CLASH


Zwischen „London s Burning“ und „London Calling“ liegt eine Epoche. Die Clash haben sie überlebt. Sie strampelten sich frei aus dem Netz modischer Anarcho-Parolen und bekennen sich nun mutig zur Tradition der Rock k n Roll-Kultur. Trotzdem blieb ihren Songs der Ausdruck von Wut, Qual und Angst erhalten. „Rock’n Roll is an arena in which you recreate yourself Richard Hell „He’s in love with rock’n roll, he’s in love with getting stoned“. – Janie Jones/The Clash O Oktober 1976. Die Clash geben ihren vierten Auftritt. In Leighton Buzzard. Das Freizeit-Zentrum, wo sie im Vorprogramm der Rockets spielen, wirkt wie ein großes Wohnzimmer – was der Verrücktheit von Joe (Strummer), Mick (Jones) und Paul (Simonon) noch mehr Ausdruck gibt. Die springen, rennen und stolpern immer rechtzeitig zur schneüer-als-Licht-Musik. Joe macht rüde Sprüche ins Mikro, fällt nach hinten ins Schlagzeug und hat kaum Luft für die Verse. Ihr neues P.A. sorgt dafür, daß die meisten Texte untergehen – aber das ist unwichtig! Weil du trotzdem mitkriegst, was sie meinen/wollen. Sie klingen wie eine Billion Hammerschläge, die Wellblech verprügeln. Ein Alt-Hippie bemerkt nach dem Gig, daß sie gut tanzen, daß sie fürLeute ohne Grips sind, daß man über eine solche Gruppe nicht intellektualisieren kann. Er redet weiter, zehn Minuten lang. Das war ein Sonnabend. Am Sonntag sehe ich in den Lansdowne Studios die Sex Pistols. Die nehmen ihre erste Single auf. Sie arbeiten am Rhythmus-Track zu „Anarchy In The UK“. Die Jungens sind ziemlich lustlos. Malcolm McLaren nimmt eine Dose Rasierschaum und sprüht ANARCHY an die Trennscheibe, um sie zu inspirieren. Februar 1980. Die Sex Pistols existieren nur noch im Comic oder als Zahl in der Buchhaltung ihrer Plattenfirma. Die Clash sind auf England-Tournee und geben mehrere Konzerte in London, mit zwei US-Tourneen und drei LPs im Rücken. Sie stolpern nicht mehr. Sie rennen und springen nicht mehr, in Wohnzimmern – sondern in sitzlosen, mittelgroßen Hallen — und Joe hat genügend Luft, um die Texte zu singen. Und ihr musikalisches Repertoire ist breiter als je zuvor. Mick Jones: „Die Clash wollten immer weiterspielen. Und gute Musik spielen, das ist, wie den Leuten ein gutes Buch zu empfehlen. That’s it!“ Und die Clash sind eine gute Rock’n Roll Band geworden, wie sie es auch immer sein wollten. Die Clash (Joe/Gitarre, Gesang; Mick/Gitarre, Gesang; Paul/Baß; Topper Headon/ Schlagzeug) öffnen die Ohren der Fans und zeigen, daß der Rock’n Roll Geschichte hat. Auf der letzten US-Tour traten im Clash-Programm Bo Diddley, Sam + Dave und der Country-Texaner Joe Ely auf. Die Verbreiterung des Clash-Spektrums schlägt sich nieder in ihren neuen Songs. Die Clash benutzen Traditionen, Black Music, Vergangenheit und Gegenwart, Tamla, Jazz, Blues, Rockabilly, weil sie sich weiterentwickelt haben. Weil sie Respekt vor der Geschichte der Rock’n Roll-Kultur haben. Die schrillen, aggressiven Attacken ihrer frühen Konzerte und ihrer ersten LP, der röhrende Ausbruch und die rhetorischen Statements entwickelten sie zu einem zielbewußten, vielfältigen Rock’n Roll Repertoire. Die Clash sind kräftiger geworden. In ihren Texten tauchen mehr Themen auf (Sex, Depression, städtische Psychosen, mehr Psychosen), ohne aber in ein Joeyliebt-Jenny-TTa-a-te zu verfallen. Und ohne, was die Musik betrifft, in einen sinnlosen Instrumenten-Trip zu verfallen. Nein. Sowohl das LONDON CALLING-Werk als auch ihr Konzert gehen weit unter und über das obligatorische c’monlez-boog-ee 7 Die Clash Live — das ist (auch heute) nichts für empfindsame Gemüter. Gemeinsam ist den Clash-Songs, den alten und den neuen: sie schäumen vor Wut, Qual und Angst. ,,Let fury have the hour, anger can be power, d’you know that you can use it?“ ,Working For The Clampdown’/Clash. Die Clash haben ihre Unzufriedenheit nicht verloren. Und sie reagieren auf Umweltereignisse und auf eigene Erfahrungen mit ihrer Musik. Im Gegensatz zu ihren frühen Stücken, die mehr emotionsgeladene Slogans waren, schildern/formidieren die Clash heute persönlicher, konkreter. Das Konzert der vier Clash-Leute (Blockhead-und Ex-Animal Micky Gallagher an den Keyboards fällt mit seinem Ton kaum ins Gewicht) ist wild/wiitend/und immer reibend, aufwärtsstrebend. Der verwischte Sound der frühen Clash ist einem klaren/durchdringenden Sound gewichen (auch auf der LP LONDON CALLING dank der Produktion von Guy Stevens, der übrigens schon 1976 die Clash in ihrer Garage traf und das „White Riot“-Demo-Band für sie produzierte). Live 1980 vor dem Bild einer kippenden Industrie-Atommeiler-Anlage (Harrisburg Calling) und in kaltem Grün-Blau-Weiß-Licht. spielen die Clash Songs von allen drei Alben. Und einige Singles. Paul tauscht seinen Baß mit Joes Gitarre und singt sein „Guns Of Brixton“. Und Mick Jones singt sein „Stay Free“ und „Lost In The Supermarket“. Als Zugabe bringen die Clash „London’s Burning“ und eine ausgedehnte Version ihres Reggae „Armagideon Time“ mit Mickey Dread und Joe abwechselnd am Mikro. Mick rennt und springt wie immer, spielt seine Gitarre in einer Box-Nische. Ein klassischer Rock’n Roller. Die Nacht zuvor sprang Iggy Pop ins Konzert, angezogen durch die „London Calling“-Melodie und Micks Gitarrenspiel. Also paßt gut auf, Clash! Ihr wißt, daß sich Herr Osterberg gern mit ex-Leuten umgibt, ex-Sex Pistols, ex-Damned; ex-Clash?? Dieser Reggae „Armagideon Time“ ist der beste, den je eine weiße Gruppe aufgenommen hat. Der erste Teil, ,.Justice Tonight“, ist düster und melancholisch, der zweite, „Kick It Over“, ist gelockerter, schwingender. Beide Versionen zeigen die Tiefe des Verständnisses der Clash für den Jamaika-Rhythmus, zeigen, wie man mit moderner Technik downon-the-street Empfindungen direkt ausdrücken kann. Ein schreiender, fühlender, in die Tiefe gehender Abschluß! (Diese beiden Dub-Versionen gibt’s auf der 12inch Platte LON-DON CALLING, das Beste, was die Clash je ins schwarze Vinyl gepreßt haben!) Die danach-Atmosphäre, hinter der Bühne, hat sich nicht geändert. Gegenüber’76. Keine Star-Allüren. Keine Distanz zu den Freunden. Die Räume sind voll von Qualm/Dunst und Schweiß. Eine Mischung aus Dope-Biergeruch hängt in der Luft. Joe Ely, der mit seinen Cowboys im Vorprogramm auftrat, läuft herum. Kinder, schwarze und weiße, tummeln sich. Erwachsene, schwarze und weiße, Freunde, trinken/ rauchen/reden/laufen zusammen. Kommune-Feeling. Joe (Strummer) unterhält sich mit zwei Clash-Fans aus Schottland, die ihn fragen, ob er den einen Riff von „Johnny B. Goode“ übernommen hat — Joe sagt ja. Und genau darin sind die Clash so überzeugend! In der Beziehung zum Publikum, in dem Praktizieren (statt Predigen) eines veränderten sozialen Verhaltens gegenüber der eigenen Umgebung, in dem Umsetzen der Ideen ins unmittelbare Handeln (das Publikum respektieren, die Wand zwischen Künstler und Zuschauer abreißen) — darin liegt die wichtige Bedeutung der Clash. Jenseits der Musik. Und zu all den Vorwürfen, dem Geschwätz über die Authentizität der Clash-Mitglieder – nach dem Motto: Joe hat eine bürgerliche Mittelstandserziehung und singt proletarische Texte, also sind sie nichts wert, weil unecht! — sage ich: egal, wo sie herkommen, die Rock’n Roller, wichtig ist, daß ihre Musik überzeugend ist! Und Joe sagt: „Es hängt nicht davon ab, wo du herkommst, sondern wo du gewesen bist, was du erlebt hast! Wenn du auf deinen eigenen Beinen gestanden hast, dann ist deine Herkunft egal, weil du gelernt hast; weil du’s mußtest, um zu überleben. „White Riot“ habe ich geschrieben, indem ich unaufhörlich in meinem Kopf durch die Straßen gerannt bin. . .“ ,,This year I ve lost some friends. Some friends? What friends?“ ,Hateful’/The Clash Einige Tage später sehe ich in West-Berlin „Großbritanniens offiziellen Beitrag“ zu den Filmfestspielen 1980: „Rüde Boy“, den Film von Jack Hazan/David Mingay. In dem es auch um die Clash geht. Die auch Darsteller sind. Die auch ihre Musik spielen, 50 Minuten lang (Gesamtlänge des Films: 133 Min.). „Rüde Boy“ ist ein Dokumentarfilm, gemixt mit einer Handlung, entstanden in der Zeit zwischen 78-79. Faszinierend an diesem Werk ist für mich: mit wieviel Fähigkeit/ Verständnis die Kamera bei den Clash-Gigs die Emotionen und den gefühlvollen Einsatz der Gruppe einfängt/vermittelt – meistens sogar noch besser, als ein Clash-Song auf Platte! Und ein weiterer, atmosphärischer Höhepunkt: Joe und Mick im Studio, die Ohren mit Kopfhörer abgedichtet (über die — für den Zuschauer kaum/ nicht hörbar — die backing tracks laufen), singen beide ganz allein, ohne Begleitung. Dadurch erscheinen sie so menschlich/verletzbar/betroffen. Der Film zeigt auch – für mich — Vergangenes. Als die Clash noch mit eindrucksvoller, naiver Symbolik beschäftigt waren: RAF- und Rote Brigarde-Zeichen, Militarismus-Spiel, Gewehr-Fetischismus (die Zeit ihres zweiten Albums GIVE ‚EM ENOUGH ROPE. Diese vagen, romantisierenden Versuche, auf die Umwelt, auf das Law & Order der Thatcher-Rechts-Welt zu reagieren, ließen bei vielen Fans den Eindruck aufkommen, die Clash seien eine politische Gruppe (eine politische Kraft). Es gibt bei den Ciash, auch heute, sicherlich eine Kluft zwischen übertriebener Romantik und einer beabsichtigten Direktheit (Ohr+Fuß auf der Straße) der Empfindungen in ihren Songs. Doch die Clash haben sich niemals als politische Band verstanden, und sind es auch nicht. In der Politik sind die Quellen ihres Aufstands zu suchen, jedoch nicht in den Programmen von Links-Parteien/Gruppen, sondern im Inneren/in der Unzufriedenheit. Politik? Das sind für die Clash-Musiker die Politiker und die Parteien, egal ob rechts oder links. Und viele nahmen die Clash-Grafiti („White Riot“, „Career Opportunities“) mit zuviel Ernst, während Joe und Mick in ihrem Zimmer über die Texte lachten; die Clash sind noch lange nicht das, was du in deinem Kopf aus ihnen machen willst! Genauso engstirnig ist es, wenn die Clash-Fans der ersten Stunde heute von ausverkauft und turning rebellion into money reden, weil sie die Hemden gewechselt haben, Cowboy-Stiefel tragen, oder weil sie ihr musikalisches Spektrum erweitert haben (und nicht die erste LP neu geschrieben haben, was ja ohnehin andere tun, die UK Subs z. B.). Ich erinnere mich an die Verwirrung, die EX1LE ON MAIN STREET bei den Stones-Fans auslöste, erst später erkannte man die zentrale Bedeutung des Albums. Und Amerika hat die Clash nicht geblendet! „/ don’t like politics. .“ The Ramones. Wenn du den Rock’n Roll nicht magst, magst du die Clash nicht. Und alles andere liegt bei dir. Harald in Hülsen