Cat Stevens


Fünf Jahre ist es her, seit einer der erfolgreichsten Popsänger einen radikalen Schlußstrich zog. Er versteigerte seine Gitarren, konvertierte zum Islam und geht seither in der Arbeit für die mohammedanische Gemeinde von London völlig auf. Als erstem Journalisten gewährte Yousouf Islam, wie er heute heißt, ME/Sounds-Mitarbeiter Patrick Zerbib einen Einblick in sein neues Leben. Fotos allerdings durften bei dieser Gelegenheit nicht gemacht werden; sie stammen aus dem Video, mit dem Cat Stevens seinen moham- medanischen Schülern den Koran beibringt.

Cat Stevens legt eine Cassette in den Videorecorder. Auf dem Bildschirm erscheint der Titel „Führer durch die Moschee“. Die Kamera gleitet langsam an einem Minarett entlang, verweilt für einen Moment bei einer großen Kuppel aus Kupfer und fixiert die Fassade der großen Londoner Moschee. Ein Wunder moderner Architektur – finanziert durch Geld aus Kuwait.

Vor dem Aufgang steht Cat Stevens in einem blauen Djeballa und empfängt eine Gruppe von mohammedanischen Kindern, die – in Richtung Mekka betend – um die Moschee gehen und sich dann im Kreis um ihn herum setzen.

„Was bedeutet Allah?“ fragt der frühere Popstar. „Gott“, antworten die Kinder im Chor. „Und Hadj?“ „Pilgerung…“ Nach dem arabischen Kursus folgt die Einführung zum Gebet.

Insgesamt dauert die Cassette 20 Minuten, bestehend aus Pädagogik und proislamischer Propaganda. Produziert und moderiert von Cat Stevens, der sich seit seiner Bekehrung Yousouf Islam nennt.

Unter seinem Vollbart erscheint noch immer das Gesicht eines staunenden Jungen. Fast fünf Jahre ist es her, seit sich Stevens zum Islam bekannte. Ausgelöst durch das Heer pakistanischer Emigranten hat das Erwachen des Islams inzwischen England erreicht; mehr als zehntausend Briten sind bereits zu Mohammed konvertiert.

Die neuen Gläubigen wurden von Pakistanis aus Karachi und Lahore ausgebildet, wo die Schulen des Islams die rigorosesten und unerbittlichsten sind. Die Pakistani gehören zur Richtung der Sunniten, die sich von den iranischen Schiiten in religiöser Theorie und Praxis unterscheiden. Dennoch gibt es Verbindungen zwischen beiden Bewegungen. Pakistan beispielsweise ist die Wiege der „Brüder des Tablir“ – eine islamische Sekte, die vor drei Jahren bei einer Pilgerung nach Mekka ein Blutbad anrichtete und zur Revolution im Sinne Khomeinis aufrief.

War’s die Marotte eines überzüchteten Stars, die Cat Stevens zum aktiven Mitglied der islamischen Gemeinde werden ließ? Wenn man ihn in seiner Gemeinde umhergehen sieht, scheint es absolut ausgeschlossen, daß er je zu seinem früheren Lebensstil zurückfinden wird. Er ist Vorsitzender des „Islamischen Kreises“, der von ihm gegründet wurde – gleichzeitig noch Ehrenpräsident von rund 20 anderen Verbindungen. Bald wird jede Moschee in England den mohammedanischen Kindern ein Exemplar jenes Buches schenken, das Cat Stevens geschrieben und illustriert hat. Yousouf Islam betreut auch die Zeitung „Kameraden der Moschee“, das Blatt der Pfarrgemeinde, und hat die erste „Schule des Korans“ in England gegründet.

Es ist der gleiche Mann, der vor einem Jahrzehnt mit seiner sanften Stimme Kinder wie Eltern bezauberte – der gleiche, der Hits wie „Lady d’Arbanville“, „Wild World“ oder „Where Do The Children Play“ schrieb, wo er verzweifelt singt: „Es ist schön, Jumbo-Jets zu bauen; es ist schön, im Raumschiff zu reisen; aber sagt mir: Wo werden die Kinder spielen?“

In einer Phase, in der die Rockmusik von Protest und Gewalt geprägt war, breitete Cat Stevens seine Träume aus: ein poetischer Protest, ein Aufschrei, der die Liebe über Zerstörung setzt.

Plötzlich, mit 26 Jahren, bricht alles zusammen. 1975 sagt Cat Stevens: „Ich fühle mich wie ein Computer. Ich gehe ins Studio mit der gleichen Begeisterung wie ein müder Bankangestellter. “ Die Tourneen, die Sessions, die Anbiederung der Groupies – Cat Stevens kann einfach nicht mehr. Wie vor ihm schon Dylan oder die Beatles überfällt ihn ein metaphysisches Bedürfnis.

Zuerst ist es nur die mathematische Mystik: Auf einer Tournee durch Australien lernt er eine alte Frau kennen, die ihn in die Geheimnisse des Pythagoras und des Goldenen Schnittes einweiht.

Von diesem Sujet fasziniert, schreibt er das Album NUM-BERS, das prompt sein erster Mißerfolg wird. Das Publikum kann ihm einfach nicht folgen. Enttäuscht fährt Stevens nach Brasilien, wo er ein Jahr damit verbringt, Samba und die Sitten eingeborener Stämme zu studieren.

Er kommt zurück nach London und nimmt zwei weitere Alben auf. Zwei weitere Mißerfolge. Sein Manager und die Plattenfirma geben die Hoffnung langsam auf. Sie können nur noch beten, daß er seine Identitätskrise überwinden werde. Stevens selbst sagt: „Ich fühle mich wie ein Affe; ich springe von Ast zu Ast. „

Als er 1979 dann seine Bekehrung zum Islam verkündet, glaubt ihm niemand – außer seinen Eltern, denen er sich

noch immer verbunden fühlt. Doch selbst sie brecheri zunächst zusammen: „Für meine Mutter war es eine Katastrophe“, erinnert sich Stevens. „Inzwischen sagt sie am Telefon .Inch Allah‘ zu mir.“

Alle seine Freunde und Geschäftspartner hoffen, daß sich seine Entscheidung nur als vorübergehende Laune herausstellen wird. Doch eines Tages im Jahre 1981 läßt ein Auktionator bei „Southeby’s“ in London dreimal den Hammer fallen: “ Verkauft! Die Gitarre, auf der Cat Stevens .Lady d’Arbanville‘ komponiert hat. “ Einige anwesende Journalisten murmeln und schütteln den Kopf. „Und jetzt ein Satz von handgeschriebenen Partituren“, fährt der Auktionator fort…

Zur gleichen Zeit betet Cat Stevens wie jeden Tag in der großen Moschee von London. Er hat unwiderruflich bescnlossen, die Musik aufzugeben. Mehr noch: Einmal weist er einen Mohammedaner zurecht, der auf der Gitarre spielt: „Die Musik lenkt vom Glauben ab“, sagt er kategorisch. Sein Ziel ist es, in England dte Mohammedaner aller Nationen im Glauben zu einen. Und er verkündet dieses Ziel sogar in einem Augenblick, in dem die westliche Welt mit Besorgnis feststellt, daß Millionen von iranischen Schiiten bereit sind, die ganze Welt im Namen der Revolution auf den Kopf zu stellen. Allerdings haben sich die Londoner Mohammedaner eindeutig für Gewaltlosigkeit ausgesprochen; sie wollen allein durch die Lehre des Korans neue Mitglieder gewinnen.

Der Pädagogik fällt dabei eine besondere Rolle zu. Im Kreise um Yousouf Islam glaubt man, daß zuerst den Kindern der Emigranten die arabische Sprache nahegebracht werden muß. Und dieser Kampf hat bereits begonnen. Im Norden Englands als auch in London fordern die Mohammedaner Grundstücke und Gebäude:

„Die Katholiken, Protestanten und Israelis haben ihre Schulen, wieso wir nicht?“

Aber die Gemeindeverwaltungen leisten Widerstand, die Regierung sieht keine Veranlassung zum Eingreifen – und Cat Stevens beginnt zu verstehen, daß die Mohammedaner ihre Schulen selbst finanzieren müssen. In seinem Landhaus im Brondesbury Park bringt er die erste Schule unter und fliegt nach Kuwait, um dort für weitere Spenden zu bitten.

Heute besuchen etwa 15 Kinder seinen „Kindergarten des Korans“, der von der britischen Schulbehörde genehmigt wurde. Stevens allerdings plant für insgesamt 300 Schüler und will zudem noch weitere Schulen in der Provinz gründen.

Der einstige Popsänger hat seinen Lebenstraum erfüllt: in aller Anonymität ein Lehrer zu sein, umgeben von Kindern zwischen drei und fünf Jahren und so seine Botschaft in alle Welt verbreiten zu können. „In einigen Jahren“, sagt er, „wenn die Schulen der arabischen Länder mit Videorecordern ausgerüstet sind, wird man den Kindern mit meinen Videos den Koran lehren können.“

Wir besuchen sein Videostudio. Zwei neue Kameras, eine Bühne, ein Regiepult – eine komplette Femsehstation in Miniatur. Plötzlich schaut er auf seine. Uhr: „Ich verlasse euch. Die Stunde des Gebets ist gekommen. „

Ich bleibe mit einem Techniker allein im Studio zurück. Am Ende des Raumes befindet sich eine gepolsterte Tür. „Es ist der Zufluchtsort von Bruder Yousouf“, verrät mir der Techniker. „Sein Aufnahmestudio… Normalerweise darf es niemand betreten …“

Ich öffne vorsichtig die gepolsterte Tür. Auf der Bandmaschine liegt eine Cassetten-Hülle mit dem Titel: “ Yousouf Islam das islamische Alphabet“. Der Techniker schaltet das Gerät ein – und ich höre nach sechs Jahren wieder neue Lieder von Cat Stevens. Kein Zweifel: Hinter der gequälten Melodie und der orientalischen Percussion hat sich die Stimme von Cat Stevens nicht verändert. Und die Texte? „Erwache zum Islam, Allahs Religion.“ Die Mohammedaner selbst haben ihn darum gebeten, das Singen wiederaufzunehmen. Sie möchten Cassetten an ihre Kinder verteilen…

Cat Stevens scheint seinem Schicksal nicht entfliehen zu können. Er ließ sich überreden, dorthin zurückzukehren, von wo er geflohen war – zur Musik. Weder im Westen noch in der islamischen Welt kann er seinem Karma entkommen…