C’est Si le Bon – Duran Duran nach der Flaute


Er hatte sich einfach aus dem Staub gemacht! Nach zuviel Popstar-Stress setzte Simon Le Bon ein halbes Jahr seine Segel, um die Welt zu umschiffen. Ganze Heerscharen von Teenagern verzweifelten derweil an ihrer Lieblingsband, zumal Duran Duran obendrein auch noch Schlagzeuger Roger Taylor und Gitarrist Andy Taylor verloren. Aber kann sowas einen Seemann noch erschüttern? ME/SOUNDS-Maat Martin Brem ging bei Simon Le Bon unter Deck Eine Suite im Hotel Gravenbruch/Kempinski, Neu-Isenburg bei Frankfurt. Simon Le Bon bittet den Reporter, nur einen klitzekleinen Tropfen Milch in seine Tasse Darjeeling-Tee einzuschenken, denn „eigentlich darf ich heule ja gar nicht“. Ich bin zur Zeit auf Kombinations-Diät: Gewisse Dinge soll ich nur an gewissen Tagen zu mir nehmen. Damit meine Wampe schnell wieder verschwindet; mein Stuhlgang ist auch schon besser geworden. Aber wir wollen ja nicht über meine Scheiße reden, oder?“

Nicht unbedingt. Duran Duran sind wieder da. Jene perfekteste Pop-Band der Post-Punk-Ära, die nicht nur in den mit Postern tapezierten Kinderzimmern der Welt als unerreichbare Götter gefeiert werden, sondern auch von der sogenannten ernsthaften Kritik immer mehr Beifall für ihr phantasievolles Liedgut ernten können.

Im letzten Jahr ist viel passiert. Zuerst die Solo-Projekte Power Station und Arcadia, die beide zwar annehmbare Erfolge erzielten, doch sich gemessen an Duran Duran-Umsätzen als entsetzliche Flops ausnahmen. Dann der Abgang des Schlagzeugers Roger Taylor, der unter dem Pop-Star-Streß dermaßen litt, daß er immer krankhaftere Beklemmungszustände bekam. Schließlich Simons Boots-Unfall auf der „Fastnef-Regatta, der ihm beinah das Leben kostete, und das anschließende „Whitbread-Race“ rund um die Welt, das Simon zeitweise— sehr zum Leidwesen seiner Musikerkollegen— von der Popwelt völlig entfremdete. Die Band löste sich von ihrem Management (Paul & Michael Berrow), um fortan geschäftliche Belange in Eigenregie zu regeln. Und Gitarrist Andy Taylor verabschiedete sich zu allem Überdruß auch noch.

„Wir haben eine verdammt harte Zeit hinter uns“, sagt Simon, „aber laß es dir im Einzelnen erzählen…“

DIE MANAGER

„Mein Gott, wie wir hätten abräumen können! Am Ende unseres letzten Tour-Jahres (1984) hätten wir in all den Riesenstadien in Amerika spielen können, Shea Stadium, Anaheim… aber Paul & Michael Berrow hatten die fixe Idee, Filmregisseure zu werden. Anstelle einer Fortsetzung unseres Triumphzuges fabrizierten wir dann diesen halbdokumentarischen .Arena‘-Film. Da haben wir alle das Vertrauen in unser Management verloren.“

Nachdem der Vertrag ohnehin auslief, beschloß die Band, fortan sich selbst zu managen.

„Niemand hat uns je gesagt, wie wir Musik machen sollen, niemand hat uns je gesagt, was wir anziehen sollen; das einzige, was man uns sagte, bestand darin, welche Fernseh- und Radioshows wir nicht auslassen durften. Wir brauchen einfach keinen Medienmanipulator wie Paul Morley, der uns irgendwas auf unsere Plattencover schreibt, damit’s möglichst clever aussieht.

Was das Business angeht, kannst du alles delegieren. Du sagst deinem Rechtsanwalt: „Holden besten Deal raus“, und damit hat sich’s. Die kreative Kontrolle hatten wir immer schon. Jetzt sind wir auch noch für die geschäftliche Seite verantwortlich.

Was eine Menge Arbeit bedeutet — jeden Tag Meetings mit Buchhaltern, Merchandising-Leuten, Anwälten, etc.— letztlich aber dir die gesamte Kontrolle gibt. Wann immer du einen Fehler machst, kannst du niemandem mehr die Schuld geben.“

ROGER, DER ABTRÜNNIGE

„Als Roger Taylor, der Schlagzeuger, seinen Entschluß bekanntgab, nicht mehr das stressige Leben eines Popstars mitspielen zu wollen, traf uns das wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Wir traten einen Schritt zurück und betrachteten zum ersten Mal einigermaßen objektiv unsere gesamte Situation. Da war also definitiv was falschgelaufen. Roger hatte nie einen Nervenzusammenbruch, aber er entwickelte eine krankhafte Furcht, von Leuten unter Druck gesetzt zu werden; von Reportern, Fotografen, auch vom Publikum …es wurde ihm kurz gesagt einfach ,too much‘. „

ANDY, DER BÖSEWICHT

Andy Taylor, der Gitarrist, benutzte — so Simon — die Sache mit Roger als Entschuldigung, um selbst das Weite zu suchen. „Plötzlich war ihm Duran egal, und er sah die Chance, endlich das zu werden, was er immer schon sein wollte: der Gitarren-Held in der Mitte der Bühne! Er sonderte sich auch musikalisch immer mehr ab. Seine Vorlieben galten bald nur mehr diesem typischen LA-Westcoast-Rock. Er wollte endlich diese Van Halen-Soli spielen. Und dafür gab’s und wird’s keinen Platz geben bei Duran.

Wir hatten eine Pause für die Band ausgemacht. Ich begann mit Nick Arcadia, Andy und John gründeten Powerstation. Und ich verabschiedete mich irgendwann auf mein Boot, was — nebenbei bemerkt — für vieles verantwortlich gemacht wurde. Wir wollten aber danach wieder zusammen C’est Si le Bon

kommen, um ein neues Duran-Album in Angriff zu nehmen.“

Als Simon von seinem Bootsabenteuer zurückkam, flog er sofort nach Paris weiter, wo sich die verbleibenden vier Musiker treffen sollten, um im Maison Rouge-Studio an der neuen LP zu arbeiten. Nick und John waren da, nur von Andy keine Spur. Auch in seiner neuen Heimat Kalifornien war er nicht zu erreichen. Simon: „Nach einer Woche halte ich seine Sekretärin, seinen Manager, seinen Bodyguard zweimal, sogar seine Putzfrau dreimal am Telefon, aber keinen Andy. „

Nachdem die Arbeit in Paris schon fortgeschritten war, man langsam aber sicher daran ging, Songs fertigzustellen, hörte man gerüchteweise, daß Andy sich in England aufhielt. „Ich wollte ihn unbedingt erreichen, denn damals war es für mich einfach unlogisch, ohne Andy eine Duran Duran-LP aufzunehmen. Also klemmte ich mich hinters Telefon, um alle möglichen Anlaufstellen des Herrn Taylors zu kontaktieren. Und irgendwann abends hatte ich ihn dran. Er wußte überhaupt nicht, was er sagen sollte. Ich sagte, ich komme morgen nach London, wir treffen uns in deinem Haus und sprechen die ganze Angelegenheit durch.“

SIMON, DER SCHLICHTER

„Am nächsten Tag setzte ich mich ins Flugzeug und kam mir vor wie Rambo: Auf nach England, Andy von den bösen Mächten befreien!

Und dann saßen wir also zusammen. Er erzählte, daß er Angst habe, die Band könne ohne Roger nicht mehr die alte Klasse erreichen. Außerdem würden die Querelen mit dem Management ja ewig dauern, und die Plattenfirma würde uns sicher auch keinen guten Deal mehr geben.

Ich sagte, spinnst du ? Duran Duran haben drei Jahre keine Platte mehr gemacht; Powerstalion und Arcadia verkauften nur mäßig. Was erwartest du? Glaubst du, die behandeln uns jetzt wie John Lennon, wiederauferstanden aus dem Grab ? Es wurde eine ziemlich intensive Auseinandersetzung. Wir schrien uns an. Und schließlich meinte er, okay, in der ersten August-Woche habe ich wieder Zeit für euch. Ich sagte, das ist zu spät, wir haben Juni — und einige Songs sind schon fertig. Das hier ist Duran Duran, da kannst du nicht irgendwann aufkreuzen und einfach nur deine Gitarren-Parts ablassen. Und er: „Nun, mein Soloalbum dauert länger als ich dachte.“

Doch bis August wollten und konnten die verbliebenen Drei nicht warten. Man holte sich Nile Rodgers, der neben der Produzententätigkeit auch die Gitarren-Parts übernehmen sollte. Und während John Taylor und Nick Rhodes sich mit dem Abgang des Gitarristen schon abgefunden hatten, gab Simon immer noch nicht auf. „Ich rief Andy am 1. August an, er sagte, er käme nächste Woche. Nächste Woche wieder das selbe Spiel: No show!

Als dann die ersten Briefe seiner Anwälte eintrudelten, in denen die Wahnsinnigen forderten, daß wir den Namen Duran Duran nicht mehr weiterwrwenden, hab’s auch ich dann langsam geglaubt.“

ANDY, DER HEIMKEHRER

Doch nun kommt der Hammer. EMI, die Plattenfirma Duran Durans, hat einen Vertrag mit MCA Records, der Plattenfirma, die Andys Soloaktivitäten in Rillen preßt. Andy war — als Duran-Mitglied — mit Haut und Haaren an die EMI gebunden; als er dann mit MCA abschloß, mußte MCA eine Abfindung in Form einer Lizenzbeteiligung an die EMI zahlen.

Nun verfaßte die EMI einen Brief an Andy, in dem man von ihm verlangte, an dem Duran-Album mitzuarbeiten, damit die Rechte an den Lizenzanteilen seiner Solokarriere nicht verloren gingen. Denn nur solange Andy Mitglied bei Duran Duran sei, könne er auch ein „Solo“-Album produzieren …

Schließlich tanzte er tatsächlich eines Tages an, um mitzuspielen. „Wir sagten, vergiß es, das Album ist fertig. Doch er hatte bis zu diesem Zeitpunkt seinen Vertrag noch nicht gekündigt, also hatte er auch ein Recht, auf dieser Platte dabeizusein.

Es kam zu einem neuen Meeting an einem neutralen Ort, wo wir feststellen mußten, daß wir uns mittlerweile kilometerweit auseinandergelebt hatten. Allein schon wie er aussah, mit seinen Haaren, den Fetzenklamotien, den Sonnenbrillen, seinem zerfurchteten Gesicht… er paßte schon lange nicht mehr zu uns.

Trotzdem mußten wir irgendwo Platz auf der bereits fertiggestellten Platte machen, damit er alibihalber ein paar Riffs spielen konnte. Ist das nicht pervers?“

Hört man das neue Album NOTORIOUS, dann fällt es einem schwer, die Gruselgeschichten über die Entstehungsgeschichte zu glauben. Die Band klingt frisch, frei und fröhlich, reduziert auf die elementaren Dinge, als da sind Schlagzeug, Baß, Gitarre, Keyboards, Stimme; keine verspielten Overdubs mehr. Das schillernde Brimborium früherer Platten ist einem zielstrebigen Beat gewichen. Und Simon hat singen gelernt, daß einem die Ohren wackeln. Man könnte sagen, die besten Duran Duran. die es je gab.

„Freut mich, daß du diesen Satz noch vor mir ausgesprochen hast. Das Schöne an den ganzen Streitereien war, daß die Musik von der Business-Kacke nicht berührt wurde. Im Gegenteil: fast schien es, als würden wir nach den täglichen Meetings mit unseren Rechtsanwälten — wir mußten ja schließlich dieselben Kanonen auffahren — völlig

aufgeladen ins Studio gehen. Da spielten wir uns den Frust von der Seele. „

SIMON, DER SEEMANN

Die große Leidenschaft des Simon Le Bon ist 13 Meter lang und heißt „Drum“. Eine hochseetüchtige Segelyacht, mit der Simon als Mitglied der Crew den 2. Platz der letztjährigen Whitebread-Regatta, einem Wettsegeln rund um die Welt, erzielen konnte. Es ist aber auch eine Leidenschaft, die Leiden schafft: Bei einem Vorbereitungs-Rennen zu der Weltumsegelung kenterte die „Drum“ nach einem technischen Defekt in der irischen See. „Ich war wirklich nahe dran zu krepieren. Und ich hörte noch Monate danach im Traum die Schreie eines Kollegen, der nach dem Kentern in seiner Koje eingesperrt war. Sowas vergißt du nie! Aber ich mußte darüber hinwegkommen — und seltsamerweise habe ich danach noch mehr Enthusiasmusßrs Segeln entwickelt.“

Doch während des Rennens passierten noch andere Dinge, die nicht unbedingt gute Laune aufkommen ließen. Simons frischangetraute Ehefrau, das Calvin Klein-Model Yasmin Parvenah, hatte nach einigen Wochen Schwangerschaft eine Fehlgeburt. Taktlos wie die britische Geier-Presse nun mal ist, dichtete man dem in Neuseeland weilenden Simon auch noch gleich eine Fremdgänger-Affäre an. „lchfiihlte mich plötzlich gar nicht mehr wohl in meiner Haut. Da hatte ich eine Frau geheiratet, um mich ein paar Wochen danach ans andere Ende der Welt zu verabschieden und sie mit all den Problemen alleinzulassen. Ich konnte aber auch nicht mehr zurück. Fazit: Ich hab‘ nur mehr gefressen, und ging förmlich auf wie ein Ballon!“

SIMON, DER POPSTAR

„Während des Rennens habe ich festgestellt, daß ein kleiner Teil in mir immer Popstar sein will. Ich weiß, das klingt jetzt sehr herablassend, aber ich kann nicht so sein wie normale Menschen. Wenn ich an Bord meine Arbeit getan hatte und mich in meine Koje zurückzog, dann ließ ich den Vorhang runter, holte mein Tagebuch raus, schrieb Texte, spielte Musik und versetzte mich wieder in mein Popstar-Leben. Ich versuchte mich soviel wie möglich abzugrenzen, versuchte beispielsweise immer darauf zu achten, daß meine Matrosen-Mützen gut gestylt sind. Und während die Besatzung sich in Bücher wie .Rückkehr der Ninja‘ stürzte, hatte ich meinen Gabriel Garcia Marquez dabei. Nicht daß ich mit den Jungs nicht auskommen würde, aber ich war immer der Popstar, und ich kann und will dem nicht entfliehen, weil ich es verdammt noch mal sehr genieße.“

SIMON, DER ÄSTHET

Simon Le Bon, der Ex-Student, der 1976 direkt von den Theaterwissenschaften in eine Punk-Band wechselte, schätzt heute die gewaltige Pracht eines Gustav Klimt, der in den letzten Jahren Mittelpunkt eines wahren Kunst-Booms geworden war. Wien um die Jahrhundertwende wurde plötzlich zum Ausstellungshit von Tokio bis zum Museum of Modern Art, New York. „Scheiße! Vor vier Jahren wollte ich mir einige Klimts kaufen. Die kosteten seinerzeit um die 100000 Pfund. Dummerweise hatte ich damals nicht genug Kohle dafür. Weißt du, was die heute kosten ? Bis zu zwei Millionen Pfund!“

Den zweiten großen Vertreter aus dieser Epoche, Egon Schiele, mag Simon nicht so gern. Vielleicht auch kein Wunder, zeigt doch Schiele den Menschen teilweise auf erniedrigende Weise.

„Wenn ich mir dieses Bild ansehe, wo dieser Mann im Grätschschritt hockt, ihm zwischen den Beinen der Schwanz runterhängt… er läßt dieses menschliche Geschöpf wie ein Stück Schweinefleisch aussehen!“

Vielleicht ist er nur ehrlicher als der schillernde Klimt?

Ja, aber das macht mir Angst …“ Er bewundert die Töpferkunst eines Bernhard Leach. „Es ist einfach phantastisch, was der macht. Und ich freunde mich immer mehr mit dem Gedanken an, irgendwann in einer Hütte in den Bergen mich ganz allein mit Lehm zu befassen. Etwas mit meinen eigenen Händen zu formen. Vielleicht werde ich auch malen. „

Was sich aber nur schwer mit seinem so groß angesprochenen Pop-Star-Ego vereinbaren ließe?

„Mi, irgendwann muß man ja auch in Würde altern …“

EPILOG

„Duran Duran gehen durch die wahrscheinlich schwierigste Phase ihrer Laufbahn. Sechs Jahre ist es her, da waren wir grüne Jungs. Nun sind wir selbständige, sagen wir .erwachsene‘ Menschen, teilweise verheiratet. Eines kann man uns, glaube ich, zu Gute halten: Wir haben nie Schrott produziert, unsere Musik war nie Wegwerf-Produkt.

Trotzdem, vor fünf Jahren hättest du mit mir nie so reden können wie in der vergangenen Stunde. Ich habe dazugelernt. Was ich am Leben liebe, ist die Tatsache, daß mein Kopf immer mehr verstehen lernt. Ich kann heute besser artikulieren, was ich denke. Und ich mag mich deshalb selber besser leiden als früher. „

Simon, der Parade-Yuppie. Würde es ihn nicht geben, die 80er-Jahre hätten ihn schon erfunden. Er ist überzeugter Hedonist, Selbstverliebter und Egozentriker sowieso. Und er ist so gnadenlos sympathisch.