Chris Isaak – Only the lonely


Als neuer Roy Orbison wird er gefeiert, als Troubadour der zelebrierten Einsamkeit. Doch hinter der gepflegten Tristesse verbirgt sich alles andere als ein "beautiful loser". ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake traf einen Mann, der eigentlich eher auf Bob Hope als auf James Dean steht.

Next Big Thing—das ist sein Markenzeichen, seit 1985 sein Debütalbum SILVERTONE herauskam. Heute kann es sich Chris Isaak leisten, ein etwas blasiertes Resümee zu ziehen, schließlich ist aus der Voraussage endlich Wirklichkeit geworden.

„So wie ich es sehe“, sagt er, lässig auf ein Sofa hingelümmelt (verständlich, dies ist sein zwölftes Interview an diesem Tag), „garantiert mir ein Hit ein paar Jahre Arbeit. Jetzt kann mich die Plattenfirma nicht mehr einfach feuern. Und das heißt, ich kann der Band vielleicht ein bißchen mehr zahlen. Das wäre nett. (Gähnt) Aber ich will auch nicht, daß jetzt jeder wn mir erwartet, ich würde die Hits nur so aus dem Ärmel schütteln. Hey Kenney, hast du Lust, was zu spielen? OK, Musik Express läuft das Band? Wir liefern euch jetzt ein Gratis-Bootleg.“

Isaak begibt sich in die Vertikale, fährt noch einmal mit der Hand über die makellose Tolle und greift sich die für eine Foto-Session ausgeliehene akustische Gibson. Schlagzeuger Kenney Dale Johnson holt ein Tambourin und zwei Besen aus einem Plastikbeutel, und die beiden machen sich mit viel Finger-Picking und schrillen Harmonien über Jt Hurts Me So“ her. Das Ganze klingt nach Hillbilly und Stroh im Haar und ist meilenweit entfernt von dem eleganten und betörenden Sound der vollendet produzierten Isaak-Werke … so wie „Wicked Game“, der Titel seiner Hit-Single und seit kurzem auch eines eiligst zusammengestellten Isaak-Samplers.

Nach fünf Jahren Hinterbänkler Daseins landete Isaak plötzlich den großen Wurf, als „Wicked Game“ in den Soundtrack zu David Lynchs Film „Wild At Heart“ eingebaut wurde. Die Single-Auskoppelung schoß weltweit in die Hitparaden, etwas ärgerlich für Isaaks Plattenfirma WEA, die die Soundtrack-Rechte an die Tochterfirma Teldec überlassen hatte. Aber nun, da auch das übrige CEuvre des 34jährigen Sängers weggeht wie warme Semmeln, sind wieder alle glücklich — nur Isaak wurde eigentlich lieher in San Francisco an seinem neuen Album weiterarbeiten statt die Promo-Runde zu drehen und in jedem Interview für alte Kamellen zu werben.

„Eine ganz schön merkwürdige Geschichte, aber das hat es alles schon mal gegeben. Denk nur an Bill Halexs ,Rock Around The Clock‘, das wurde erst nach über einem Jahr ein Hit, und zwar durch welchen Film?“

Ah … The Blackboard Jungk. 1955, glaube ich.

„Sehr gut. Aber aufgenommen hatte er es schon 1954. Und wer war der Star in Blackboard Jungk?“

Moment mal, wer stellt hier eigentlich die Fragen?

„Ich sag’s dir — Vic Morrow. Und jetzt kommt der Clou. Ich war auch schon mal bei einem Film mit Vic Morrow dabei. Meine erste Filmrolle, als ich in den 71km in Japan studierte. Der Film hieß .Message From Space‘.“ Er lacht leise vor sich hin. „Ich war einer der Außerirdischen. Einer von sehr vielen Außerirdischen. Aber die Kamera war genau auf mich gerichtet. „

Ist doch klar. Die Kamera liebt ihn. er ist eben ein fotogener Junge. Ein wenig James Dean, ein wenig junger Chet Baker, eine Prise früher Elvis… aber mit ein bißchen mehr gesundem Junge-von-nebenan-Appeal. Es verwundert nicht, daß plötzlich auch „Bravo“ ein Auge auf ihn geworfen hat. Genausowenig wie die Tatsache, daß In-Fotograf und Filmemacher Bruce Weber Isaak und Chet Baker in „Let’s Get Lost“ zusammenbrachte, seinem voyeuristischen Streifen über den Jazz-Trompeter. Schaut her, ein so junger und schöner Mann kann sich in sowas verwandeln: die Kamera schwenkt weg von Chris und zeigt Bakers zerstörtes, zahnloses Gesicht, den stumpfen Blick eines Junkies.

„Der Film hat mich traurig gemacht“, stimmt Isaak zu. „Als ich Chet traf, war er auf Methadon, und er sagte ungefähr alle andenhalb Tage einen Satz. Aber er war nett zu mir. Und ich habe nie jemanden gehört, der besser Trompete spielt. „

Diese Kombination aus Schönheit und tragischem Lebenswandel scheint eines der Dinge zu sein, von denen das Publikum nie genug bekommen kann. Tot verkauft sich Baker besser als je zuvor. „Yeah. Das James-Dean-Syndrom. Mich interessiert’s eigentlich mehr, wenn die Geschichte andersherum verläuft. Bob Hope ist für mich eher ein Held als James Dean. SO Jahre alt, aber immer noch fit auf der Bühne. Sowas imponiert mir.“

Wer angesichts seiner trübsinnigen, seelenschürfenden Songs annimmt, Isaak sei ein besonders grüblerischer oder einsamer Mensch, ist auf dem Holzweg. Ein Journalist fragte ihn vor kurzem, ob seine Songs autobiografisch seien. „Nein“, sagte Isaak, „ich bezahle einen Typ, der für mich leidet. “ Darauf angesprochen, schnaubt er verächtlich. „Ich will deine Zunft ja nicht schlechtmachen, aber man stellt mir schon bescheuerte Fragen, das kann ich dir sagen. Heule hat sich einer erkundigt, was passieren würde, wenn mich die Hits so glücklich machen, daß ich keine traurigen üe¿

der mehr schreiben kann, Was, bitteschön, soll mein auf so eine Frage antworten?“

Isaaks Beobachtungsvermögen, das sich in seinen Texten spiegelt, hat indirekt, wie er zugibt, viel mit seinem Literaturstudium zu tun. Er hat sogar Examen gemacht. „Damals hatte ich nicht den Eindruck, besonders viel zu lernen. Ich lag vor allem in der Sonne und schaute Mädchen nach. Aber ein bißchen was ist doch hängengeblieben. „Er beendete das Studium in Japan und meint, auch von der japanischen Literatur geprägt worden zu sein.

„Sag deinen Lesern, sie sollen sich .Botchan‘ von Satsuine Soseki besorgen“, sagt er in einem plötzlichen Ausbruch von Enthusiasmus. .Ein unglaublich komisches Buch. Ein Klassiker. Der Mark Twain des Femen Ostens.“

Isaaks Songs, ebenso sorgfältig durchgestylt wie sein Fünfziger-Jahre-Image, sind Genre-Studien. Eine Art Rock Noire, Roy Orbison mit einem Schuß Raymond Chandler. Nach Mittemacht scheint immer am meisten los zu sein. Besteht nicht die Gefahr, daß die äußerst sparsamen Arrangements, mii dieser an Sun-Records-Aufnahmen aus den 50em erinnernden, in Hall ertrinkenden Näsel-Gitarre. auf die Dauer ein wenig berechenbar werden?

„Wahrscheinlich“, nickt Isaak. „Es kann gut sein, daß ich irgendwann das Gefühl haben werde, diese spezifische Form ausgereizt zu haben. Aber ich sehe das nicht als eine Gefahr, mit der ich nicht fertigwerden könnte. Ich bin kein Scheuklappen-Mensch. Ich mag viele verschiedene Richtungen. Folk, zum Beispiel. Country and Western. Spanische und hawaiianische Mitsik. Ich mag Dee-Lite, Depeche Mode. Connie Francis. Louis Prima. Ich steh auf alte Bigband-Sachen mit richtig klassischem Gesang — Sinatra, Dean Martin, Bing Crosby. Ich liebe dieses Zeug. Wenn ich mich lange genug in diesem Bereich getummelt habe, lege ich mir vielleicht einen Haufen Bläser zu. Das würde mich dann woanders hinbringen, ein paar neue Ideen zürnten. Da bin ich ganz sicher. Willst du noch ’n Song hören .'“