Conor Oberst über Kontrolle


...und Kontrollverlust: Der Bright-Eyes-Chef über sein Solo-Album, seine Ängste sowie spirituelle und fürchterliche Erfahrungen auf Und abseits der Bühne.

Berlin, Freitagnachmittag, Ende Juni. Conor Oberst ist in der Stadt, um über seine neue Platte conor oberst zu sprechen. Er hat wieder kürzere Haare und eine gesunde Hautfarbe (was nicht immer so war – eine Kollegin deprimiert ihn mit der Frage, warum er beim letzten Besuch in Deutschland weißes Make-up getragen habe). Er wirkt ausgeglichen. Wie ein Mann, der sein Leben unter Kontrolle hat. Auch das war nicht immer so. Hast du als Künstler Kontrolle darüber, wie deine Band Bright Eyes wahrgenommen wird?

Ein bisschen vielleicht. Aber man kann ja nie kontrollieren, was die Menschen denken. Das ist das Schöne an Musik und Kunst: Jeder hat das Recht auf seine eigene Interpretation. Menschen finden meistens das, was sie gerade brauchen. Sie beschäftigen sich mit Kunst, weil sie irgendetwas suchen, und das finden sie dann auch. Ob das der Künstler beabsichtigt hat oder nicht.

Hast du das schon immer so entspannt gesehen? Will man als Künstler gar nicht kontrollieren, wie die eigene Arbeit aufgenommen wird?

Früher hat mich auf jeden Fall mehr geärgert, wenn Leute nicht verstanden haben, um was es mir ging. Aber wenn man ein bisschen Erfahrung hat, steckt man das leichter weg – man lernt, dass niemand je verstehen wird, was man wirklich meint. Und wenn, ist es Zufall. Bei mir ist das ja auch so: Wenn man einen Song hört, verbindet er sich sofort mit deinen Erinnerungen, deinem Weltbild, deinem Gemütszustand. So kann ein Song auf unendlich viele Weisen gehört werden. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich meine Sicht durchdrücken wollte. Und manchmal wird das Ergebnis ja sogar besser in der individuellen Sicht eines Menschen.

Donny Osmond hat in einem Artikel über Miley Cyrus im TIME Magazine geschrieben, dass es „so gut wie unmöglich [ist], dich gegen dein Image zu wehren, dein Image zu akzeptieren, es zu benutzen oder es zu lieben“. Hat man wirklich keinerlei Kontrolle über die öffentliche Wahrnehmung der eigenen Person?

(überlegt lange) Ich schätze, man kann all das versuchen, wird aber letztendlich scheitern. Es gibt natürlich viele Leute, die sich ein Bein dabei ausreißen, sich auf die eine oder andere Art zu präsentieren ob das aber bei den Leuten so ankommt, wie du dir das vorstellst, darüber hast du keine Kontrolle.

Dein neues Album heißt conor oberst und ist ein Soloalbum. Wolltest du dich frei uon dem Bright-Eyes-Image machen?

Naja, nicht so bewusst. Aber die letzte Platte war zu gleichen Teilen von mir, von Mike Mogis und Nate Walcott – das sind für mich die Mitglieder von Bright Eyes. Wir hatten versucht, eine Platte zu machen, mit der jeder in gleichem Maße glücklich ist. Mir gefällt das Ergebnis schon, aber es hat jetzt auch gut getan, mit weniger Zutaten kochen zu können. Ich hatte das Bedürfnis nach Schlichtheit. In diesem Sinne war es schon ein Versuch, sich von Bright Eyes zu lösen. Nicht vom Sound, aber einfach von der Erfahrung der letzten Platte – die Arbeit war stressig und langwierig, mit vielen Musikern in verschiedenen Studios. Ich wollte einfach wieder Spaß an der Arbeit haben.

Hat das geklappt?

Absolut. Es hat so viel Spaß gemacht wie noch nie. Es war so entspannt. Wenn ich der bin, der Kontrolle über den Terminplan hat, dann hat alles ganz viel Zeit. Man kann jederzeit Pause machen, (lacht)

Wie stark kontrollierst du, was genau deine Mitmusiker beitragen?

Ich arbeite nur mit Leuten, zu denen ich großes Vertrauen habe. Mit Freunden, deren kreative Arbeit ich schätze. Da wäre es unklug, ihnen im Detail alles vorzuschreiben: Meistens haben sie eine Idee, die besser ist als meine. Aber wenn mir irgendwas nicht gefällt, dann sag ich das auch einfach – wir sind ja Freunde, da ist niemand beleidigt.

Du hast für ein Konzert letzten September mit dem Los Angeles Philharmonie Orchestra zusammengearbeitet. Orchestermusiker sind viel mehr Kontrolle gewohnt. War das eine Umstellung?

Das war, ehrlich gesagt, nicht die beste Erfahrung. Ich hab mich gefreut, dass Nate in den Genuss kam, seine Orchesterarrangements von einem der besten Ensembles der Welt zu hören, aber… Diese Programmreihe, in der Rockbands mit dem Orchester spielen, hilft ihnen dabei, Tickets zu verkaufen und jüngeren Leuten klassische Musik näher zu bringen. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass sich die Musiker im Orchester dafür interessiert haben. Ich fand sie unverschämt bei den Proben. Wir sind da mit großem Ernst angetreten, wollten diese Erfahrung ganz bewusst erleben, die aber haben ihre Zeit abgesessen. Das ist keine Energie, die ich auf der Bühne haben will.

Ist es möglich, auf der Bühne Kontrollverlust zu erleben? Oh ja. (lacht) Fürchterlich. Wobei – es kommt darauf an, warum man die Kontrolle verliert. Mir ist auch schon passiert, dass ich so in den Moment und den Song eingetaucht bin, dass ich vergessen habe, wo ich bin. Ich hab aber auch die Kontrolle verloren, weil ich zu fucked up war, um noch zu funktionieren. Und bei technischen Problemen – wenn gar nichts mehr geht und du nichts tun kannst. Die letzten beiden Erfahrungen sind ein Albtraum. Die erste dagegen klingt fast wie ein spirituelles Erlebnis-Absolut. Das ist natürlich das Ziel, aber ich hab es nicht oft auf der Bühne erlebt. Meistens lenkt einen irgendetwas ab. Aber wenn alles stimmt und man sich wirklich in der Musik verlieren kann, dann passieren die besten Konzerte – für das Publikum, aber auch für den Künstler.

Hast du privat totalen Kontrollverlust erlebt?

Ja.

Auf gute oder schlechte Weise?

Auf schlechte. Mir ging es in meinem Leben immer wieder mal körperlich sehr schlecht, wenn auch nie sehr lange. Ich konnte nichts machen und musste mich komplett anderen Menschen anvertrauen: Fuckin‘ help me! Entweder das, oder wenn ich gedacht habe, dass mir im Verstand alle Kontrolle entgleitet. Angst. Panik. Ich hatte das in einem Maße, dass es zum unerträglichsten Gefühl überhaupt wurde.

Ich hatte nur eine Panikattacke, 2005, ausgerechnet zwei Tage nach unserem letzten Gespräch in Omaha. Wenn du fünf Minuten lang denkst, dass du stirbst, ist das eine sehr demütigende Erfahrung. Schrecklich, aber auch schrecklich interessant.

Ja, absolut – wenn du das einmal erlebst und mit Abstand darauf zurückblicken kannst. Aber wenn sowas immer wieder kommt, dann wird es lähmend.

Was kann man trotzdem aus solchen Situationen lernen? Dass absolute Kontrolle eine Illusion ist?

Jeder weiß, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben. Man macht sich sonst was vor – es passieren dauernd Sachen, die wir nicht beeinflussen können. Das macht mir nicht so viel Angst wie die Vorstellung, die Kontrolle über meinen Verstand oder meinen Körper zu verlieren. Das kommt bei mir gleich nach der Angst vor dem Tod: die Angst, wahnsinnig zu werden.

Warum solltest du den Verstand verlieren?

Ein Onkel von mir ist schizophren, und ein paar meiner Freunde, die in meinem Alter sind, haben Schizophrenie entwickelt. Solche Fälle gibt es bei mir in der Familie. Das passiert Anfang 20. Zwischen 21 und 24 oder so hab ich oft gedacht, verdammt, vielleicht bin ich echt verrückt? Aber es hat sich herausgestellt, dass das nur normale Anfälle von Spinnerei waren, so wie sie bei jedem mal vorkommen. Wenn Menschen wirklich die Kontrolle über den Verstand verlieren, ist das sehr traurig. Das Hirn meiner Großmutter lässt gerade massiv nach, das finde ich total beängstigend … www.conoroberst.com

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