Das Prinzip Provokation


Wer wahrhaftig und ehrlich ist, darf sich alles erlauben, meint Karen 0, die Sängerin der Yeah Yeah Yeahs.

Der französische Schauspieler Michel Piccoli hat einmal gesagt, Provokation sei „ein Prinzip der Lebendigkeit“. Piccoli wußte, wovon er sprach, weil er seine große, provokatdve Zeit in den zoern hatte, einem Jahrzehnt, in dem man durch schlimme Worte, Nacktheit und Filme wie „Das große Fressen“, in denen nackte Menschen schlimme Worte sagten, noch anständig provozieren konnte. Die Provokation ist ein Grundprinzip des Rock’n’Roll, das sich von den frühesten Anfängen in den 5oern (damals eher unfreiwillig) bis in die Gegenwart mit der omnipräsenten Drogen- und Gewaltverherrlichung (heute eher geplant und als Markeangwerkzeug eingesetzt) durch alle Genres zieht. Mit feinen Unterschieden. In den meisten Fällen fühlen sich die Menschen, für die der Rock’n’Roll gar nicht bestimmt ist, von Rock’n’Roll-Musikern provoziert – wenn etwa in den 5oern Elvis Presley durch seinen Hüftschwung nicht seine Fans empört, sondern deren Eltern. Provokation trifft eher seltener direkt ins Auge der Zielgruppe. Zum Beispiel, wenn Bill Haley bei seinen Konzerten mit seiner Musik das Publikum indirekt dazu animiert, Stuhlreihen aus der Verankerung zu reißen. Provokation ist nicht nur im Rock immer im Zeitkontext zu sehen. In einer Zeit, in der es fast keine Tabus mehr gibt, wird es immer schwieriger für Berufsprovokateure, ihrem Job nachzugehen. Da mutet Alice Coopers Horrorshow so wie das an, was sie vielleicht 1972 auch schon war: ein großes, lächerliches Kasperletheater.

Yeah-Yeah-Yeahs-Sängerin Karen O sitzt im Büro des Interscope-Labels in New York und hat sich keine Gedanken darüber gemacht, wie viele Tabus es noch gibt und wie man diese brechen kann. Wahrscheinlich muß sie das auch gar nicht, weil es dank der christlichen Fundamentalisten in den USA immer noch sehr leicht für einen Künstler ist, die Eltern seiner Fans zu provozieren. So einfach, daß jemand wie Marilyn Manson mit seiner Show – der Variation des lächerlichen Kasperletheaters von Alice Cooper immer noch Wellen der Entrüstung in der amerikanischen Öffentlichkeit ins Rollen bringen kann. Karen O hat einmal etwas sehr Kluges gesagt. WeT als Band etwas Neues versuchen wolle, müsse die Menschen provozieren. „Ich glaube, daß Ehrlichkeit undWahrhaftigkeit immer noch in dieser Welt existieren – und wenn das die Quelle der Dinge ist, die du tust, dann kannst du dir alles erlauben, auch die Leute provozieren.“Das tut Karen O. Durch ihr Äußeres, ihre Kleidung – für die sie eigens eine Modedesignerin beschäftigt – und durch die Bühnenshow der Yeah Yeah Yeahs, bei der sie bis an ihre Grenzen geht und diese manchmal unfreiwillig überschreitet. Wie damals in dieser „intensiven Nacht“ in Sydney in Australien, in der sich die Sängerin bei einem Sturz von der Bühne beinahe das Genick gebrochen hätte.

Die Musik der Yeah Yeah Yeahs wird gerne als Art Punk bezeichnet, was in sich ein Widerspruch ist. Weil Punk, wenn er authentisch ist, keine Kunst sein will, und weil Kunst, die Punk sein will, meistens großer Käse ist. Für Karen O ist Authentizität aber ein künstlerisches Qualitätsmerkmal. Und so wandelt sie auf der dünnen Linie zwischen Inszenierung und Authentizität und hat eine erstaunliche Erklärung parat. „Die Bühne ist in der Lage, die Menschen zu verwandeln, auch mich. Natürlich ist das, was wir auf der Bühne tun, nicht das, was wir im täglichen Leben machen. Es ist auch etwas, das von der jeweiligen Situation abhängt, in der wir uns befinden, und davon, was wir auszudrücken versuchen. In der Hinsicht ist das, was ich auf der Bühne mache, 100 Prozent echt. Aber nicht echt in dem Sinne, daß ich das dann fortsetzen würde, wenn ich die Bühne verlassen habe.“

Dabei besteht immer die Gefahr der Gleichsetzung der Bühnen-Person mit der Person aus dem echten Leben. Genauso wie man Marilyn Manson für einen gefährlichen Menschen halten kann, derin seiner Freizeit kleine Kinder frißt, wenn man ein hardcorechristlicher US-Politiker ist, kann man Karen O für den abgefuckten, freaky Menschen halten, den sie auf der Bühne gibt. Im richtigen Leben hinterläßt sie eher einen zurückhaltenden, beinahe schüchternen Eindruck, der überhaupt nichts mit der Bühnenperson zu tun hat. Das ist auch eine Art der Provokation, wenn jemand auf Teufel komm raus nicht bereit ist, das vorgefertigte Bild von sich zu erfüllen. Vielleicht besteht aber die größte Provokation der Yeah Yeah Yeahs darin, mit ihrem zweiten Album show your bones keine zweites fever to tell vorgelegt zu haben, was der sicherere, bequemere Weg gewesen wäre. „Die ständige Weiterentwicklung ist eines meiner Hauptanliegen. Ohne Zweifel. Wenn mir danach wäre, eine Neuauflage unseres ersten Albums zu machen, dann würde ich das tun, aber mir ist nicht danach. Ich will etwas Neues ausprobieren.“

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