Cursive – Köln. Prime Club


Große Rockmusik bei Notbeleuchtung: Omaha ist im Haus.

Eigentlich war die c/o-Pop, Kölns freundliche, überschaubare Nachfolgemesse zur gen Berlin entfleuchten PopKomm, an diesem verkaterten Sonntagabend schon vorbei. Viele Kollegen hatten es schon gar nicht mehr vor die Tür geschafft, und etliche der Anwesenden rangen tapfer um Durchblutung. Sie sollten belohnt werden, denn nachdem es fünf Tage lang allenfalls Anständiges zu sehen gegeben hatte, setzten Cursive im solide gefüllten Prime Club einen späten Glanzpunkt.

Pünktlich um halb zehn betritt Sänger und Songschreiber Tim Kasher. ein schmächtiger, ernster Mann in seinen frühen Dreißigern, mit einer Flasche Rotwein in der Hand die Bühne. Ein obligatorisches Requisit, könnte man meinen, schließlich ist auch Conor Oberst, Kashers ungleich berühmterer Saddle-Creek-Labelkollege, nie ohne Rotwein auf der Bühne zu sehen. Kasher jedoch wird die Flasche in den folgenden rund 60 Minuten kein einziges Mal anrühren. Die Band richtet sich kurz ein, Kasher nickt knapp über die Zuschauerköpfe hinweg gen Mischpult, dann geht es unvermittelt los. Mit „Rise Up“ vom neuen Album happy hollow wirft sich die vierköpfige Band, verstärkt um drei Bläser und eine Cetlistin, in ein rauschhaftes, dabei jedoch jederzeit präzise gespieltes Set. Cursive spielen einen mal enorm drückenden, dann wieder leichtfüfiig funkigen Prog-Rock, der auch vor Southern-Boogie- und Metal-Einflüssen keine Angst kennt. Der letztlich aber – Tim Ashers Songwriting sei Dank – immer wieder beim Pop ankommt. Alle Anspannung, die diese Musik auf Platte ausmacht, löst sich live auf; Cursive brauchen nur wenige Minuten auf der Bühne, um zu zeigen, welchen Weg eine amerikanische Post-Punk-Band aus der Emo-Sackgasse nehmen kann. Die ersten drei Songs gehen mehr oder weniger nahtlos ineinander über. „Art Is Hard“ vom großen Album the ugly organ sorgt für erste Euphorie. Ein Songtitel, dem die Musik eigentlich so gar nicht entsprechen will. Denn es scheint an diesem Abend, als sei es gerade dies, was Cursive so besonders macht: die Leichtigkeit, mit der sie schwere Musik spielen. Vertrackte Songs, die immer wieder in Löcher fallen, den Rhythmus und das Tempo wechseln und mit Lärm und Dissonanz arbeiten, dabei aber nie erschlagen. Bass und Schlagzeug pumpen wie ein Muskel, die beiden Gitarren kratzen im einen, singen im nächsten Moment; die Bläser geben dem Ganzen den nötigen Horizont, das Cello stützt die Schwere. Beim vierten Song fällt das Bühnenlicht aus. Die Band steht im Dunkeln. Eine nicht unwillkommene Panne: Für ein paar Minuten ist man allein mit dieser fordernden, raumgreifenden Musik. Dann geht die Notbeleuchtung an. Tim Kasher mutmaßt kurz, die Clubbetreiber hätten das Licht abgeschaltet, weil man dem Publikum den Anblick dieser tourstrapazierten Gestalten nicht länger zumuten wolle. Oder sei das Publikum etwa nicht vorzeigbar? Nein, alle sehen gut aus an diesem Abend. Kasher lächelt, aus dem Publikum strahlt es, und man stellt ein wenig verwundert fest, dass der Anteil der weiblichen Zuschauer heute hier locker 60 Prozent beträgt. Von hieran also: große Rockmusik bei Notbeleuchtung.

Das kurze Set setzt sich weitestgehend aus Songs der letzten beiden Platten, THE ugly ORGAN und happy hollow, zusammen – beides Themenplatten, die Kasher als einen der größten Songtexter seiner Generation ausweisen. Zwar ist dies kein Konzert, bei dem man tatsächlich den Texten lauschen würde, doch wenn der schmächtige Kasher Sätze wie „dreams are tornodoes“ singt, kann man diese nicht überhören. Oft verliert sich der kleine Mann mit dem Zwölftagebart in entfesseltem Gebrüll. Mindestens genau so oft schält seine übergeschnappte, manisch-depressive Stimme Hymnen aus dem Lärm. Nach einer Zugabe ist Schluss. der Saal tobt. Gitarrist Ted Stevens trinkt Tim Kashers Wein aus. Eine Frau steht auf der PA-Box, zerreißt einen Flyer zu kleinen Papierschnipseln und lässt diese auf den strahlenden Sänger herabrieseln. Wenn es schon keine Lichtshow gibt.