Cranberries


„Nein“, wehrt Cranberries-Frontfrau Dolores O’Riordan energisch ab, „an dem Gerücht, ich würde mich von meiner Band trennen, ist nichts dran. Ein Schauermärchen. Das sind arme Leute, die so was in die Welt setzen. Menschen, die Aufmerksamkeit erregen wollen. Deshalb setzen sie Gerüchte in die Welt, wollen dir irgendwie ans Bein pinkeln. Die Wahrheit ist: In der Band ist die Stimmung klasse. Wir sind total zusammengeschweißt.“ Deutliche Worte, doch der ME/Sounds-Reporter stößt noch einmal nach: Dolores denke also nicht über eine Solokarriere nach? „Ich bin mit der jetzigen Situation ziemlich zufrieden. Dementsprechend gibt es für mich auch keinen Grund, etwas zu verändern.“ Das freut die Fans. Auch jene, die heute Abend in die ehrwürdige Albert Hall gekommen sind. Das Haus ist ausverkauft. Natürlich, denn selbst im trendbewußten England kann sich kaum einer den schrammelnden Gitarren der Cranberries entziehen – was nicht ohne Folgen bleibt. Waren die Iren noch vor Monaten eine Formation, die in vergleichsweise kleinen Clubs auftrat und dabei auf jeglichen Firlefanz verzichtete, so strebt man nun nach Höherem. Da stehen neben den vier Cranberries neuerdings auch drei Geiger und ein Cellist auf der Bühne. In Anzug und Krawatte setzt man sich züchtig auf die bereitstehenden Stühle und gibt ‚Ode To My Family‘, ‚Linger‘, ‚Empty‘, ‚Dreaming My Dream‘ und ‚Zombie‘ als gediegene Kammerpop-Nummern. ‚Linger‘ entfaltet dabei sein volles Schmalzpotential. Was zur Folge hat, daß ungezählte frisch verliebte Pärchen auch den Rest des Publikums dazu animieren, die Halle mit Hilfe von Feuerzeugen in ein Lichtermeer zu verwandeln.

Derweil kreischt Dolores zum ersten Mal an diesem Abend ihr markerschütternd lehrerinnenhaftes ’sing it‘ in die glückselige Runde. Dann endlich, nach ‚Zombie‘, verlassen die Streicher die Bühne, und Dolores fragt drohend: „Are you ready to rock?“ Doch auch, als die ersehnte Verheißung wahr zu werden scheint, bleibt der Abend eher flach. Songs, die früher, also im patschigen Independent Sound, ausgesprochen charmant wirkten, geraten im neuen, perfekten Klanggewand erschreckend nah an den Rand der Platitüde. Gegen Ende der Show gerät selbige sogar zum hohlen Pathos. Da öffnet sich ein gewaltiger Vorhang und gibt den Blick frei auf die gigantische Orgel der Albert Hall. Vom Donnern des beeindruckenden Instruments begleitet, stimmt Dolores ‚No Need To Argue‘ an. Wie auch den Rest den Abends wirken die übrigen Cranberries, die Gebrüder Noel (git) und Mike Hogan (b) sowie Drummer Feargal Lawler, wie angemietete Musiker für eine Studiosession. Was Wunder also, daß allen Dementis zum Trotz die Gerüchte über einen künftigen Alleingang von Dolores oder über einen generellen Split der Band nicht verstummen möchten. Zusätzliche Nahrung erhalten sie dadurch, daß Gitarrist Noel neuerdings in Interviews angibt, er könne sich ein Leben abseits der Cranberries durchaus vorstellen. Doch Dolores bleibt dabei: Die Band fühle sich besser denn je, und an personelle Veränderungen sei nicht zu denken. „Es wird eine Menge Blödsinn erzählt. Das wissen wir. Und deshalb halten wir noch mehr zusammen.“ Und daß immer nur von ihr die Rede ist, stört die anderen nicht? „Sie akzeptieren“, denkt Dolores, „daß der Frau die meiste Aufmerksamkeit zuteil wird.“