darf’s etwas mehr sein?


Von den Erlösen seiner Platten konnte sich der Wahl-Schweizer jede Menge Anzüge kaufen. Netterweise revanchiert er sich jetzt mit dem neuen Doppel-Album DONT EXPLAIN. Verbraucherfreundlich: 18 Songs aus feinem Rock-Garn ohne Aufpreis. ME/Sounds-Mitarbeiter Peter Jebsen machte die Stoff-Probe.

Ich habe nichts gegen die Bezeichnung Chamäleon. Das ist mir immer noch lieber, als dass mich die Leute für einen Stümper halten.“ Palmer hat heute die Spendier-Hosen an — auf Drängen seiner Plattenfirma gibt er bei einem Abstecher nach London im exklusiven St. James’s Club zwischen einem wichtigen „Dinner Date“ sogar ein paar Interviews. Sogar zu einem Witzchen ist er aufgelegt: „Chamäleon ist okay, obwohl das Wort komische Assoziationen in mir weckt — als ob ich schuppige Haut hätte. Und ich will mir gar nicht ausmalen, wie das aussähe, wenn ich als Reptil über eine Pepsi-Dose krieche!“

Als Robert Palmer merkt, dass er im Moment mit einem deutschen Journalisten spricht, erkundigt er sich sofort nach dem werten Befinden von Kraftwerk und D.A.F.. Schließlich will er — Chamäleon hin und her — keine musikalischen Scheuklappen haben: „Früher hatte ich selbst einige Zweifel, was meinen Enthusiasmus für so viele verschiedene Musikrichtungen anbetrifft. Bei meinen Konzerten entdeckte ich jedoch, dass die Zuhörer überhaupt nichts dagegen hatten, wenn ich total unterschiedliche Songs in einer Show brachte. Das Publikum ist viel intelligenter, als die Künstler oder Plattenfirmen immer glauben.“

Angespornt von den Konzerterfahrungen fuhr der WahlSchweizer bei der Vorbereitung von seinem neuen Album DONT EX-PLAIN denn auch einen verbraucherfreundlichen Kurs: „Diesmal wollte ich auch solche Songs veröffentlichen, die völlig unkommerziell sind und die nie im Radio gespielt würden. Ich habe sie auf meiner Platte am Ende untergebracht und berechne dafür niemandem irgendetwas extra. Wem’s nicht gefällt, der kann ja vorher abschalten!“

Um seine Plattenfirma davon zu überzeugen, dass Vinyl-Käufer nicht in den Genuss der Zusatz-Songs kommen sollen, musste er den Geschäftsmann mimen: „Ich hab ihnen vorgerechnet, dass Vinyl-Pressungen nur noch zehn Prozent des weltweiten Marktes ausmachen“, doziert Palmer, der „endlich einmal die zeitlichen Möglichkeilen von CDs und Musikcassette ausnutzen wollte“. Der 41 jährige Allround-Macher hatte seine Firmenmanager dabei noch nicht einmal fragen müssen, denn er hat es inzwischen geschafft, „dass ich volle Kontrolle über meine Platten habe. Ich gebe sie bei der Plattenfirma ab und sage: „Das ist es; macht damit, was Ihr könnt!'“

Ursprünglich sollte DON’T EX-PLAIN sogar eine reine Jazz-LP werden. 12 Songs hatte Robert Palmer schon mit dem 65jährigen Jazz-Veteranen Teo Macero eingespielt, als er sich einer noch älteren Idee entsann, Cover-Versionen der unterschiedlichsten Stilrichtungen auf einer LP zu vereinen. Die Jazz-Titel, die es nicht bis auf die LP schafften, will Palmer zumindest in einem geplanten einstündigen Film ¬Titel ebenfalls „Don’t Explain“ — – vorstellen.

Das Covern von Billie-Holiday- und Nat-King-Cole-Songs war für Robert Palmer auch eine Art Rückkehr zu den eigenen musikalischen Wurzeln. In seiner Kindheit, die er auf der Mittelmeer-Insel! Malta verbracht hatte, war er Stammhörer des dortigen amerikanischen Soldatensenders. „So sehr ich diese Musik liebte — in der Pubertät musste ich dagegen rebellieren, weil es die Musik meiner Eltern war. Ich musste also etwas Neues finden: und das einzige, was es damals in England gab, waren Cliff Richard und die Skiffle-Musik — womit ich nach meiner Billie-Holiday-Diät nichts anfangen konnte. Dann hörte ich plötzlich Otis Redding und Wilson Picken, und das war mein persönlicher Rock ‚«‘ Roll. Mit 16 sang ich dann selbst Soul“, erinnert sich Palmer, der es immer noch nicht verstehen kann, dass er zu Beginn der Karriere von manchen Kritikern für seine stark black-music-lastige Song-Auswahl kritisiert wurde: „Ich halte nie etwas anderes gesungen!“

Als alter Traditionalist vermisst Robert Palmer in der aktuellen Musikszene die Kunst des Songschreibens. „Die Melodie begann wahrscheinlich mit dem Aufkommen der Punk-Musik zu verschwinden, die einst zur Bekämpfung von Disco gestartet worden war. Dass die Melodie heute zweitrangig ist, hat zu einem großen Teil auch ökonomische Gründe. Man kann heute im Studio elektronisch — ohne Musiker — einen kompletten Track fabrizieren und dann vielleicht einen Rapper dazu nehmen. Mit Songs hat das alles nichts mehr zu tun. Überhaupt ist mir die Laufbahn eines Musikers im Moment viel zu sehr mit der eines Bankers verwandt“, zieht Palmer über die durchgestylte, imageverliebte 90er-Jahre-Szene her. “ Um ehrlich zu sein — ich weiß nicht, warum sich heutzutage überhaupt noch irgendjemand mit Musik beschäftigen will, denn was hat man da noch groß zu tun? Du heuerst einen Rechtsanwalt und einen Friseur an und lernst den G-Akkord, und dann kannst Du loslegen …“… indem Du ein Foto fürs Album-Cover aufnimmst und dann die dazu passende Musik einspielst. „Genau! — Aber ich will nicht zu grausam sein, denn es tauchen doch immer wieder fantastische Dinge an der Oberfläche auf. Ich finde, es ist heutzutage nur sehr viel schwerer als früher, gute Platten zu finden, weil sich so viel minderwertiges Produkt auf dem Markt tummelt — und es ist immer so viel Hype dabei! Ich meine, kennst du irgendjemanden persönlich, der sich eine Bruce-Springsteen-Platte gekauft hat? Ich nicht!“

Die Rettung naht laut Robert Palmer vor allem in Form von Wiederveröffentlichungen auf CD. „Da werden unglaubliche Dinge wieder herausgebracht, zum Beispiel Joao Gilbertos neue CD mit 30 Songs — sie ist perfekt! Oder THE VERY THOUCHT OF YOU von Nal King Cole — das ist eine CD, die absolut unentbehrlich ist. Auf der anderen Seite gibt es … Madonna“; wobei Robert Palmer ihren Namen lautlos mit den Lippen formt, um seine Kritik nicht auf dem mitlaufenden Tonband zu verewigen. „Eigentlich ist es sinnlos, auf irgendjemandem herumzuhacken. Aber manche Leute scheuen wirklich keine Mühe, um sich selbst lächerlich zu machen.“

Nun gut ¬ aber in Image-Sachen versteht der ehemalige Power Station-Sänger sein Handwerk ebenfalls perfekt. Oder was sollen sonst all die tollen, schnieken Anzüge, die er immer trägt?

„Quatsch, ich trage schöne Anzüge, seitdem ich sie mir leisten konnte! Ich mag handwerkliches Können, Eleganz und Glamour; aber unglücklicherweise sind das heutzutage fast schon Schimpfwörter. Was soll ich tun … Nimm‘ mal an, ich gehe mit ein paar Leuten zum Essen in einen Club, natürlich ordentlich angezogen. Und wenn ich danach auf der Bühne stehe, soll ich etwa in Jeans und T-Shirt schlüpfen, nur um irgendeine absonderliche Vorstellung von Rock W Roll zu erfüllen? Ich begreife das nicht.“