„Das ist mein Wasser!“


Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Nur welche? Wir haben nachgefragt. Diesmal: Thees Uhlmann

Bruce Springsteen

Nicht nur das Cover von Thees Uhlmanns titellosem Solodebüt erinnert an Springsteen, auch der Sound wurde deutlich von ihm inspiriert.

Der „Big Man“ (Clarence Clemons, Saxofonist der E-Street-Band – Anm. d. Red.) ist gestorben, als wir in Toronto waren. Und er hat einmal gesagt: „Es kann keine größere Liebe geben ohne Sex als zwischen Bruce Springsteen und mir.“ Ich verstehe genau, was er meint. Wenn man Rock’n’Roll so definiert, wie ich das mache, dann ist das eine wahnsinnig intime und romantische Sache. Die Band wird tatsächlich zur Familie. Und für die E-Street-Band gilt: Wenn man sie spielen hört, hört man manchmal keine Instrumente mehr, sondern nur noch ein Geräusch, das die E-Street-Band ist. Das versuche ich mit meiner neuen Band auch.

Eiffelturm

In dem Song „Paris im Herbst“ singt Uhlmann nicht nur über die Schönheit dieses Turms und der Stadt, er verzichtet auch nicht auf das Klischee von Akkordeon und 3/4-Takt.

Weißt du, warum der Eiffelturm so verrückt aussieht? Er erfüllt überhaupt keinen Zweck – er soll nur geil aussehen. Von allen Sachen, die ich bisher sehen durfte, hat mich dieser Turm wohl am meisten beeindruckt. Und was die Klischees betrifft: Na klar mache ich das! Im Gegensatz zu Tomte, wo es um „Thees Uhlmann, und das ist seine Sicht auf die Welt“ geht, konnte ich hier relaxen, und dadurch wurde so etwas möglich: Komm wir schreiben jetzt einen Song über Paris im 3/4-Takt mit einem Akkordeon – cool!

Tobias Kuhn

Der Musiker (Monta) und Produzent (Sportfreunde Stiller, Udo Lindenberg) produzierte das Tomte-Album Heureka (2008) und nun auch Uhlmanns Soloalbum.

Mit jemandem, den man liebt, Musik zu machen und dabei gleich zu ticken – das ist echt eine tolle Erfahrung. Er sitzt in dem einen Zimmer, baut meine Ideen aus, ich sitze im anderen und schreibe an meinem Text. Und dann geht man hinüber und zeigt das, und ich will, dass das Tobias gefällt. Das ist künstlerisch sehr sinnvoll, auf ein Gegenüber zuzuarbeiten, das dann sagt: „Das hast du gut gemacht, Thees!“ Es ist aber zum Musikmachen genial, wenn man sich in einer solchen Euphorie gegenseitig hochschieben kann. Ich habe wirklich gemeinsam mit Tobias Musik gemacht. Und das war wahnsinnig befriedigend.

Niagara-Fälle

Mitte Juni reiste Thees mit seiner Band nach Kanada, spielte auf Einladung der „NXNE Music Fair“ drei Konzerte und ließ sich auch von der Gewaltigkeit dieses Naturschauspiels erschlagen.

Ich war ja schon zweimal dort. Aber jetzt, als wir in Toronto waren, sind wir mit der Band mit dem Boot von der kanadischen Seite aus herübergefahren – mit der „Maid of the Mist“, direkt an den Fällen entlang. Da greift dieser seltsame Effekt: Wenn du an Orten bist, die du davor schon hundertmal gesehen hast, im Fernsehen oder so, fühlt sich das irgendwie komisch an: Krass, das gibt’s wirklich! Man ist plötzlich auf Du und Du mit der Ikonografie. Und dass so ein Typ aus Niedersachsen mit seiner Band zu einer Musikmesse in Kanada eingeladen wird, um da zu spielen, das macht mich stolz und glücklich. Für mich ist es zudem pure künstlerische Entspannung, auf einer Bühne zu stehen und zu singen und mir zu denken: „Boah, ihr versteht kein einziges Wort.“ Umso wichtiger ist es allerdings, die Aufmerksamkeit der Leute aufrechtzuerhalten. Und dann muss man sich eine Ansage überlegen. Da habe ich eben gesagt: „Wo machen lustvolle Rentner Urlaub? … An den Viagarafällen.“ Und der Kanadier hat gelacht.

Lehrer Lämpel

Das Opfer des vierten Streichs von Max & Moritz. Auch Thees Uhlmann wollte Lehrer werden. Wilhelm Busch, der wie Uhlmann aus der niedersächsischen Provinz stammte, karikierte zudem in Figuren wie Lämpel die kleinbürgerlichen Geister seiner Heimat.

Ah, Wilhelm Busch! … Weil ich gerne Gedichte schreibe? Nein? Okay, ich habe vier Jahre auf Lehramt studiert. Wenn Lehrer gut sind, überzeugen sie als eine Mischung aus Entertainer und Pädagoge. Und ich wäre wirklich sehr gerne Lehrer geworden. Der Umgang mit jungen Menschen und das, was Lehrer im Idealfall repräsentieren, übt auf mich eine große Faszination aus. Ich mache auch gerne so Panel-Sachen, trete an Universitäten auf oder halte Vorträge. Lehrer und Rock’n’Roll passt auf den ersten Blick schlecht zusammen, aber auf den zweiten eben doch – weil es im Kern bei beidem darum geht: Hier steht jemand und da vorne sitzen welche. Mein Wille, mit dem, was ich auf der Bühne so erzähle, zu unterhalten, kommt allerdings nicht aus meinem Faible fürs Lehrerdasein, sondern aus frühen Tomte-Tagen. Wir waren Schnullis mit komischen Frisuren und halb angezerrten Gitarren. Das hat in der Punkszene, in der wir auftraten, niemanden interessiert und deshalb musste ich einen anderen Weg finden, das Publikum zu halten.

evangelische Kirche von Hemmoor

Wenn Thees in seine Heimat fährt, sieht er diesen Turm schon von Weitem. (Wir legten ihm drei Türme vor, die für ihn für Nachhausekommen stehen könnten: diese Kirche, den Berliner Fernsehturm und den Hamburger Michel – er sollte sich für einen entscheiden.)

In Berlin fallen ganze Fußballstadien von feierwütigen Twens ein, und sie sind sich einig: „Das ist die coolste Stadt auf der ganzen Welt!“ Leute fahren von hier wieder weg und haben eine positive Deutschland-Erfahrung. Das finde ich super. Aber machen wir es einfach so (greift nach dem Bild mit dem Kirchturm von Hemmoor): Ich weiß, die Leute lieben es, in Berlin zu sein. Und die Leute lieben es, in Hamburg zu sein. Es gibt die abgedrehtesten Discos überall, die Leute sind verrückt und ziehen sich echt verrückt an, und ich finde das auch super. Und ich finde es super, dass alle dreieinhalb Monate einer neuer Musikstil erfunden wird. Das zu beobachten, ist ja auch das Lustige am Älterwerden. Aber am liebsten fahre ich eben nach Hemmoor, bringe mein Kind ins Bett, gehe dann zu meinem einzigen Kumpel, den ich dort noch habe, und wir setzen wir uns auf die Terrasse, trinken Bier und hören Neil Young.

The Voyage Of Life – Manhood

Der US-Maler Thomas Cole stellte 1842 die Reise auf dem Fluss des Lebens in vier großformatigen Bildern dar. Auch Thees Uhlmann greift auf diese Metapher immer wieder zurück, zudem singt er auf seinem Soloalbum auffallend oft über Wasser.

Genau so mag ich es: schön rot, bisschen Pathos, oben der Engel, unten fährt einer auf dem reißenden Strom – große Gefühle – alles andere hat für mich keinen Sinn. Irgendwann bei der Arbeit an der Platte ist mir auch aufgefallen, dass darauf sehr oft Begriffe wie „Wasser“ und „Fluss“ vorkommen. Ich musste an „Radioactive“ von den Kings Of Leon denken: Sie singen „It’s in the water“. Und ich dachte mir: „Genau!“ Deshalb bin ich auch so gerne in Hemmoor, bei meiner Mutter, auf dem Dorf. Wenn ich da unter der Dusche stehe, und das Wasser auf mich fällt, sagen die Moleküle meiner Haut: „Ja, stimmt! Das Wasser, das hier auf uns Zellen fällt, das ist Wasser, wie wir das meinen!“ Außerdem: Der Typ auf dem Bild fleht ja oder betet, weil er Angst hat. Wenn man das alles ein wenig heller machen würde, dann würde das Bild wirklich perfekt zu mir passen: Diese Geste der Demut und der Dankbarkeit steht dafür, wie ich mich fühle – dem gegenüber, was ich mit meiner Musik erreichen durfte.

Tomte

Die Frage kommt als Erstes, wenn einer eine Soloplatte macht: „Wird es die Band trotzdem weiter geben?“

Simon (Frontzek alias Sir Simon Battle – Anm. d. Red.) ist auch schon wieder ausgestiegen. Wir sind trotzdem noch sehr gut befreundet. Nun, die Band gibt es auf jeden Fall weiter. Das kann man nicht umbringen! Tomte zu machen, über so viele Jahre, war eine große Energieleistung, und vielleicht hatte ich jetzt auch erst einmal nicht mehr die Kraft dafür. Ich wollte eine Thees-Uhlmann-Platte schreiben, und ein Lied darüber machen, wie das ist, vom Dorf zu kommen: Ist nicht gut. Ist nicht schlecht. Ist einfach so. Mit Tomte wäre das nicht gegangen.

Albumkritik S. 104