Can


Can – so ziemlich der kürzeste und prägnanteste englische Name, der im weiten Feld der Rockmusik geläufig ist. Weshalb sich Jaki Liebezeit, Michael Karoli, Holger Czukay und Irmin Schmidt diesen Namen zulegten, ist nicht bekannt. Bezieht sich Can auf „Dose“? Oder auf „können“, mit allen in diesem Wort enthaltenen Bedeutungen einer Fähigkeit („Das kann ich“), einer Möglichkeit („Das kann sein“) oder einer Rechtsposition („Das kannst du nicht machen“)? Manche Musikschreiber haben sich darüber tatsächlich schon den Kopf zerbrochen. Doch wir verlassen lieber diesen unsinnigen Exkurs in die Sprachforschung, denn Irmin Schmidt würde sich darüber wahrscheinlich kaputtlachen. Can bedeutet für die Rockszene, für viele Musikfans, vielleicht für die entsprechende Plattenfirma und vor allem für die Gruppe selbst sehr viel – nur als Name, da bedeutet Can nichts.

Doch hiermit wird ein wunder Punkt angesprochen, zumindest, was Can und ihre Musik in den Medien ausmacht. Wenn eine Band mit Songtiteln wie „Vernal Equinox“ oder „Come Sta, La Luna“ auftaucht und dann auch noch, mangels besserer Bezeichnungen, eine ,Experimental-Rockband‘ oder ,Avantgarde-Rocker‘ genannt wird, dann fühlen sich speziell deutsche Musikschreiber, die schließlich in einer Kulturgesellschaft aufgewachsen sind, der die Wagner-Festspiele in Bayreuth und das Verhältnis Richard Wagners zu seiner Ehefrau Cosima seitenlange Artikel wert sind, gezwungen, hinter allem und jedem tiefere Bedeutung zu suchen. Man ging, wie oben vorgeführt, der Bedeutung des Namens ,Can‘ nach, suchte im zugegebenermaßen außergewöhnlichen Konzept der Band alle möglichen Hintergründe und versuchte in Konzertkritiken und Plattenrezensionen, Can-Musik mit blumiger Sprachartistik gültig zu beschreiben. Weder den Can-Jungs noch den Fans war dies förderlich.

Was hat Can mit Stockhausen zu tun?

Kamen aber nun diese Musikschreiber, die zwar Meinungen manipulieren, sich dessen aber nicht immer bewußt sind, mit Can und ihrer Musik nicht mehr zu Rande, dann blieb als letzter Ausweg immer noch der Name ,Stockhausen‘. Denn indem man etwa Can als ,Stockhausen‘ im Rock-Kontext bezeichnete, wurde die Sache auf ein unangreifbares Podest gehoben – der Leser senkte ehrfürchtig sein Haupt. Klar auch, denn ,Stockhausen‘ ist ein Symbol, unter das esoterische, komplizierte, elektronische, nicht kommerzielle, scheinbar übergeistige oder irgendwie besonders schräg klingende Musikformen gern eingeordnet werden. Musik, die man nicht sofort einordnen kann, ist halt ,Stockhausen‘ ähnlich verhält es sich in der Malerei: wenn ’s abstrakt und gegenstandslos aussieht, dann ist das ,Picasso‘, auch wenn Wassily Kandinsky oder Paul Klee signiert haben. Gerade bezüglich der Can ist das Symbol ,Stockhausen‘ oft verwandt worden, obwohl Can mit diesem Symbol genauso wenig gemeinsam haben wie der Musikmacher und Komponist Karl-Heinz Stockhausen aus Mödrath bei Köln selbst. Inwieweit Karl-Heinz Stockhausen als Lehrer Einfluß auf die Can-Mitglieder hatte, ist eine ganz andere Angelegenheit, die noch zu beschreiben sein wird.

Was aber generell hiermit gezeigt werden sollte, ist die Tatsache, daß die herrlich eingängige, vertrackte, simple, zauberhafte, widerliche und faszinierende Musik der Can, eben weil sie so schwer einzuordnen ist, oft völlig falsch dargestellt wurde und bei allen Musikfreunden, die sich auf Kritikerurteil allein verlassen, nie ihren wahren Stellenwert einnehmen konnte. Can-Musik ist nicht im Vorübergehen konsumierbar (wie manch andere, durchaus gute Musik),sondern muß erlebt werden. Nur der unvoreingenommene Hörer (den es im Ideal natürlich nicht gibt) kann sich mit Vorbehalt in Can-Musik hineinversetzen, an ihr teilnehmen, sich von ihr treiben lassen – dann allerdings hat er Can’s Konzept auch begriffen.

Can-Musik ist:

Durch die mitunter völlige Verzerrung der Can-Musik in den Medien litt wohl auch das Image der Band. Vielen Fans erscheinen Holger, Michael, Irmin und Jaki als durchgeistigte Langhaar-Akademiker mit reichlich Lyserg SäureDiäthylamid-Erfahrung, die nicht so recht von dieser Welt sein können. Was diesen Fans dann auch wieder diese .seltsame‘ Musik erklärlich macht.

Lieber Leser, solltest Du noch immer vom Virus des Star-Klischees befallen sein, das die Rockmusiker als eine personifizierte Mischung aus göttlich und bescheuert (und deshalb des Anhimmelns besonders würdig) erscheinen läßt, dann ändere schleunigst Deine Meinung. Jon Lord geht genauso oft pinkeln wie jeder andere, Bob Marley findet auch an solch irdischen Vergnügungen wie Fußballspielen Gefallen und Irmin Schmidt wird, abgesehen davon, daß er ein sehr netter Kerl ist, von ,Mosel-Kellergeister‘-Wein ebenso schnell besoffen wie jeder andere.

Dieser Einschub soll verdeutlichen, daß die gewiß komplexe und nur schwer auf Anhieb eingängige Musik der Can vier ,ganz normalen‘ Leuten entspringt, die sich allerdings von vielen anderen Rockern dadurch unterscheiden, daß sie eine umfassende Musikausbildung genossen haben, sich nicht auf verkaufsträchtige Kompromisse einlassen, ihre Musik weitgehend unabhängig produzieren und ein logisches und daher faßbares Konzept besitzen. Eben diese Unterschiede, und nicht die in manchen Presseorganen lancierten Histörchen, machen Can (neben weiteren Eigenheiten) erst zu einer wirklich bemerkenswerten Gruppe.

Wie aber klingt nun Can-Musik, die manche Leute zur Panik treibt und andere verzückt die Augen verdrehen läßt? Es wäre profan, diese Musik endgültig mit Worten beschreiben zu wollen. Zitieren wir statt dessen lieber einige mehr oder weniger bekannte Musikschreiber:

„Can’s fünftes Album heißt FUTURE DAYS und läßt mich, was diese deutsche Gruppe anbelangt, rosig in die Zukunft sehen“. (Jörg Gülden über „Future Days“) „Die Originalität dieser Platte liegt in der Montage, dem Detail, der spinnigen, aber cleveren Verschrobenheit, mit Alltäglichem ganz und gar unorthodox zu verfahren.“ (Ingeborg Schober über „Soon Over Babaluma“) „Das Ege Bamyasi der Can bietet mehr als ein Gemüse, nämlich ein reichhaltiges Menü. Mir hat es großartig geschmeckt, und ich werde es mir bestimmt noch oft auftischen.“ (Winfried Trenkler über „Ege Bamyasi“) „Wenige deutsche Gruppen besitzen musikalische Eigenständigkeit, wenige verstehen, ein einmal erarbeitetes Konzept konsequent weiterzuentwickeln. Die Kölner Gruppe Can macht’s möglich, nach „Ege Bamyasi“ nun mit „Future Days“. (Wolfgang Bauduin über „Future Days“) „Zumindest aber ist Can wohl die Gruppe, die am konsequentesten das einmal gefundene Konzept ausbaute und immer wieder variierte, es aber nie umstieß“. (Manfred Gillig bezüglich „Limited Edition“) „Und so blieb der Eindruck: Die Musik der Gruppe Can war das beste, was dieser Krimi bieten konnte“. (Ingeborg Prior über die ARD-Krimiserie „Eurogang“) „Wie bei einer europäischen Greatful Dead-Gruppe ist jedes Instrument frei innerhalb der Grenzen von Rhythmus und Struktur“. (Duncan Fallowell in einer englischen Biografie über Can) Soweit also einige Kritiker über Can und deren Musik, wobei man hierbei sagen muß, daß es sich wohl um solche Schreiber handelt, die nicht mit ,Stockhausen‘-Hämmern und ähnlichem arbeiten. Doch kommen wir endlich zur Geschichte der Can.

Irmin Schmidt: Zappa war Schuld

Irmin Schmidt (keyb, Alpha 77, voc), geboren am 29. 5. 1937, gründete als Oberstufenschüler an seinem Gymnasium ein Orchester, das er dirigierte. Nach dem Abitur schrieb er sich 1959 am Dortmunder Musikkonservatorium ein und studierte Klavier und Hörn. In dieser Zeit gründete er das Dortmunder Jugendorchester und leitete örtliche Konzerte. Ab 1961 setzte er seine Studien an der Essener Folkwangschule fort, belegte Klavier, Hörn, Komposition und Dirigieren und legte 1964 in sämtlichen Fächern vorzügliche Examina ab. Außerdem gründete er in Essen das Ensemble für Neue Musik.

Während dieser Zeit dirigierte Irmin jedoch durchweg gängige Klassik, etwa von Claude Debussy, Anton von Webern, Paul Hindemith, Arnold Schönberg und entwickelte eine besondere Vorliebe für die Werke Gustav Mahlers. Parallel dazu besuchte er in Köln Kurse für Neue Musik und studierte bei Koryphäen wie György Ligeti, Luciano Berio und Karl-Heinz Stockhausen. Irmins weitere Interessengebiete: Jede Art von Neuer Musik zwischen John Cage und Earle Brown, dazu ethnologische (völkerkundliche) Musikwissenschaft. 1967 erhielt er an einem Opernhaus eine Stelle als Co-Repetitor (der Sänger einstudiert) und Chordirigent. Damit schien er auf dem besten Wege, nach angemessener Wartezeit später mal auf dem höchsten Treppchen der staatlich subventionierten Klassik-Kultur zu landen.

Doch wer geht vorwiegend in klassische Konzerte? Auf jeden Fall viel zu viele befrackte Manager und broschenbesetzte Damen, die bei Nennung des Namens George Bizet erst einmal an eine Süßigkeit denken. Ähnlich, wenn auch weniger albern, hat wohl Irmin damals gedacht, als ihm bewußt wurde, daß er für ein Publikum spielte und dirigierte, mit dem er nie reden, nie verkehren, nie diskutieren würde. Diese Kluft schreckte ihn ab, und er beschloß, irgendwie etwas anderes (darauf liegt die Betonung) zu machen, bei dem er sich dank besserer Kommunikation mit dem Publikum wohler fühlte. Gleichzeitig wurde Irmin damals von Rockmusik angetörnt, speziell von Frank Zappa’s erstem Doppelalbum „Freak Out“ (nomen est omen?) und Jimi Hendrix‘ „Are You Experienced“.

Holger Czukay: Angetörnt durch die Beatles

Mit Holger Czukay lief dabei ein Typ in Köm herum, der damals ähnliche Gedankengänge vollzog und der mit Irmin bestens bekannt war. Holger (bs, voc) wurde am 24. 3. 1938 geboren und lernte anfangs Kontrabaß, auf dem er von Mitgliedern der Berliner Philharmonie bis zur Konzertreife gebracht wurde. 1962/63 lernten sich Holger und Irmin an der Körner Musikakademie kennen, wobei sich ihre Gespräche oft um den gemeinsamen Lehrer Karl-Heinz Stockhausen drehten. Holger nämlich lief damals genau auf der mathematisch nachvollziehbaren Kompositionslehre Stockhausens, während Irmin sich öfter mit Karl-Heinz in die Haare geriet, obwohl er ihn als Lehrer sehr schätzte. Ursprung solcher Differenzen war wohl die Tatsache, daß Stockhausen ,vorgetäuschte Freiheit‘ (György Ligeti) in seinen Kompositionen vermittelte, da er bei Konzerten oft die spontanen Aktionen seiner Mitspieler durch ein von ihm gehandhabtes Mischpult veränderte und damit reglementierte. Irmin zeigte jedoch Interesse an völlig spontaner Musik.

Holger spielte nebenher in Amateur-Jazzbands und verdiente weitere Groschen als Lehrer an einer Schule. Hier fand er angeblich mit dem Beatles-Song „I Am The Walrus“ den Einstieg in die Rockmusik und, ums’s nicht zu vergessen, einer seiner Schüler hieß Michael Karoli.

Michael Karoli: Jurastudium mit Musik

Michael (g, vi, voc) wurde am 29. 4. 1948 geboren und übte seit früher Jugend Geige, Banjo und Gitarre. Er spielte in diversen Schülerbands, begann nach dem Abitur ein Jura-Studium und tingelte, wie man so schön sagt, durch die Gegend. In Lausanne/ Schweiz spielte er in einer Tanzdiele und lernte Tony Ashton kennen. Schon Holger hatte, unabhängig von Michael, die Bekanntschaft von Ashton gemacht und war zeitweise drauf und dran, in Ashton’s damaliger Band Remo Four (eine dufte Gruppe mit dem Hit „Peter Gun“) anstelle des Bassisten Phil Rodgers einzuspringen.

Sowohl Holger als auch Michael fanden jedoch irgendwie (dieses Wort spielt bei Can öfter eine Rolle) nach Köln zurück, wo sie dann gemeinsam mit Irmin beschlossen, eine eigene Band aufzuziehen. Die Ziele der drei Musiker waren durchaus verschieden, in der Basis aber kongruent: Irmin und Holger wollten im Rock-Kontext alles mögliche, unter anderem natürlich ihre Erfahrungen mit Neuer Musik (und hier ist Stockhausen wichtig) austoben; Michael wollte als Rockmusiker und Jazzfan mit Leuten arbeiten, die irgendwie (!) etwas anderes machten. Das Trio besaß keine Vorstellung, was letztlich aus dieser Konstellation resultieren sollte, wußte jedoch, daß ein -Schlagzeuger dabei noch fehlte.

Jaki Liebezeit: Schlagzeug mit Geigenbogen

„Kennst Du nicht einen Drummer für unsere Band?“ So ähnlich hat Irmin damals einen Bekannten namens Jaki Liebezeit gefragt, der schelmisch antwortete, er kenne da einen. Bei der angesetzten Probe tauchte niemand anderes als Jaki selbst auf, der bezeugte, auch endlich mal was anderes spielen zu wollen, sofern dabei für ihn nur ein durchgehender Beat herausspringen würde. Nicht zuletzt für Irmin war diese Offenbarung überraschend, da er Jaki lediglich als Schlagzeuger kannte, der an einem Becken mit dem Geigenbogen entlangstrich, anstatt draufzuschlagen. Jaki, geboren am 26. 5. 1938, hatte anfangs Trompete gelernt, spielte diese unter anderem in einer Feuerwehrkapelle, zog nach Spanien, wo er beim Jazztrompeter Chet Baker iberischen/lateinamerikanischen Rhythmus lernte und landete schließlich beim deutschen Manfred Schoof Quintett, wo er neben Schoof, Alex Schlippenbach, Buschi Niebergall und Gerd Dudek elitären Free-Jazz klopfte und eben Becken (vom Schlagzeug) mit Geigenbögen vergewaltigte.

Juli 68: Es geht los.

So entstand (für Datumsfanatiker: am 19. 7. 1968) Kölns Can, vier Musiker mit vier verschiedenen, jedoch wohl nur in dieser Gruppe realisierbaren Ambitionen, die bereit waren, aufgrund ihrer zurückliegenden Erfahrungen eine neue Musik zu kreieren und dabei wieder neue Erfahrungen zu sammeln. Ein gewisses Problem bestand darin, daß eine Rockband tunlichst einen Sänger braucht – und daran mangelte es zunächst. Das Quartett arbeitete anfangs mit David Johnson (elec, fl, voc) zusammen, nahm dann allerdings den farbigen Amerikaner Malcolm Mooney auf, der seine Texte zum Teil spontan auf der Bühne oder im Studio fabrizierte. Malcolm, ursprünglich Bildhauer und Zeichner, war das reine Allround-Talent und entsprach etwa dem Typ, der zwei Stunden zu spät auf einer Party erscheint, dann aber binnen zehn Minuten alle Gäste auf seiner Seite hat. Ständig sprudelten aus ihm die irrwitzigsten und stets guten Ideen. Heute wohnt Malcolm in New York City und überschwemmt dort seine Umgebung mit Geistesblitzen.

Frei improvisiert und spontan

Mit Malcolm, der unter Freunden ,Desse‘ genannt wird, produzierten Can ihre erste LP namens „Monster Movie“, die zunächst als Privatpressung in einer Auflage von 500 Stück erschien, 1970 vor United Artists, bei der Can 1969 unter Vertrag kamen, aber neu veröffentlicht wurde. Dem Grundkonzept von „Monster Movie“ folgen bis heute alle Can-Platten, das heißt: direkt und live im Studio eingespielte Songs, die nicht komponiert sind, sondern spontan entstehen und sich allenfalls auf früher entstandene und auf Tonband mitgeschnittene Ideen beziehen; absolute Freiheit der einzelnen Musiker innerhalb des vorgegebenen Gruppenrahmens; weitgehend freie Improvisation und Spontaneität der Bandmitglieder. Die Soundqualität von „Monster Movie“ ließ, wie übrigens auch bei einigen späteren Platten einiges zu wünschen übrig, wenn man aber bedenkt, daß die Can-Musik bis 1974 lediglich auf einer Revox-Zweispur-Tonbandmaschine aufgenommen wurde, muß man die Qualität eher schon wieder bewundern. Für die Aufnahmetechnik war stets Holger verantwortlich, der mit Tricks und Kniffen manches aufbereitete. Seit 1974 besitzen die Can eine der gängigen Sechzehnspur-Maschinen.

Filmmusik zum Überleben

Gleichfalls 1970 erschien „Soundtracks“, eine Ansammlung von Filmmusik, mit der sich Can finanziell über Wasser hielten. In „Soul Desert“ taucht dabei Malcolm letztmals als Sänger auf. Dieses Album zeigte, daß Can, bevor sie beim Publikum bekannter wurden, längst schon bei Filmemachern und TV-Regisseuren beliebt waren. Bis heute haben Can an zahlreichen Filmen mitgewirkt. Die Bekanntesten: „Mädchen mit Gewalt“ von Roger Fritz, „Deadlock“ von Roland Klick, „Kuckucksei im Gangsternest“ von F. J. Spiecker, „Das Millionenspiel“ von Tom Tolle (im WDR), „Das Messer“ (Francis Durbridge-Serie in der ARD), „Die tote Taube in der Beethovenstraße“ von Samuel Füller (Tatort-Serie der ARD), „Die letzten Tage von Gomorrha“ von Helma Sanders (im WDR), nicht zu vergessen den zauberhaften Spielfilm „Alice in den Städten“ von Wim Wenders.

Auf „Soundtracks“ erschien mit „Deep End“ die Musik zum gleichnamigen Film von Jerry Skolimowski, zu der erstmals der Japaner Kenji ,Damo‘ Suzuki sang. Damo sprudelte seine Texte ebenfalls teils spontan heraus, wie es das Konzept der Can konsequenterweise auch voraussetzte. Mit Damo als Vollmitglied wurde 1971 das Doppelalbum „Tago Mago“ eingespielt, das neben knappen Songs wie „Mushroom“ auch LP-seitenlange Soundgemälde wie „Aumgn“ oder „Halleluwah“ enthielt. Für „Tago Mago“ wurde seitens der Plattenfirma erstmals eigenständige Publicity, auch im Ausland, betrieben, was sich später vor allem in Frankreich und England als sehr fruchtbar erweisen sollte.

1972: England und Frankreich

Spätestens nämlich mit Erscheinen des Albums „Ege Bamyasi“ sowie nach einer England-Tournee im Mai 1972 waren Can auch im Ausland bekannt und beliebt. Den Engländern fiel die Gewöhnung an den Can-Sound relativ leicht, weil sie zumindest musikalisch weniger konservativ als die Deutschen waren und sind, die Franzosen, die Can im Februar/März 1973 erstmals live erleben konnten, kannten sowieso schon schwerere Klänge vom Kaliber der Gruppen Gong oder Magma.

Außerdem war „Ege Bamyasi“ das erste Can-Album, das man auch mal seiner musikunerfahrenen Freundin vorspielen konnte, ohne auf Schlimmes gefaßt sein zu müssen: Songs wie „Vitamin C“ und vor allem „Spoon“ gerieten zu Insider-Ohrwürmern und Mini-Hits, weil sie eingängig und kompakt klangen. Doch eine weitere Begebenheit machte Can weithin bekannt: Am 4. 2. 1972 spielte die Band in der Kölner Sporthalle vor zehntausend Zuschauern ein Free-Concert, bei dem auch Taschenspieler und Jongleure auftraten und das von Peter Przygodda in einem Film festgehalten wurde, der sogar am 25. 9. 1975 im dritten Programm des WDR ausgestrahlt wurde. Der Film zeigte Can auch beim Proben und Jammen im eigenen Studio. Dieses Studio, Inner Space genannt, befand sich zunächst im Schloß Norvenich in der Eifel, wurde später aber in ein altes Kino in Weilerswist südlich von Köln verlegt, wo Can jederzeit üben und aufnehmen konnten.

Keine Kosmischen Kuriere

Hier zeigt sich die Unabhängigkeit, mit der Can notwendigerweise arbeiten müssen: Der kollektiven, spontanen Musik der Can würde im Zeitlimit,das in gemieteten Studios stets Grenzen setzt, der Hals abgedreht. Im eigenen Studio können Can jedoch, wann und wie sie wollen. Ohne diese Voraussetzung wäre die im Prinzip anarchische Methodik bei Aufnahmen nicht realisierbar. Darüber hinaus liefern Can bis heute stets fertige Bänder bei der Plattenfirma ab, können sich daher alle Freiheiten bei der Produktion erlauben und laufen weniger Gefahr, von der Firma unter Druck gesetzt und bezüglich Publicity verheizt zu werden. Dies ist einer der Gründe, warum Can nie in den zweifelhaften Ruf gelangten, eine ,kosmische‘ Band zu sein, obwohl die Musik für Manager und Marketing-Leute da besondere Ansätze geboten hätte. Außerdem besaßen Can das Glück, nicht auf dem kosmischkomischen Label seiner Ex-Majestät, Rolf-Ulrich Kaiser, spielen zu müssen.

Damo geht zu den Zeugen Jehovas

1973 wurde die LP „Future Days“ veröffentlicht, die wegen Cans größerem Bekanntheitsgrad nicht mehr in unvorbereitete Ohren gelangte. Das zwanzigminütige „Bei Air“ sowie das exotisch klingende „Spray“ waren besonders gut gelungen und gerade letzteres bereitete den Weg zur 1974 erschienenen LP „Soon Over Babaluma“, die allein wegen ihres Covers einen Preis verdient hätte und sich ziemlich gut verkaufte. Vor allem Stücke wie „Dizzy Dizzy“ und „Come Sta, La Luna“ fielen dabei auf. Noch bemerkenswerter war allerdings, daß nun Michael die meisten Vocals übernommen hatte. Damo war zu den Zeugen Jehovas konvertiert, und da diese Sekte einigen durchaus sinnvollen weltlichen Dingen abhold ist, ließ sich auch Damos neuer Glaube mit langem Haar und Rockmusik nicht mehr vereinbaren. Heute lebt Damo in Düsseldorf, hat Frau, Kind und einen seriösen Beruf und wirkt missionarisch. Freundschaftliche Verbindungen zur Can bestehen immer noch, denn kürzlich erschien Damo im Inner Space und gab nochmals sein Gewisper zum besten.

Can wird international

Inzwischen waren Can längst zu einem wichtigen Tip in der internationalen Szene geworden, weshalb die englische Plattenfirma Virgin Records historische Can-Songs unter dem Titel „Limited Edition“ (Stückzahl:

15000) als Promotion-LP veröffentlichte. „Limited Edition“ ist identisch mit Platte eins der in Deutschland erschienen Doppel-LP „Unlimited Edition“, die übrigens auf dem Cover interessante Informationen zur Can-Geschichte gibt. Hier tauchen auch einige Beispiele aus Cans „E.F.S.“-Zyklus („Ethnological Forgery Series“) auf, von denen es mittlerweile mindestens neunundfünfzug gibt. Die „E.F.S.“ stellen auf humorige Weise verschiedene Musikformen nach Art der Can dar.

Vor „Unlimited Edition“ war jedoch das Album „Landed“ veröffentlicht worden, das glänzende Kritiken erhielt, im Nachhinein aber eher wie eine LP des Übergangs erscheint. Bekanntester Song von „Landed“ war „Hunters And Collectors“, die Titelmelodie des : Eurogang‘.

Der Weg bis „Flow Motion war lang, hat aber reiche Früchte getragen: Neben der fast nach ,Funk“ klingenden und zugleich als Single ausgekoppelten Melodie „1 Want More“ bzw. „…And More“ erscheint da mit „Smoke“ eine Reminiszenz an alte Can-Tage, mit „Flow Motion“ eine wahre Orgie von Wah-W ah-Klängen, mit „Babylonian Pearls“ lateinamerikanisch anmutende Perkussion. Vor allem aber haben es dem Verfasser der „Cascade-Waltz“ (wie der Titel vermuten läßt, im Drei-Viertel-Takt) sowie das Reggae-beeinflußte „Love Till You Cry, Live Till You Die“ angetan. Und daher haben die Can dank „Flow Motion“ einen neuen Fan gewonnen, der ursprünglich diese Story mit sehr gemischten Gefühlen begonnen hat. Aber man lernt ja bekanntlich nie aus…