Das „Howl“-Momentum: Black Rebel Motorcycle Club über Integrität & Überleben
Robert Levon Been und Peter Hayes über das wegweisende Album, emotionale Tiefe und das Überleben gegen alle Widerstände
Es gibt Alben, die sich tief in das eigene Bewusstsein eingraben und auch nach vielen Jahren immer noch in der Lage sind, die damit verbundenen Gefühlszustände zu intensivieren oder emotional zu zerpflücken. Alben, die weit über ihre ursprüngliche Vermarktungsphase hinweg eine andauernde Relevanz schaffen und fortwährende Wirkung erzielen. „Howl“, das dritte Album von Black Rebel Motorcycle Club, feierte diesen Sommer sein 20-jähriges Jubiläum und zählt zweifelsohne zu eben jenen musikhistorischen Meilensteinen in der Bandgeschichte.
Und das, obwohl alle Zeichen rund um die Entstehung eher auf Dunkelrot standen: hochgezogene Augenbrauen beim Label, eine stilistische 360-Grad-Abkehr vom gefeierten Rock’n’Roll-Charakter der ersten beiden Alben und dann auch noch der Weggang von Nick Jago am Schlagzeug. Statt an dieser beschwerlichen Phase zu zerbrechen, blieb die Band rund um Robert Levon Been und Peter Hayes ihren musikalischen Werten treu und behauptete sich gegen Industriestandards, Zweifler und eine Verkettung von Ausnahmezuständen.
Allein das wäre schon reichlich Anlass zum Feiern gewesen. Fans in Europa können sich dieser Tage obendrein über eine ausgedehnte „Howl 20th Anniversary Tour“ freuen. Ende Februar 2026 erscheint zudem das „Howl 20th Anniversary Boxset“ inkl. drei LPs und einem exklusiven Fotobuch.
Einen Augenblick festhalten
Grund genug, um das andauernde „Howl“-Momentum für einen kurzen Augenblick festzuhalten und zusammen mit Black Rebel Motorcycle Club bei ihrem Tourstopp im winterlich leicht verschlafenen Luxemburg näher zu beleuchten. Die Show ist erst seit wenigen Minuten vorbei, das musikalische Echo und die damit einhergehende Intensität noch längst nicht verklungen.
Es ist erfahrungsgemäß nicht der günstigste Zeitpunkt für einen vertrauensvollen Gedankenaustausch im Backstage-Bereich – würde es sich bei den Gesprächsteilnehmern nicht um Robert Levon Been und Peter Hayes handeln. Ein ausgesprochen eingespieltes Team, dessen liebevoller Umgang miteinander Bände spricht und eine tiefe Verbundenheit ausstrahlt – selbst im Halbdunkel der überraschend menschenleeren Räumlichkeiten.
Interview um Mitternacht
Die Uhr schlägt bereits Mitternacht. Im Backstage-Bereich surrt allenfalls der Kühlschrank. Der große Esstisch wird zur Kulisse des Vier-Augen-Gesprächs mit Robert Levon Been, der den ersten Teil des Interviews bestreiten wird, bevor er später an seinen Bandkollegen Peter Hayes übergibt. „Professioneller wird es hier nicht mehr werden“, lacht Robert scherzhaft, wischt ein paar Krümel rund um das Aufnahmegerät weg und betrachtet mit einem Stück Pizza in der Hand das vor ihm liegende Durcheinander an mehr oder weniger frischen Essensresten, angebissenen Weihnachtsmännern aus Schokolade und einer Menge Ingwerknollen. „Tja, hier sitzen wir nun, beim letzten Abendmahl. Dem schimmligen, stinkenden letzten Abendmahl“, fügt Robert belustigt hinzu.
Während „Das Letzte Abendmahl“ allgemein als Höhepunkt im malerischen Schaffen Leonardos gilt, konnten Black Rebel Motorcycle Club auch noch lange nach ihrem wegweisenden Album „Howl“ aus dem Jahre 2005 viele weitere Werke voller Dringlichkeit und emotionaler Substanz veröffentlichen – wie zuletzt „Wrong Creatures“ aus dem Jahre 2018, das bis dato letzte Studioalbum.
Respektvolle Aufmerksamkeit und meditative Momente
Tourneen mit dem Stempel „Anniversary“ haben nicht selten einen unguten Beigeschmack. Zu oft wirkt das Setting etwas zu steif oder gar inszeniert, wie ein bloßes Marketingkonstrukt. Die aktuelle „Howl 20th Anniversary Tour“ bleibt – wenig überraschend – vollends davon verschont. Vor allem, weil viele der introspektiven Songs das erste Mal in dieser ausgereiften, klanglichen Form präsentiert werden und es der Band mühelos gelingt, den Bogen im Set zum lauten, unbändigeren Repertoire zu spannen. „Vorab der Tour dachte ich, wir müssten die meiste Zeit gegen die Lautstärke des Raumes ankämpfen, aber genau das Gegenteil davon ist eingetreten. Fast jedes Konzert verläuft sehr respektvoll und das Publikum ist unheimlich geduldig und aufmerksam, wenn es darum geht, uns die Songs spielen zu lassen“, bemerkt Robert voller Erleichterung in der Stimme.
„Nehmen wir beispielsweise ‚Open Invitation‘. Diesen Song zu spielen, ist fast schon ein wenig meditativ. Die meisten Songs sind es von Natur aus eher nicht. Ich muss Pete wirklich intensiver als normalerweise zuhören. Alle meine Sinne sind darauf geschärft, jeden Schritt im Einklang mit ihm zu gehen. Und dann zu spielen, als hätte man die Kontrolle über die Zeit, den Rhythmus, um dann direkt aus der Kakophonie des puren Wahnsinns herauszukommen. Es ist, als ob man mit dem Auto sehr schnell fährt, dann in den Leerlauf schaltet, den Fuß vom Gas nimmt und zwar lenkt, aber nicht mehr beschleunigt, sondern sich einfach in etwas Anderes hineingleiten lässt.“
Eine Art Schwebezustand und Zwischenwelt, die durch die Zeilen „…and we may never be here again“ einen weiteren Hauch Flüchtigkeit und Ungewissheit erfahren. Nach vielen Jahren der Live-Abstinenz hält sich die Band momentan mit Äußerungen über Zukunftsperspektiven bedeckt. Der Fokus liegt ausschließlich auf „Howl“. Und doch rückt im Zuge der Tour das große Ganze immer wieder in den Vordergrund und die Rückkehr auf die Bühne ist so viel mehr als es im ersten Moment scheint, wie Robert erklärt: „Diese Band und das, was wir geschaffen haben – ich versuche mir oft vorzustellen, dass es das alles gar nicht gibt, damit ich realistischer mit dem umgehen kann, was gerade passiert. Denn es ist ein bisschen zu einfach, sich nur innerhalb einer Band oder innerhalb einer bestimmten Kategorie zu messen. Rock’n’Roll hat viele, nennen wir es, sektenähnliche Aspekte. Es braucht also viel Zeit, diese auseinanderzuhalten und zu verstehen, welche davon für einen selbst wirklich wertvoll oder maßgeblich sind.“
Die heilende Kraft physischer Begegnung
Und das sind im Fall von Robert Levon Been vor allem die menschlichen Bezugspunkte: „Ich habe ein neues Verständnis dafür gefunden, was es bedeutet, wenn Menschen physisch zusammenkommen. Nicht die Illusion von Verbundenheit oder Gemeinschaft im Internet, sondern wie wichtig es ist, dass Menschen physisch zusammen in einem Raum sind und wirklich die Energie des anderen spüren. Und einfach Teil dieser menschlichen Erfahrung zu sein. Es scheint allzu einfach, aber es ist ein seltsam heilender Prozess. Deshalb freue ich mich sehr über die Leute, die kommen, und bin etwas nervös wegen denen, die vielleicht gezögert haben. Ich denke, dass es für die psychische Gesundheit der Menschen viel wichtiger ist, als derzeit allgemein wahrgenommen wird. Mit Freunden essen gehen und sich aus seiner Komfortzone herauswagen, auch wenn es einem schwerfällt – das ist in dieser Zeit besonders wichtig. Früher gab es viele großartige Bands, die ständig auf Tour waren, und die Menschen waren nicht so isoliert, sodass man das nicht als so notwendiges Bedürfnis empfand. Jetzt hingegen scheint es wirklich sehr wichtig zu sein, dass wir all das tun, und die Leute auch daran teilhaben.“
Neubewertung von Bedeutung und Wert
Während auf der Bühne, innerhalb des Live-Sets, eher verhältnismäßig wenig Raum für ein paar aufrichtige Worte des Dankes an das treue Publikum bleibt, hebt Robert das einmal angeschnittene Thema zu fortgeschrittener Stunde kurzerhand auf die Meta-Ebene. Mit der gewohnten Nachdenklichkeit: „Ich denke, nach den Ereignissen der letzten Jahre fühlt sich alles wie ein kleiner Teil einer größeren Frage an. Als wären wir alle gezwungen, das Ausmaß und die Bedeutung dessen, wer wir sind, was wir sind und unsere Zeit neu zu bewerten. Wofür wir unsere Zeit aufwenden und unsere Energie einsetzen. Und was davon wertvoll und bedeutungsvoll ist. Alles wurde in die Waagschale geworfen. Als gäbe es keine Bezugspersonen mehr. Es gibt niemanden, der dir sagt, was etwas bedeutet oder was wichtig ist. Es ist dieses überwältigende Gefühl, dass du es selbst wissen, finden und schließlich selbst daran festhalten musst. Und die meisten Umstände werden versuchen, dich zu erniedrigen oder dich an deiner geistigen Gesundheit oder den Dingen, die du schätzt, zweifeln zu lassen. Es gibt viele Menschen, die wie in ihrem eigenen Vakuum leben. Die versuchen herauszufinden, wer sie in Bezug auf diese große, weite Welt sind.“
Dass sowohl Robert Levon Been als auch Peter Hayes zum Kreis der Suchenden gehören und vor eben jener Mammutaufgabe stehen, ihren Platz in dieser unbeständigen Welt zu finden – daran lässt das Interview keinen Zweifel. Aus vielen ihrer Antworten an diesem späten Abend spricht ein gewisses Maß an grüblerischer Neugier, die ständige Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umgebung und dem ein oder anderen Selbstzweifel, der manchmal nur flüchtig zwischen den wohlüberlegten Worten durchschimmert.
Der Überlebensmodus und die Glaubwürdigkeit
Seit der Entstehung von „Howl“ vor über zwanzig Jahren hat sich die Band immer wieder neuen Herausforderungen gestellt. Den Status Quo hinterfragt. Das Oberflächliche gegen das Tiefgründige eingetauscht. Der inneren Stimme stets mehr Gehör geschenkt als den Strömungen und Wirrungen der Zeit. Vieles davon hat unmittelbar auf ihre künstlerische Entwicklung abgefärbt und sichtbare, musikalisch wertvolle Spuren hinterlassen. Im Nachhinein wirkt „Howl“ wie ein Gradmesser für die emotionale Reife, die Black Rebel Motorcycle Club bis dato so nuanciert in vielen ihrer Songs zum Ausdruck bringen. Auch, wenn der Preis dafür kein Geringer war, wie Robert unschwer erahnen lässt: „Es war eine schwierige Zeit, in der uns alle sagten, dass wir nichts taugen und es nie zu etwas bringen würden. Und dann haben wir uns entschieden, zu kämpfen und nicht zu kapitulieren, und sind einfach in den Überlebensmodus gegangen. Für uns war klar: Wenn dies das Letzte sein sollte, was die Leute von uns hören würden, dann würden wir stolz auf das sein, was wir geschaffen hatten.
Also haben wir noch härter daran gearbeitet, diese Songs zu schreiben. Wir waren ein Stück weit erwachsener geworden und damit in der Lage, die Songs zum ersten Mal so umzusetzen, wie wir es wollten. Es war sozusagen eine Frage von jetzt oder nie. Das Einzige, was uns Mut machte, war, dass es sich zwar nicht verkaufte, aber die Leute dennoch wohlwollend darüber sprachen. Unser zweites Album war so etwas wie ein Zweites-Album-Syndrom. Das führte dazu, dass wir von unserem Label fallen gelassen wurden. Mit ‚Howl‘ haben wir dann unsere Glaubwürdigkeit zurückgewonnen.“
Gar kein leichtes Unterfangen für ein Werk, das sich den Einflüssen nach – anstelle des Rock’n’Roll – über weite Strecken auf die Spuren des Gospel, Blues und Folk begab und im Zuge der prägenden Rockmusik der 2000er eine völlig andere Laufbahn einschlug, ohne dass Black Rebel Motorcycle Club dabei ihre musikalische Integrität aufs Spiel setzte: „Viele Alben orientieren sich an der jeweiligen Zeit und dem Zeitgeist, in dem sie aufgenommen wurden. Dieses Album hat sich dem widersetzt und sein eigenes kleines Universum geschaffen. Aber es ist nicht einfach nur Retro um des Retros willen. Viele dieser Songs wurden während der Arbeit am ersten Album geschrieben. Wir hatten nur keinen passenden Platz für sie. Sie passten nicht in die Rockwelt. Es war nicht so, als hätten wir einfach aufgehört und plötzlich angefangen, etwas ganz anderes zu machen. Wir waren nur noch nicht in der Lage, alles miteinander zu verbinden“, beschreibt Robert Levon Been den Entstehungsprozess und sagt über den Titeltrack: „’Howl‘ hatte damals noch keinen Namen, aber wurde auf der Akustikgitarre gespielt. Er klang ein bisschen wie Radiohead. Wir haben ihn immer wieder verändert, damit er besser zum zweiten Album passt, aber dann klang er zu sehr nach Radiohead. Diese Beach-Boys-artige, große Orgel gab ihm schließlich eine Note, die nicht nur eine Liebeserklärung an diese Art von Musik war. Es ist ein sehr herzzerreißender Song, der etwas mehr als die anderen Songs in eine Art Schleier gehüllt ist. Er berührt mich mehr als die meisten anderen. Und das, obwohl die anderen Songs eine Bühne oder Plattform haben, auf der sie persönlicher wirken. Es ist schwer zu erklären. Ich liebe Pop-Platten, die die herzzerreißendste Geschichte der Welt verbergen, aber mit diesem Jingle-Jangle-Charakter. Ich liebe das Element der Zerstreuung. Diese Art der Diversion.“
Ursprüngliche Gefühle und emotionale Reduktion
„Howl“ funktioniert als Album aus vielen weiteren Gründen auch nach über zwanzig Jahren noch bemerkenswert gut, ohne etwas von seinem emotionalen Sog einzubüßen. Darauf angesprochen, versucht Robert Levon Been das Wesen mit folgenden Worten einzufangen: „Es gibt da noch ein weiteres Element in diesen Songs. Und zwar die Tatsache, dass sie viele Gefühle auf etwas Ursprüngliches, etwas Elementares reduziert haben. Nichts weiter als der Klang, den dein Körper von sich gibt, wenn er etwas fühlt, noch bevor ein Gedanke entsteht. Musikalisch versucht man immer, an diesen Punkt zu gelangen. Es gibt Momente auf diesem Album, die auf genau diese rohe Art und Weise resonieren. Die überwältigende Erkenntnis bei alldem ist jedoch, dass man sich seine eigene Sinnhaftigkeit schaffen muss. Manchmal ärgere ich mich darüber, dass wir so viel Freiheit und Raum haben. Dass wir alles auseinandernehmen, beurteilen oder definieren müssen, damit etwas Sinn ergibt. Das Problem ist, wenn man anfängt, etwas zu versuchen, und es sich dann einfach in einen Kate-Bush-Song verwandelt – ‚and we’re just running up that hill‘. Aber man rollt immer wieder zurück. Mit diesem Album sind wir ziemlich weit den Hügel hinaufgekommen. Das können nicht alle von sich behaupten.“
Und weil die Aussicht von so weit oben die perfekte Vogelperspektive auf das eigene Schaffen und die vielen kreativen Prozesse bietet, lässt sich daraus, laut Robert Levon Been, eine weitere wertvolle Beobachtung ableiten: „Es hilft, anderen Menschen aufmerksam zuzuhören und sich in sie hineinzuversetzen, während man gleichzeitig mit dem Flow der Dinge gleitet. Wenn man ein Gespür dafür hat, was zu einem passt und sich richtig anfühlt, sollte man diesem Gefühl folgen. Und wenn man unzufrieden ist und am Ende weder das Album produziert, noch die Tournee macht, dann sollte man etwas anderes tun. Es gibt keine Vorgabe, die man befolgen muss. Das ist die andere beängstigende Realität. Wir alle tragen dazu bei, dass wir die Dinge ein wenig nach unseren Vorstellungen formen. Eine Art gemeinsames Schicksal.“
Bewusstsein in der Ära der Ablenkungen
Das gilt ebenso für das künstlerische Dasein wie für den Alltag, in dem das Wesentliche vielfach aus dem Blickfeld rutscht und der eigene Fokus immer wieder scharf gestellt werden muss. Die eigene Präsenz in der Korrekturschleife. Robert hingegen vermeidet den Begriff „Präsenz“ am liebsten gleich, wie er sagt: „Ich glaube, viele Menschen empfinden es einfach als ein bedeutungsloses Wort, weil jeder unendlich oft versucht hat, im Hier und Jetzt zu leben. Und wir sehen, wo uns das hingeführt hat. Wir leben in der größten Ära der Ablenkungen in der Geschichte der Menschheit. Heutzutage muss man bewusster denn je mit der eigenen Zeit umgehen. Man muss sich zu eigenen Wohl stärker kontrollieren. Man muss in der Lage sein, hinzuhören und ehrlich zu dem zu stehen, der man ist. Und man muss erkennen, ob sich etwas in einem bestimmten Moment gut oder falsch anfühlt. Es erfordert viel mehr Anstrengung, diesen Bewusstseinszustand zu erreichen, als es in der Vergangenheit der Fall war.“
Mittlerweile ist der angeschwollene Geräuschpegel im Raum ein wahres Sinnbild für eben jene Worte. Stimmengewirr breitet sich mehr und mehr aus. Die plötzliche Lautstärke gerät zur Bewährungsprobe für die eigene Konzentrationsfähigkeit. Robert, der sich natürlich bestens mit diversen Geräuschpegeln auskennt, scheint das alles wenig zu irritieren. Er lacht es mit den Worten weg: „Das ist eine wirklich gute Metapher für das, worüber wir gerade sprechen. Es gibt nur dich und mich, nur deine Stimme. Es gibt genug Licht und Wasser, um das hier durchzustehen. Das ist so ein verdammt episches Interview.“
Die Gemeinschaft der Vergessenen
Mit Herausforderungen jeglicher Natur haben Black Rebel Motorcycle Club bereits mehrmals Bekanntschaft im Laufe ihrer Karriere gemacht. Über Glücksmomente hört man die bescheidenen Musiker jedoch eher selten sprechen, die mit Blick auf ihr Schaffen stets voller Demut auftreten und fernab jeglicher Rock’n’Roll-Klischees ein hohes Maß an Genügsamkeit ausstrahlen. Woher das kommt? Robert Levon Been oder der Versuch einer Einordnung: „Es gibt viele glückliche Zufälle. ‚Howl‘ betrachte ich als einen solchen, weil es sich aus der Versenkung zurückkämpfte. Ich bin mir nur allzu bewusst, dass es viel bessere Alben und Filme gibt. All diese Dinge, die nie gehört oder gelesen werden. Was macht man, wenn es unendlich viele unbeachtete Meisterwerke gibt? Man ist einfach stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft der Vergessenen zu sein. Es gibt noch so viel mehr zu lernen. So viele großartige Künstler:innen, die niemals Gehör finden werden. Es ist diese endlose Liste voll unglaublicher Leistungen. Wenn man zu dieser Gruppe der vergessenen, großartigen Dinge gehört oder sogar nur zur zweitklassigen Variante davon, gibt es wohl keine größere Ehre. Alles andere spielt keine Rolle.“
Und doch schwingt im Fortbestehen von Black Rebel Motorcycle Club auch immer eine gehörige Portion Kampfgeist und Durchhaltevermögen mit. Aller Widrigkeiten zum Trotz. Wie knüpft man also an eine so prägende Phase wie mit „Howl“ an, ohne sich ganz und gar von den damit einhergehenden Hürden einschüchtern zu lassen? „Ich wollte keineswegs all das wiederholen oder genau diese Situation rekonstruieren, denn ich war wirklich sehr dankbar, dass wir überlebt und alles überstanden hatten. Ich glaube nämlich nicht, dass das der beste Weg gewesen wäre, unsere Arbeit zu machen und unsere Ideen zu verwirklichen. Irgendwie finden wir immer wieder neue Wege, alles zu sabotieren, aber wir versuchen nicht bewusst, solche Zustände herbeizuführen. Sie finden uns einfach von selbst.“
Akzeptanz und zeitliche Begrenztheit
Was sich im ersten Moment nach der Kapitulation vor dem eigenen Schicksal anhören mag, ist vielmehr die Akzeptanz, das Beste aus den jeweiligen Umständen zu machen. Immer im Bewusstsein, dass vieles davon außerhalb der eigenen Kontrolle abläuft und mit einem zeitlichen Verfallsdatum gekennzeichnet ist, wie Robert Levon Been feststellt: „Wenn man jünger ist, wenn man weiß ist, wenn man eindeutig männlich ist und wenn man all diese damit verbundenen Vorteile genießt, kann man mehr Risiken eingehen und hat dann den Luxus, zu sagen: ‚Vielleicht mache ich dies, vielleicht mache ich das, vielleicht arbeite ich mit dir zusammen, vielleicht schreibe ich das, vielleicht auch nicht.‘ Es ist letztlich nur eine Verkettung von Umständen, ob man das Glück hat, in diesem Moment dabei zu sein, um etwas zu bewegen und hoffentlich etwas Gutes zu schaffen, solange es noch geht. Denn es wird nicht von Dauer sein. Das ist es nie.“
Ob man es nun Glück oder Willensstärke nennen mag, dass Black Rebel Motorcycle Club seit der Gründung der Band 1998 unbeirrt ihren ganz eigenen Weg gehen – vermutlich ist es eine Verschmelzung beider Dinge. Eines bleibt allerdings faktischer Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit, laut Robert Levon Been: „Wenn Pete und ich eine Platte machen, ist das wie eine leere Leinwand, vor die wir treten und die wir mit einer eigenen Welt füllen müssen, für die wir dann verantwortlich sind. Und dann hofft man einfach, dass man die besten Leute findet, die einem dabei helfen und dafür sorgen, dass man nicht wie der letzte Mist klingt.“
Peter Hayes über Vertrauen und Chaos
Und weil diese eindrucksvolle Wechselwirkung der Black Rebel Motorcycle Club-Köpfe auch abseits der Studioarbeit bestens funktioniert, erscheint genau in diesem Moment Peter Hayes am Tisch des „letzten Interview-Abendmahls“, um Robert abzulösen und das nächtliche Gespräch um weitere Einblicke zu ergänzen. Im Hinblick auf die Aufnahmen zu „Howl“ bemerkt er gedankenversunken: „Wir haben damals wirklich unsere Karten auf den Tisch gelegt, in der Hoffnung, dass die Leute es verstehen würden. Egal, wie sich die Geschichte entwickelt. Egal, welche Hindernisse es gibt. Darum ging es nicht wirklich. Es ging darum, das Leben so zu nehmen, wie es ist. Und wir nehmen das Leben immer noch so, wie es ist. Wenn jemand eine schlechte Live-Kritik schreibt, wird niemand zu den Shows kommen. Es wird trotzdem irgendwie weitergehen. Aber ja, es wäre ein Albtraum. Bisher ist das noch nicht passiert. Jesus. Ich habe die Kritiken noch nicht gelesen.“
Gab es jemals Zweifel daran, zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung von „Howl“ damit auf Tour zu gehen und das Album in Gänze zu spielen? Peter Hayes bekräftigt mit sanfter Stimme: „Ich könnte mir nicht vorstellen, auf Tour zu gehen, wenn wir kein gutes Gefühl dabei hätten. Ich kann nicht sagen, wie die anderen das sehen, aber ich bin glücklich. Glücklich. Das ist das Leben. Wir können mittlerweile über uns selbst lachen, weil wir in der Vergangenheit vielleicht manchmal etwas zu ernst waren. Ich war es jedenfalls.“
Die innere Ruhe, die Peter Hayes sowohl auf als auch abseits der Bühne ausstrahlt, wird von einem verschmitzten Lächeln begleitet, wenn seine Gedanken um die Vergangenheit kreisen. Einen wirklichen Hang zur Nostalgie vermag er angesichts des Howl-Jubiläums nicht erkennen lassen, doch den braucht es auch gar nicht. Viel wichtiger erscheint ihm rückblickend etwas ganz anderes zu sein:
„Die Zeit um ‚Howl‘ wurde zu einer Art Vertrauensverhältnis zwischen uns und den Menschen, die unsere Musik hörten – unseren Fans. Es war insofern eine prägende Erfahrung, als dass wir entweder viele Zuhörer:innen verlieren würden oder eben nicht. Uns war es nicht besonders wichtig, ob wir Leute dazugewinnen oder verlieren würden. Wir wollten einfach einen Kern von Personen, die sich für uns interessieren, die wussten, worum es uns ging: um Musik, darum, seine Kunst zu leben, sein Projekt zu verwirklichen, ganz gleich, wie dieses aussah.“
Wie sehr die Band während dieser Zeit aufeinander und auf ihr unmittelbares Umfeld vertraute, wird schnell deutlich, wie Peter Hayes erahnen lässt: „Robs Vater hat uns immer sehr unterstützt. Das war eine große Hilfe. Eine verdammt große Hilfe. Rob und ich haben uns auch gegenseitig unterstützt. Wir haben uns gegenseitig auseinandergenommen. Allerdings hat uns Robs Vater auch auseinandergenommen. Wir haben uns im Prinzip alle gegenseitig auseinandergenommen, aber wir waren uns auch immer eine große Stütze.“
Hält dieses Urvertrauen in die eigenen Fähigkeiten – neben der bandinternen Dynamik – bis heute an? „Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Mmmh. Davon habe ich keine Ahnung. Ich glaube, wenn du lange genug an etwas arbeitest, durchläufst du verschiedene Phasen: Du liebst es, du hasst es, du willst es zerstören, du willst es neu aufbauen, du zerstörst es wieder, du baust es wieder auf. Und wenn es wieder zusammengeflickt ist, bist du vielleicht einigermaßen zufrieden damit. Und man akzeptiert einfach das Chaos, das es nun einmal ist.“
„Howl“ – das eindrucksvolle Ergebnis von glücklichen Zufällen, einer Prise Chaos und der immer fortwährenden Energie einer Band, die sich auch zwanzig Jahre später keinesfalls verbiegen lässt und bedingungslos ihre musikalische Integrität bewahrt, wie nur wenige musikalische Weggefährt:innen. Auf der laufenden Europatour erfährt das Album derzeit einen weiteren Höhenflug. Geborgen im lauten Geheul der Gegenwart. So vertraut, unerschütterlich und intuitiv wie wohl kaum ein anderes Album in der Geschichte von Black Rebel Motorcycle Club.




