ist oder nicht, sondern darum, dass er ein faires Verfahren bekommt. Mein Engagement gipfelte in dem Song „Cross The Tracks“, in dem wir einen Text von ihm verwendet haben. Wir wollten aufzeigen, was die Isolationshaft und die Folter mit einem Menschen machen können. Später habe ich das Thema ein wenig aus den Augen verloren, mich vor drei Jahren allerdings dann bei Amnesty International nach ihm erkundigt. Meine Anfrage war der Auslöser dafür, dass ich hin und wieder etwas für Amnesty International mache. Ich habe für sie gespielt und zum Beispiel auch für die Verleihung des Menschenrechtspreises das musikalische Programm zusammengestellt.

Stuttgart

Trotz seines Umzugs nach Berlin 2002 verbindet Max eine tiefe Verbundenheit zu seiner Heimatstadt.

Stuttgart ist topografisch eine der schönsten Städte, die ich kenne – architektonisch eher nicht. Wir sagen immer, es ist wie Zürich, nur ohne den See. Ich hatte eine sehr schöne Kindheit dort. Der Westen, die Innenstadt, aber auch der Süden – das war mein Pflaster. Auch als Jugendlicher und Erwachsener fühlte ich mich dort sehr wohl. Später hatte ich eben einfach das Pech, eine Berlinerin kennenzulernen, die es dort nicht mehr ausgehalten hat. Joy und ich sind 2002 nach Berlin gekommen, als der Berlin-große Hype einsetzte. (Joy Denalane und Max waren von 1999 bis 2007 ein Paar und sind es seit Mitte 2010 wieder – Anm. d. Red.) Es war aber eben nicht so, dass ich dem „Berlin-Magnetismus“ erlegen bin, sondern eher dem „familiären Magnetismus“.

Udopia

Mit neun Jahren stellte sich Max diese Platte als seine erste ins Regal.

Udo Lindenberg ist meine Kindheit. Udopia war meine erste LP, mein erstes Konzert war 1984 auf der „Götterhämmerung-Tour“. Als das Konzert vorbei war, stand ich seitlich der Bühne und habe Udo zugewinkt. Ich war mir sicher, dass er mich gesehen und zurückgewinkt hat. 13 Jahre später haben wir mit Freundeskreis ein Lied von ihm gecovert („Baby, wenn ich down bin“ – Anm. d. Red.) und er rief an, um uns zu fragen, ob man sich nicht einmal treffen wolle. Bald darauf saß er in unserem Gartenhäuschen, in dem wir unser Studio hatten. Sehr aufregend. Wir haben zwei Songs zusammen gemacht. Vor zwei Jahren habe ich im Duett mit ihm sein „Mädchen aus Ostberlin“ gecovert und auch bei Udos „MTV unplugged“ war ich jetzt dabei. Die Nervosität ihm gegenüber habe ich mittlerweile abgelegt, aber er bleibt für mich natürlich immer dieser „Godfather“. Nach ein paar Stunden sieht man dann aber auch den Udo hinter der Sonnenbrille.

Charles Bukowski

Erst im Teenager-Alter überwand Max Herre seine „Bücher-Phobie“und fand mit Bukowski einen Autor, der ihn begeisterte.

Er ist allerdings der zweite Autor, den ich für mich entdeckt habe. Ich habe mich geweigert zu lesen, bis ich 16 war, obwohl meine Mutter einen Buchladen hatte. Zunächst war J. D. Salingers „Fänger im Roggen“ für mich das beste Buch der Welt. Ich war Holden Caulfield. Der Typ, der in der Schule nicht klarkommt, abhaut und in New York alles Mögliche erlebt. Wenn ich Briefe geschrieben habe, habe ich sie im Stil von Holden Caulfield geschrieben. Doch dann bin ich an Bukowski geraten, und er wurde mein absoluter Lieblingsautor. Er war wild, rough, und die vielen erotischen Szenen waren für einen Siebzehnjährigen natürlich ein gefundenes Fressen. Als Jugendlicher findet man diese ganze Art von ihm und die Sprache cool. Dieser Mann, der sich einfach gegen alle Koventionen stellt. Ich hätte mich nie getraut, so herumzufluchen wie er es tut. Ihm ist ja nichts heilig!

Y’akoto

Max Herre ist nicht nur als Sänger, sondern auch als Produzent tätig und hält die Augen für neue Talente offen. Y’Akoto ist für ihn gar ein Ausnahmetalent.

Sie ist eine junge Künstlerin aus Hamburg, die ihre Wurzeln in Ghana hat. Und sie ist meiner Meinung nach eine kleine Billie Holiday. Ich habe zusammen mit meinem Produktionsteam Kahedi insgesamt fünf Songs auf ihrem kommenden Debüt Babyblues produziert. Unsere Zusammenarbeit hat erst im zweiten Anlauf geklappt, und ich war zuerst noch zu sehr mit meiner eigenen Musik beschäftigt. In unserer ersten Session, die drei Tage dauerte, haben wir uns beschnuppert und konnten uns, glaube ich, alle ganz gut riechen. Sie ist eine sehr intuitive Sängerin, die fast nie zweimal das Gleiche macht. Es kommt nicht so oft vor, dass man auf so eine Künstlerin trifft. Auch mit Joy durfte ich ja schon früh in ihrer Karriere zusammenarbeiten. Grundsätzlich passiert es wohl nur alle zehn Jahre, dass man auf eine Person mit so großem Talent trifft, wenn überhaupt.

Der Modulor

Das Proportionskonzept des Bauhaus-Architekten und Künstlers Le Corbusier ist ein Motiv, das die Architekten-Familie Herre, in der Max‘ Großvater, Vater und Bruder diesen Beruf wählten, seit Jahren begleitet. Das Konzept stellt den bedeutendsten modernen Versuch dar, der Architektur eine am Maß des Menschen orientierte Ordnung zu geben.

Ich bin mit diesem Bild aufgewachsen. Mein Vater hatte es immer dabei, ebenso mein Opa, der auch Typograf war. Er hatte Bücher von Le Corbusier übersetzt und war persönlich mit ihm bekannt. Mein Opa ist gestorben, als mein Vater 17 war. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt. Er war Mitglied einer einflussreichen Clique aus bekannten Malern wie Oskar Schlemmer und Willi Baumeister. Deshalb hingen auch bei uns zu Hause immer viele Bilder, darunter einige meines Vaters. Eine Zeit lang wollte ich Maler werden, und mein Talent hat sich auch gut entwickelt, bis ich elf oder zwölf war. Dann hat sich gar nichts mehr entwickelt, das heißt, ich male heute immer noch wie ein Elfjähriger.

Anna Blume

Der Song „A-N-N-A“ von Freundeskreis verschaffte der Band 1997 den Durchbruch. Max bediente sich hierfür bei einem Gedicht des Künstlers Kurt Schwitters.

Wahrscheinlich ist „A-N-N-A“ immer noch das bekannteste Stück, das ich geschrieben habe. Ich glaube, es war so, dass bei uns zu Hause ein Gedichtband von Kurt Schwitters herumlag, mit dem berühmten Gedicht“An Anna Blume“. Ich fand Dada generell sehr spannend, auch dieses Brechen von Sprache bis hin auf eine Ebene, wo man nur noch auf den Klang geht. Das war für mich wie Rap-Musik. Ich mochte es, dass man sich den Klang der Sprache so zurechtstutzt, wie man ihn eben brauchte, um daraus Musik zu machen. Ich hatte schon zuvor mit dem Schreiben eines Liedes begonnen, das ich „Anna“ nennen wollte. Dann kam meine Mutter zu mir und gab mir das Gedicht mit der Zeile „Du bist von hinten wie von vorne A-N-N-A“, und ich dachte mir, diese Zeile muss in meinem Rap einfließen! Ich habe das Gedicht einfach schamlos geplündert. HipHop ist ja schon immer eine Sample-Kultur gewesen, und in dem Fall galt das eben nicht für die musikalische, sondern für die Textebene.

Buenos Aires

Südamerika stand bis jetzt noch nicht auf der Reiseroute von Max Herre, doch er hat schon länger ein Auge auf die argentinische Hauptstadt geworfen.

Ich verbinde mit der Stadt eine wahnsinnige Sehnsucht. Ich stelle mir Buenos Aires einfach als eine wunderschöne Stadt vor, die ganz viel miteinander mischt. Die Alte und die Neue Welt. Es gibt vermutlich keine Stadt mit mehr Buchläden als Buenos Aires. Vielleicht ist es genau die Vorstellung, die viele Leute immer von Paris haben: Man sitzt in irgendeiner Mansarde, guckt über die Stadt und dann passiert irgendetwas Künstlerisches mit einem. Ich glaube, dass dieser Ort sehr inspirierend auf einen wirken kann und ich hoffe, dass ich irgendwann einmal dorthin fahren werde. Aber es wäre kein geeignetes Reiseziel für einen Urlaub mit der Familie. Also muss ich wohl noch ein paar Jahre warten. Es ist eben kein Ort, an den man mal eben hinfährt. Das muss man schon gut planen. Ich spüre, dass es etwas Besonderes sein wird.