Can’t get enough


Jäger & Sammler

Er ist ein Glückspilz – und gleichzeitig ein armes Schwein: Stets auf der Suche nach der noch fehlenden Rarität, riskiert der Sammler nicht nur sein finanzielles, sondern auch sein seelisches Gleichgewicht. ME/Sounds sammelte des Wahnsinns fette Beute.

Die Profis

Fritz Egner (o.) hat gut lachen:

Als Moderator und Medienmensch bekommt er reguläre Veröffentlichungen in der Regel kostenlos — ebenso wie Helmut Ochs (r.) von Sony Music. Da sind 20.000 LPs und 3000 CDs schnell zusammen. Otto Normalsammler kann davon nur träumen: Er bezahlt seine Sucht mit dem letzten Pfennig.

ür den einen fing alles mit einer Elvis-Single an, die er zum zwölften Geburtstag bekam. Der nächste ließ sich von den Stones-Bootlegs des großen Bruders begeistern, ein anderer begann irgendwann, seiner Jugend nachzutrauern und kaufte fortan alle Platten, die er damals gehört hatte.

Wie und wann immer es begann — eines verbindet alle Plattensammler: Sie sind den großen schwarzen (und mittlerweile auch den kleinen silbernen) Scheiben verfallen. Ob nostalgische Gefühle oder grenzenlose Begeisterung für einen bestimmten Musiker die Triebfedern ihrer Leidenschaft sind — ohne brasilianische Promo-Singles. Radioshow-Alben amerikanischer Filmschauspieler oder seltsam geformte Picture Discs können sich die meisten von ihnen das Leben einfach nicht mehr vorstellen. ¿

It’s (not) only rock V roll

Dieter Honmann hat sein Leben den Rolling Stones gewidmet. Durch zwei fundierte Nachschlagewerke läSt er andere Fans an seinem Wissen und der — bei Lloyds versicherten — Sammlung teilhaben. Nebenbei gibt er vier Mal Jährlich das Magazin „Basement News“ heraus. (Bezugsadresse: D. Hoffmann, Lausitzer Str. 13, 6054 Rodgau 6)

Schwarz muß es sein

Für den Radiomoderator und Discjockey Gerd Bischoff ist ein Leben ohne schwarze Scheiben unvorstellbar geworden. Man könne ja auch nicht einfach mit dem Atmen aufhören, zieht der Platten-Junkie einen gewagten Vergleich. Sein nie versiegender Hunger nach neuen Dancefloor-Scheiben hält ihn schon seit vielen Jahren am Rande des Ruins.

Everypicture teils a story

Picture Discs und sogenannte Shapes sind die Leidenschaft Georg Fersenheims. Sein seltenstes Stück ist ein Schellack-Weihnachtsmann aus den 30er Jahren. Für schlappe 350 Mark ein Jahrhundert-Schnäppchen. „Zum Sammler wird man geboren und bleibt es sein Leben lang“, sagt er schicksalsergeben.

Sucht nach rarer Ware

Für ihn ist Plattensammeln wie eine Drogensucht. Michael Bruch kriegt seine Kicks, wenn er auf Plattenbörsen und Flohmärkten Raritäten nachspürt. Den Tag, als er das superseltene „Promotional Album“ der Rolling Stones entdeckte, wird Bruch nie vergessen. „Mein Herz raste, ich war völlig sprachlos“, erinnert er sich an den Moment orgiastischen Glücks.

It Hurts So Good

In seinem Behandlungszimmer sehen die Patienten gleich, wo dem Doktor der Schuh drückt: An der Wand hängen zwei silberne Soft Cell-Maxis. Eine Goldene des britischen Duos ziert obendrein das heimische Wohnzimmer. Durch gute Kontakte nach England hat Zahnarzt Michael Depkat auch extreme Sott Cell-Raritäten aufgetrieben.

Blast from thepast

Platten alter Filmstars wie Joan Crawford, Robert Mitchum oder Marilyn Monroe haben es Wolfgang Freese und Jürgen Hedemann angetan. „Die Musik von heute Interessiert uns nicht“, sagen beide Nostalgiker. Originalautogramme von Bette Davis und Marlene Dietrich runden ihre Sammlung ab.

Die kleine Schwarze

Für längst vergriffene Soul-Singles aus den 60er und 70er Jahren verzichtet Ralf Kemper notfalls auch auf neue Turnschuhe oder ein paar warme Mahlzeiten. „Ich brauch das Geld eben für Platten“, sagt der stolze Besitzer von rund tausend Obskuritäten.

Auf 30.000 bis 50.000 schätzt Martin Reichold, Chefredakteur des Auktions-Magazins „Oldie Markt“, die Zahl der engagierten Sammler in Deutschland. Ungefähr ein Drittel von ihnen beteiligt sich Monat für Monat an den Auktionen und sorgt dabei regelmäßig für einen Umsatz von mehr als 300.000 Mark. Neben den klassischen Sammelgebieten wie Beat, Psychedelic oder New Wave geht der Trend derzeit in Richtung Obskuritäten. „Progressiver Rock aus exotischen Ländern wie Italien oder Spanien ist momentan sehr gesucht“, hat Reichold festgestellt. Alphataurus, Nascita Della Sfera und Ping Pong sind die Namen der Stunde. Für ihre Alben werden bis zu 700 Mark verlangt — und gezahlt! Verglichen mit echten Klassikern eine eher bescheidene Summe. So errechnete der „Oldie Markt“ für die Elvis-LP „Golden Boy“ ein mittleres Gebot von über 1700 Mark.

Normale Musik-Konsumenten, die selten mehr als 30 Mark für eine CD auf den Ladentisch legen, können bei solchen Summen nur den Kopf schütteln — ganz zu schweigen von den privilegierten Medienleuten wie etwa Fritz Egner, die von der Industrie „bemustert“ werden und so ihren Geldbeutel kaum strapazieren. Doch Sammler leben in einer ganz anderen Welt. Ihr Kosmos ist zweigeteilt: Er besteht aus Platten, die sie schon haben, und Platten, die sie noch brauchen. Preise sind dabei sekundär.

Doch auch die fanatischsten Sammler haben irgendwann einmal ganz klein angefangen und gängige Scheiben gekauft — mit Musik, die ihnen schlicht und einfach gefiel. „Ab ich 13 war, sah ich ein Konzert derRolling Stones“, erinnert sich beispielsweise Dieter Hoffmann. „Das hat mich so beeindruckt, daß ich fortan versuchte, alle ihre Platten zu kriegen.“ Bald befanden sich sämtliche regulär in Deutschland erhältlichen Alben in seinem Besitz.

Doch Hoffmann war längst vom Sammel-Virus infiziert. Er begann, weltweit nach Bootlegs und Promotion-Platten zu fahnden. Schließlich kaufte er gar viele Platten mehrfach, nur weil sie unterschiedliche Bestellnummern aufwiesen. „Jeder vernünftige Mensch müßte aufhören, wenn er alle Studioplatten und die 250 besten Bootlegs besitzt“, gibt Hoffmann unumwunden zu. „Aber für mich geht es um mehr als nur die Musik. Ich verstehe mich als Historiker.“

In der Tat hat der Beamte und Vater einer Tochter, die bezeichnenderweise Angie heißt, mehr geleistet als die meisten seiner Sammler-Kollegen. In jahrelanger, akribischer Feinarbeit sind mit dem „Schwarzbuch“ und dem „Weißbuch“ zwei Nachschlagewerke entstanden, deren Wert für Stones-Sammler unermeßlich ist. Zigtausend Platten aus aller Herren Länder hat Hoffinann darin erfaßt, beschrieben und bewertet. Ein Ende seiner Passion ist nicht abzusehen, denn mittlerweile arbeitet er an aktualisierten Neuauflagen seiner Bücher.

Jagger und Co. bestimmen auch das Leben von Michael Bruch. Knapp 1000 Tonträger der bösen Buben hat er in den letzten 15 Jahren angesammelt. Hinzu kommen bergeweise Souvenirs wie Poster, T-Shirts, Silbermünzen und ein Regal voller Aktenordner mit unzähligen Stones-Berichten. „Ich hab mir nie etwas anderes geleistet, sondern immer all mein Geld in die Sammlung gesteckt“, berichtet er.

Ausreichende finanzielle Mittel helfen Sammlern allerdings nur bedingt, um echte Raritäten dingfest zu machen. Es gehört auch eine ganze Menge Glück dazu, wie Bruch aus eigener Erfahrung weiß. Auf einer der circa 200 Plattenbörsen, die jährlich in Deutschland stattfinden, ent- ¿

deckte er einst das nur in 200er Auflage gepreßte „Promotional Album“ der Stones. „Mein Herz raste, ich war völlig sprachlos“, erinnert er sich. „Nie halte ich geglaubt, diese Plane zu finden. Sie war so unerreichbar wie ein Stern im Universum.“ Die geforderten 80 Mark, etwa ein Zehntel des tatsächlichen Wertes, legte er dem Händler wortlos auf den Tisch und eilte heim. Tagelang sprach er mit niemandem über seinen Fund. „Ich hatte einfach Angst, nur zu träumen.“

In der Tat befinden sich Plattensammler ständig zwischen Hoffen und Bangen. Wird das Auktions-Gebot reichen, um die heißersehnte Scheibe zu ersteigern? Hat die Suchanzeige endlich Erfolg? Findet sich auf diesem Eohmarkt etwas Brauchbares? Um Fragen dieser Art kreist ihr Leben. Woche für Woche und Jahr um Jahr.

Wer das Glück zwingen will, muß auf Reisen gehen. „Irgendwann halte ich es einfach satt, abzuwarten, ob die Platten, die ich suchte, den Weg nach Deutschland fanden“, erzählt Michael Depkat, Zahnarzt und fanatischer Soft Cell-Sammler. „Schon während meiner Studienzeit fuhr ich regelmäßig nach London und durchforstete die einschlägigen Läden nach Raritäten. „

Das nötige Kapital in Form von Tauschobjekten beschaffte er sich durch ausgedehnte Touren über deutsche Flohmärkte, wo er immer wieder Scheiben aufstöberte, die in England einen weit höheren Preis erzielten. Auch seinen größten Stolz, eine Soft Cell verliehene Goldene Schallplatte zum Preis von 1500 Mark, erwarb er auf tauschende Weise. Gleiches gilt für die zwei silbernen Schallplatten, die das Behandlungszimmer seiner Praxis schmücken. „Ohne England-Kontakte würde ich diesen Stücken noch immer hinterherlaufen“, ist sich Depka! sicher.

Eine Einschätzung, die Ralf Kemper teilt. Der Student hat sich mit Leib und Seele Soul-Singles aus den 60er und 70er Jahren verschrieben, die er größtenteils in England ordert. Eine Leidenschaft, der er vieles opfert.

„Meine Freundin meint, ich brauchte mal wieder eine neue Jeans“, erzählt er, „aber die kostet 150 Mark — und das Geld benötige ich ja für Platten. “ Auch am Essen spare er zuweilen, wenn die Lage dies erfordere. Schließlich müsse man sich oft sofort entscheiden, sonst schnappe sich die gesuchte Rarität ein anderer.

Daß die Musik dabei leicht zur Nebensache wird, gibt Kemper unumwunden zu. In einem Sammelgebiet, wo bereits 9000 Mark für eine einzige Single gezahlt wurden, ist die Bedeutung des Seltenheitswertes kaum zu überschätzen. Zwei britische Sammler zerstörten einst sogar die gesamte Auflage eines Titels, natürlich mit Ausnahme ihrer eigenen Exemplare, um so gezielt Ultra-Raritäten zu schaffen.

Folgt man Georg Fersenheims Gedanken, dann sind diese Fanatiker genetisch vorbelastet und nur bedingt

stars als sammler

Sag mir, welche Platten Du sammelst — ich sage Dir, welche Musik Du spielst Ein Blick in die Sammlung prominenter Musiker zeigt erstaunliche Parallelen zu ihrem eigenen Output.

Nothing but the Blues

Daß er mit Blues und Soul großgeworden ist, kann und will ROBERT PLANT auch heute nicht verheimlichen. Bo Diddley, Soloman Burke, Ben E. King. Buddy Guy, Jimmy Wltherspoon, Howlln‘ Wolf und John Lee Hooker waren nicht nur früher seine musikalische Grundnahrung, sondern sind auch heute noch elementarer Bestandteil seiner umfangreichen Sammlung. Ein signiertes Album von Gene Vincent ist „sein ganzer Stolz“. Plants Favoriten aus junge» ren Jahren: The Cure, Faith No More, This Mortal Coil und Sinead O’Connor: „Sie nimmt mich einfach gefangen.“

Song-Individualisten

Wäre nur eine Platte erlaubt, würde sie Gershwins „West Side Story“ mit auf die einsame Insel nehmen. Sollte das Handgepäck etwas großzügiger bemessen sein, stände TANITA TIKARAM vor der Qual der Wahl: Einige Van Morrtson-LPs (vor allem „Moondance“) böten sich an, diverse Alben von Joni Mitchell, Suzanne Vega, k.d.lang, Jennifer Wames und Leonard Cohen, „Rain Dogs“ von Tom

für ihre zerstörerischen Täten verantwortlich. „Man wird als Sammler geboren und bleibt es sein Leben lang“, ist er überzeugt. Zwar sei es möglich, über die Jahre das Sammelobjekt zu wechseln, doch loskommen Waits, „Graceland“ von Paul Simon. Von den Beatles wanderten „Revolver“ und „Help“ ins Gepäck („mit,Sgt. Pepper‘ konnte ich nie was anfangen“), eventuell auch eine Platte von Countrysänger Don Williams. Auf modernere Töne würde Tikaram völlig verzichten: „Mein Geschmack geht allenfalls bis zu den Sugarcubes.“

Iren unter sich

1 Als gelernter Musikjournalist ist ~ BOB GELDOF auch ein kompes tenter Archivar. Frühe Rock ’n* Rol£ ler stehen ebenso in seiner Sammlung wie ein Querschnitt durch die Schwarze Musik. Als geborener Ire schlägt sein Herz dennoch primär für Heimatklänge: Van Morrison und Them waren für ihn wichtige Einflüsse, ebenso Phil Lynnott und Thin Lizzy. Darüberhinaus hört Geldof eher irische Folklore denn amerikanische Rapper. Pop ist okay, HipHop hingegen nicht unbedingt sein bevorzugtes Bier.

könne man von seiner Leidenschaft nie mehr.

Fersenheim weiß, wovon er spricht. Seit seinem 13. Lebensjahr widmet er sich dem Aufbau einer umfangreichen Picture-Disc-Sammlung. Knapp 1000 Exemplare, darunter auch extrem seltene Picture-Schellacks aus den 30er Jahren, füllen gemeinsam mit unzähligen Comic-Figuren, seine Wohnung. „Wenn ich mal gefristet von der Arbeit nach Hause komme, brauche ich mich nur zehn Minuten mit meiner Sammlung zu beschäftigen und bin wieder bester Stimmung. “ Daß sich zwei Räume nur im gebückten Gang betreten lassen und daß er aus Platzgründen auf einem Klappbett schläft, stört ihn wenig. „Sammeln macht glücklich.“ Kleine Unannehmlichkeiten nehmen er und seine vielen Tausend Sammler-Kollegen da gern in Kauf.

In größeren Unannehmlichkeit befindet sich Radiomoderator Gerd Bischoff Monat für Monat. „Ich bin eigentlich ständig pleite“, bekennt er. Wie ihm geht es natürlich den meisten Sammlern, doch hat die Sache bei Bischoff einen besonderen Haken: Als Anhänger von Dancefloor-Klängen vergeht keine Woche ohne einen riesigen Stapel Neuerscheinungen, an denen er einfach nicht vorbei kann. Er muß alles haben und zwar sofort! Zwecks finanzieller Gesundung ein paar Monate auszusetzen oder gar die Sammlung aufzugeben, ist für ihn unvorstellbar. „Man kann ja auch nicht beschließen, mit dem Atmen aufzuhören“, bemüht er einen Vergleich, der seine Selbsteinschätzung als „Plattensüchtiger“ bildhaft untermauert.

Von einem Tag auf den anderen die oft jahrzehntelang angesammelten Schätze zu verkaufen, ist für alle Sammler eine apokalyptische Horrorvision. Schon der Gedanke, künftig nicht mehr voll fiebriger Erregung schmuddelige Plattenkisten durchwühlen oder lange Abende mit aufwendigen Katalogisierungen verbringen zu können, treibt ihnen kalten Schweiß auf die Stirn. „Nur über meine Leiche“, und ein knappes „Niemals!“ sind die meistgehörten Antworten auf die Frage nach eventuellen Verkaufsabsichten.

Für Stones-Fan Michael Bruch drängt sich da ein Vergleich mit der Drogensucht geradezu auf. “ Nur wenn du völlig von der Sammlerszene weg bist, hast du eine reelle Chance aufzuhören“, sieht er die Parallele. Selbst habe er den Absprung allerdings trotz Umzug in die Abgeschiedenheit der schwäbischen Alb nicht geschafft. Die Sammlung bestimme immer noch sein Leben. Unglücklich sei er darüber aber nicht. Jeder Mensch braucht doch eine Lebensaufgabe“, meint er, „meine ist es eben, Platten zu sammeln. „