Charlotte Hatherley sucht sich solo weitaus größere Herausforderung en. David Bowie gratuliert schon mal.


Charlotte Hatherley ist ganz schön müde. Der Nachmittag am Ende des Aprils brutzelt vor sich hin wie im Hochsommer, und vorhin saß sie noch mit ihren Promotern im Auto von Berlin nach Köln – und das steckte in der prallen Sonne im Stau. Sie hat wenig geschlafen, denn gestern Abend spielte sie in Berlin ein Akustikkonzert, nach einem langen, verkaterten Interviewtag. Vorgestern ist sie in London in eine neue Wohnung gezogen, und die Party mit den neuen Mitbewohnern dauerte lang.

Hatherleys zweites Album The Deep Blue ist in England bereits erschienen, jetzt stehen die Promotiontermine im Rest von Europa an. Hm, geht’s dir denn gut, Charlotte? „Oh, ja“, antwortet sie lächelnd, die Erschöpfung ist plötzlich komplett aus ihrem Gesicht verschwunden, „es ist schön, wieder unterwegs zu sein, auch wenn es noch ungewohnt ist, dass ich jetzt allein im Mittelpunkt stehe“. Charlotte Hatherley war neun Jahre lang Gitarristin bei Ash. Im August 2004 veröffentlichte sie ihr erstes Soloalbum Grey Will Fade, das von den Kritikern viel gelobt wurde und eindrucksvoll zeigte, dass sie eine eigenwillige, gute Songwriterin und ernst zu nehmende Solokünstlerin ist, die auch weit über ausgetretene Ash-Pop-Punk-Pfade hinaus überzeugen kann.

Dennoch: Charlotte betonte damals, dass dieses Album nur ein Nebenprojekt sei und sie von ganzem Herzen Ash-Gitarristin. Deswegen kam die Nachricht von ihrem Ausstieg bei Ash im Januar 2006 doch relativ überraschend. „Grey Will Fade war tatsächlich nur ein Projekt neben Ash“, betont sie. „Doch dann merkte ich, dass ich nicht glücklich damit war, immer wieder ‚Girl From Mars‘ und ‚Kungfu‘ zu spielen. Es gibt noch so viele Sachen, die ich machen möchte, bevor ich 30 werde, und ich wusste, das würde mit Ash nicht funktionieren.“ Also verließ sie die Band, mit der sie gespielt hatte, seit sie 18 war, und stürzte sich in ihre Solokarriere.

In Australien und San Francisco schrieb sie die Songs für ihr zweites Album, in einem kleinen Studio in Norditalien nahm sie es auf, und weil ihr ein „romantisches Independent-Ideal der Musikindustrie“ vorschwebte, gründete sie mit Little Sister Records gleich auch noch ihr eigenes Label. „Wenn ich zu viel darüber nachgedacht hätte, was ich da gerade tue und wie viel Arbeit ein Label machen kann, hätte ich Angst bekommen und es sein gelassen, aber ich habe mich selbst so sehr beschäftigt, dass ich gar nicht zum Nachdenken gekommen bin.“

Doch jetzt, wo etwas Zeit ist vermisst du Ash manchmal? Sie überlegt. „Ja. Manchmal. Obwohl es auch hart sein konnte. Wenn du die einzige Frau bist, benimmst du dich entweder übertrieben feminin, oder du redest, als hättest du einen Perus – so habe ich das gemacht.“ Diese Zeiten sind vorbei, in ihrer neuen Live-Band spielen zwei Frauen.

Im Gegensatz zu Grey Will Fade braucht die neue Platte mehr Aufmerksamkeit, braucht sie, um sich zu entfalten. Es geht um Fragen wie „Wer bin ich, was mache ich, was will ich und was passiert hier eigentlich? Mein Songwriting ist ehrgeiziger geworden, und ich glaube, das Album ist ein Grower. Es braucht Zeit, bis man es versteht.“ Die 27-Jährige experimentiert mit Streichern, Keyboards, Bläsern, Samples und fährt ungeheuer verschachtelte Arrangements auf- ihre Vorlieben für Kate Bush und David Bowie will und kann sie nicht verbergen.

Bowie ließ dann auch prompt verlauten, er möge Charlottes Album sehr und es sei richtig gewesen, dass sie Ash verlassen hat. Wie ist das: von Bowie gelobt werden? „Großartig! Er ist mein großes Idol“, sagt sie strahlend. „Mein Manager wollte sofort Kontakt zu ihm aufnehmen für ein Duett oder so was. Das will ich aber nicht. David Bowie ist mein musikalischer Held – und das soll er auch einfach bleiben.“ www.charlottehatherley.com